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Was war. Was wird.

"Ich bin ein armer Teufel -- und hab sonst nichts auf der Welt." Und doch ist ein großer Einspruch notwendig sowie eine kleine Gratulation, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Ich bin ein armer Teufel -- und hab sonst nichts auf der Welt": Die Chronistenpflicht gebietet es, nicht nur die strahlenden Daten zu bedienen, sondern auch die trüben Stellen der Geschichte zu kennen. Wenn Oskar Lafontaine auf Reichskanzler Brüning verweist, so ist das ein bedenkenswerter Hinweis auf die deutsche Geschichte. Wenn eine regierende Kanzlergattin den Hinweis unhistorisch nennt und den Parteiausschluss des Chronisten fordern kann, so ist das noch viel bedenklicher. Der "Doris ihren Mann seine Partei" wird nicht von der Doris ihrem Geschichtsbuch geführt, in der alles ab 1930 braun angestrichen ist.

*** In der Geschichte der Technik ist diese Arroganz bekannt, die Geschichte etwas zu verwischen. Nehmen wir etwa die Firma Microsoft, die das Ende von DOS verkünden kann und dafür Chronisten findet, die diese Verkündung vom Lebensende abnehmen und dabei nicht einmal wissen, woher Microsoft seine Software eingekauft hatte. Wer die Wurzeln nicht kennt, darf staunend den Innovationsgeist bewundern. Die Geschichte wiederholt sich dann, als Farce: In der letzten Woche bejubelten Analysten bereits die wunderbaren Eigenschaften des neuen Dateisystems, das in zukünftigen Windows-Versionen wie Longhorn Verwendung finden soll. Aufbauend auf die Sicherheitsarchitektur von Palladium werde Microsoft sein Betriebssysterm so eng an die Hardware binden, wie es weder Linux noch Unix könnten. Das erklärte der Analyst Rob Enderle, der einst im Auftrag von Microsoft Gutachten über OS/2 verfasste. Richard Seibt wird sich auf seinen alten Gegenspieler freuen.

*** Wieso hat Microsoft eigentlich ein Image-Problem? Vorgestern endete die in Ellen-Feiss-Manier angelegt Wahl von Ms. Moxie, die ursprünglich parallel zur Mrs. World in Nigeria abgehalten werden sollte. Die von Nigeria nach London verlegte Wahl ist einfacher zu verfolgen als die Löschung der Bilder der 10 Frauen, die es in die Endausscheidung von Ms. Moxie brachten. Mögen sie das sonst nicht gerade freundliche Bild von Microsoft als Apple futternder Cthulhu verbessern. Der gefallene Engel von H.P. Lovecraft soll gerade von Frauen freudigt begrüßt werden.

*** Bleiben wir in den okkulten Zonen, in denen das Grauen vom Gewesenen haust. In den Tiefen der Zeit, in denen das Computern entstand und die ersten Programmierprachen gewuchtet wurden. Der Chronist hat schließlich nicht nur die strahlenden Daten zu nennen. Heute vor 55 Jahren starb 666, das Tier, das große Biest, der Magier Aleister Crowley. UFOs erschienen und Crowleys bester Schüler L. Ron Hubbard gründete die Church of Scientology als Nachfolgeorganisation. Vielen Lesern dürfte Crowleys okkultes Gedicht "The May Queen" in der Vertonung als Stairway to Heaven durch seinen Adepten Jimmy Page und der Band Led Zeppelin ein Begriff sein. Crowley glaubte, dass der Mensch ein programmierter Roboter ohne Entscheidungsfreiheit sei, aber dass er sein Robotersein ablegen könne, wenn er auf die Fiktion eines individuellen Ichs verzichtet. Aleister Crowley war Mitglied in 42 Geheimgesellschaften und entwickelte den Hokuspokus um die Zahl 23, die höchste Stufe der menschlichen Wahrnehmung in der Pyramide des okkulten Wissens. Seine Kabbala beeinflusste die Arbeit am Jet Propulsion Laboratory (später NASA) wie zahllose Programmierer bei Hewlett Packard. Heute finden wir das Lieblingszeichen von Crowley, das erleuchtete Auge über der Pyramide der 32 Stufen beim Information Awareness Office. Die Organisation, die jede E-Mail, jedes Telefonat, jeden Blumentopf überwachen will, passt so richtig in das Bild der Illuminaten. Dagegen hilft nur ein klarer Kopf. Oder ein James Bond, der derzeit im Kino wieder einmal gegen die okkulte Loge von Spectre kämpft -- die natürlich Cthulhu im Logo führt.

*** Was aber, im Ernst, ist schon ein James Bond gegen einen Andreas Stiller? Was ist ein Ballermann gegen den furchtlosen Ergründer der geheimnisvollen Wege, die der Strom in einem Prozessor zurücklegt? Den Mann, der uns das verwirrende Prozessorgeflüster verklickert? Natürlich mag mensch einwenden, dass ich für diese Zeilen von eben selbigem Verlag bezahlt werde, der auch den Prozessor-"Papst" entlohnt, doch bin ich frei genug, um dem Mann zu seinem 50. Lebensjahr zu gratulieren. Giganten gibt es viele, doch die wirklich netten Leute stehen, wie es Robert Merton wusste, immer auf den Schultern von Riesen und schwafeln rum, wie weiland Tristam Shandy. Was gibt es Passenderes, als zu diesem Geburtstag ein Ständchen auf Compaq anzustimmen, das heute vor 20 Jahren als Firma startete. Zuvor hatten drei Ingenieure bei Texas Instruments ihre Idee zu einem portablen Computer auf Servietten (Hintergrund) gemalt und später auf einer Comdex vorgestellt, auf der Michael Blumenthal von Burroughs das Ende der "Hobby-Computer" prophezeihte. Im März 1983 kam dann der revolutionäre Schlepptop heraus. Mit seinem abgeluchsten BIOS schuf dieser Computer erst den Markt der Kompatiblen, wie es der aus Compatible und Quality zusammen gesetzte Name besagt. Compaq war es, die als erste ernsthaft Rechner mit dem 80386er produzierten -- der Andreas Stiller lange Jahre beschäftigte.

Was wird.

Die Chronistenpflicht gebietet es, nicht nur die strahlenden Daten der Zukunft zu erwähnen. So groß die Freude auch sein mag, dass Alice Schwarzer Online geht, um so größer ist die Freude, dass Britney Spears am Montag 21 Jahre alt wurd und nicht länger Cola trinken muss. Prost! Die große Quantenphysikerin (in einer Vielwelt neben der heisigen) hat immerhin das Zeug dazu, jetzt ernsthafte Musik zu betreiben und nicht wie Madonna im neuesten Bond abzugurgeln. Natürlich schreibt das ein ziemlich alter Knochen, musikalisch abgestanden, der fest und unbeirrbar an den Erfolg der Quantenrente glaubt. Die Hanseleien, die über die Rente zwischen Bundesrat und Bundestag wie weiland im Kabinett Brüning ausgetauscht werden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass fundamentale Lösungen gefragt sind. Hauptsache aber, es geht nicht irgendeiner Marie oder gar Sarah an den Kragen, weil die wahren Übeltäter übermächtig erscheinen.

Vielleicht ist es etwas früh, wenn ich heute auf die Wedelmusic 2002 hinweise, die in Darmstadt erst eine Woche weiter stattfinden wird. Aber was ist schon früh, gemessen an Musiken, die 639 Jahre dauern sollen? Wem "gehört" denn diese Musik, wenn nicht der Menschheit? Was passiert mit den "Rechten" an Beethoven, wenn er mit seinem Götterfunken auf 24 Stunden gedehnt wird? Kein Pop? Na gut, dann bleibt mit nur noch übrig, zur tiefen Nacht nach John Lennon die Flying Other Brothers zu empfehlen, eine Band ehemaliger CP/M-Programmierer und Experten. Auf der neuen CD "52-Week High" sollte man zum Schluss 10 Minuten warten: So muss sich heute Musik verstecken, die gegen Präsident Dubya Bush und seine Kriegspläne ansingt. Sollte uns das Schicksal in Gestalt einer Kanzlergattinnen-Zensur schlagen, werden Schröder-Imitate mit ihren Steuer-Songs ebenfalls Fisches Nachtgesang anstimmen müssen. (Hal Faber) / (jk)