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30 Beiträge seit 07.07.2007

Auszüge aus dem Schäuble-Interview SPIEGEL 28/2007 S. 31-33

Ich hoffe, es ist erlaubt, hier ein paar Auszüge der Seiten 31-33 aus
der morgen erscheinenden Printausgabe des SPIEGELS 28/2007 zu
zitieren. Es geht natürlich um das Interview mit Herrn Schäuble:

********

(...)

SPIEGEL:
Terrorismus lebt davon, Angst zu
verbreiten. Ist es klug, wenn sich der Bundesminister
des Innern und sein Staatssekretär
an diesem Wechselspiel beteiligen
und die heutige Situation mit der Lage
kurz vor den Anschlägen des 11. September
2001 vergleichen?

Schäuble:
Wenn wir sagen, dass die Wahrscheinlichkeit
eines Anschlags so hoch wie
nie zuvor ist, schwingt da keine Panikmache
mit. Das ist eine Darstellung der
Realität. Die Öffentlichkeit neigt leider
dazu zu glauben, wir seien nicht bedroht.

(...)

Schäuble:
(...) Und wir müssen
darüber reden, ob das Maß an Prävention,
das unseren Polizeigesetzen heute
schon eigen ist, genügt. Man könnte
zum Beispiel bestimmte Auflagen für
jemand erlassen, den man nicht abschieben
kann, etwa ein Kommunikationsverbot
im Internet oder mit dem Handy.
Die rechtlichen Probleme reichen bis hin
zu Extremfällen wie dem sogenannten Targeted
Killing …

SPIEGEL: … also der gezielten Tötung von
Verdächtigen durch den Staat. Schon Ihr
Amtsvorgänger Otto Schily hat Islamisten
damit gedroht: „Wer den Tod liebt, kann
ihn haben.“

(...)

SPIEGEL:
Sie dehnen den Rechtsstaat bis an
die Grenzen, wenn Sie ihn zu einem
Präventionsstaat umbauen und dabei auch
staatliche Tötungen in Kauf nehmen.

Schäuble:
Ach, woher denn! Schauen Sie
doch nur in die Polizeigesetze der Länder:
Dort gibt es längst den sogenannten finalen
Rettungsschuss. Das Grundgesetz würde
doch zerbrechen, wenn wir es nicht anpassen
würden, gerade bei solchen zentralen
Fragen. Wer die Freiheit bewahren will,
muss dafür unter veränderten gesellschaftlichen
Bedingungen etwas tun. Wir leben
nicht mehr in der Welt des Jahres 1949.

SPIEGEL:
Kann es sein, dass der Preis der Sicherheit
so hoch ist, dass sich der Rechtsstaat
aus Angst vor dem Terror aufgibt?

Schäuble:
Andersrum ist es richtig. Die freiheitliche
Verfassung wäre gefährdet, wenn
wir den Eindruck erwecken wüden, wir
könnten weniger Schutz gewähren als andere,
weniger demokratische Staatsformen.
Das ist die Erfahrung von Weimar. Ich bin
ein glühender Anhänger der freiheitlichen,
rechtsstaatlichen Verfassung. Aber wenn
wir sie uns von Terroristen nicht nehmen
lassen wollen, müssen wir handeln.

SPIEGEL:
Wäre es sechs Jahre nach den Anschlägen
des 11. September und vor dem
Hintergrund von Guantanamo nicht an der
Zeit, dass der deutsche Innenminister sagt:
Wir sind wachsam, aber eine bestimmte
rote Linie werden wir nicht überschreiten,
weil das unsere Gesellschaft unwiderruflich
verändern würde?

Schäuble:
Diese Frage kann ich nicht akzeptieren.
Ich wünsche mir eine Diskussionskultur,
wo es weniger hysterisch zugeht.
Die rote Linie ist ganz einfach: Sie ist immer
durch die Verfassung definiert, die man
allerdings verändern kann. Ein Vorschlag,
das Grundgesetz zu modifizieren, ist kein
Anschlag auf die Verfassung. Für mich bedeutet
die Stärkung des Präventivgedankens
auch eine Stärkung der Verfassung,
weil sie den Menschen Vertrauen gibt.

SPIEGEL:
Mitunter legen Sie das Grundgesetz
höchst flexibel aus, wenn es um neue
Überwachungsbefugnisse geht, wie etwa
die heimlichen Online-Durchsuchungen
zeigen. Die haben die Sicherheitsbehörden
ohne gesetzliche Grundlage jahrelang
angewandt.

Schäuble:
Moment. Es gab einen Anwendungsfall
im Inland. Ich habe nach dem Urteil
des Bundesgerichtshofs, mit dem die
Richter die fehlende Rechtsgrundlage moniert
haben, die Praxis gestoppt. Ich halte
das Urteil übrigens juristisch für richtig.
Aber das kann doch nicht heißen, dass wir
überhaupt nicht mehr auf Computer zugreifen
können. Jetzt müssen wir eben eine
saubere rechtliche Grundlage dafür schaffen,
und daran arbeiten wir. Wir wollen damit
transparent, kontrolliert und nachprüfbar
umgehen. Ob eine Information, die die
Sicherheitsbehörden mitlesen, den Kernbereich
der Privatsphäre verletzt, muss im Einzelfall
von einem Richter entschieden werden
– nachdem die Daten gesichert sind.

(...)

SPIEGEL: Und nun? Wagen Sie den Alleingang
und bringen die strittige Vorlage inklusive
der Formulierungen für heimliche
Online-Durchsuchungen ins Kabinett ein?

Schäuble:
Noch setze ich auf das Gespräch,
es gibt ermutigende Signale. Gerade hat mir
der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck
noch einmal öffentlich bestätigt, er sei absolut
gesprächsbereit für meine Vorschläge.
Das betrifft auch die Online-Durchsuchungen.
Was mich aufregt, ist der journalistische
Sprachgebrauch. Da ist nur noch von
heimlichen Durchsuchungen die Rede …

SPIEGEL:
… um die es genau geht. Bei
Wohnungsdurchsuchungen sieht die Strafprozessordnung
vor, dass der Durchsuchte
anwesend sein darf. Wenn Sie einen Computer
durchsuchen, erfährt keiner davon.

Schäuble:
Bei der Gefahrenabwehr muss
man gelegentlich auch ohne Wissen der
Betroffenen agieren können. Wenn die Sache
erledigt ist oder sich herausstellt, dass
es keinen Grund gegeben hat oder das Problem
gelöst ist, dann soll und wird die Information
erfolgen.

SPIEGEL:
Die Betroffenen, deren Computer
Verfassungsschutz und Polizei teils über
ein Jahr lang überwacht haben, wissen bis
heute nicht, dass der Inhalt ihrer Festplatten
auch bei den Behörden liegt.

Schäuble:
Wissen Sie, was mich ärgert? Ich
habe diese Entscheidung nicht getroffen –
und die Praxis nach der Gerichtsentscheidung
sogar gestoppt. Ich lasse mir von denjenigen,
die da ein bisschen großzügiger
waren …

SPIEGEL:
… den Sozialdemokraten, die die
Online-Durchsuchung unter Otto Schily
einführten …

Schäuble:
… nicht gern vorwerfen, ich wäre
jemand, der dauernd die Verfassung brechen
will.

SPIEGEL:
Sie wirken, als wollten Sie schon
jetzt die Schuldfrage klären für den Fall,
dass eine Bombe hochgeht.

Schäuble:
Nein, aber das Internet ist zum
zentralen Medium für Islamisten geworden,
und wer das nicht sieht, hat die Zeichen
der Zeit nicht verstanden. Die Sache
drängt. Ich kann nicht bis in die nächste
Legislaturperiode warten.

SPIEGEL:
Biometrische Ausweise, Videoüberwachung,
Fluggastdaten, Geruchsproben,
Tornados über Heiligendamm: Gaukeln
Sie den Bürgern mit solch martialischem
Auftreten nicht ein vermeintliches
Mehr an Sicherheit vor, das Sie nicht versprechen
können?

Schäuble:
Ich bin doch immer derjenige, der
sagt, dass es keine einhundertprozentige
Sicherheit gibt. Ich tue auch als Innenminister
nicht so, als hätten wir alles im Griff.
Ich habe vor der Fußball-Weltmeisterschaft
und vor dem G-8-Treffen in Heiligendamm
gesagt, dass es keine Garantie gibt, dass
alles ruhig bleibt. Deshalb ziehe ich mir den
Schuh nicht an, ich würde durch besonders
martialisches Auftreten einen falschen Eindruck
von Sicherheit vermitteln.

SPIEGEL:
Können Sie nachvollziehen, dass
Ihre Vorstöße bei vielen Bürgern Unbehagen
auslösen?

Schäuble:
Ich weiß, dass es da Ängste gibt
und dass das auch in Meinungsumfragen
nur begrenzt auf Zustimmung stößt. Das
ist so ähnlich wie mit der Volkszählung.
Deswegen verlange ich ja von politischer
Führung, dass sie diese Ängste ernst
nimmt, aber ihnen nicht nachgibt. Wir
müssen versuchen zu überzeugen. Ich werbe
dafür und erkläre es, und ich mache
nichts heimlich, sondern auf klaren verfassungsrechtlichen
Grundlagen.

(...)

********

So, und mir fehlen jetzt leider die Worte
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