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  • kulinux

mehr als 1000 Beiträge seit 29.01.2001

Peer Reviews und Kosten bei Open Access

Mannomann, ich kanns bald nicht mehr hören/lesen:

1. Der Peer Review für Fachzeitschriften erfolgt nicht durch den
Verlag, sondern durch Wissenschaftler, die dafür i.d.R. kein Geld
bekommen, andererseits aber ebenfalls i.d.R. vom Steuerzahler
finanziert werden und dies in ihrer Arbeitszeit tun.
Damit bezahlt der Steuerzahler also gleich 3fach: Für die Forschung
(und redaktionelle Aufbereitung des Artikels durch den Forscher), für
den Review-Prozess und für den Kauf der Zeitschrift durch die
Bibliotheken.

Es gibt überhaupt keinen Grund, warum der Peer Review nicht ohne den
Umweg über den Schreibtisch des Verlegers stattfinden können sollte:
Dafür gäbe es sogar zwei Möglichkeiten:
Entweder, indem Artikel auf einem Open Access Server nur nach einem
Peer Review durch eine begrenzte Gruppe von Wissenschaftlern
veröffentlicht wird - dies würde aber das Problem der
Zitierseilschaften noch immer nicht beseitigen.
Oder, indem die Artikel auf dem Server einem Bewertungsverfahren
unterworfen werden, bei dem namentlich registriert Benutzer
(Wissenschaftler) die Artikel z.B. durch eine Note bewerten - und
dafür auch mit ihrem Namen einstehen. Damit hätten tatsächlich _alle_
"peers" ein Mitspracherecht: Bisher handelt es sich ja eher gerade um
das Gegenteil von dem, was "peer review" vorgibt zu sein - eine
Bewertung durch "Gleichrangige" (Wissenschaftler). Die (weitgehende)
Anonymität des Bewertungsverfahrens ist dabei ein zusätzliches Manko.
In Veröffentlichungslisten könnte man dann die (aktuelle) Benotung
seiner Publikationen mit angeben, so daß auch bei nur wenigen Lesern
eine aussagefähige Bewertung erkennbar wird. Darüber hinaus könnten
die Gutachter von Anträgen und Bewerbungen, an die sich
Publikationslisten ja im wesentlichen wenden, jederzeit online
schnell selbst die Artikel einsehen und sich ein Bild machen.

Namentliche Bewertung (und Kommentierung) hätte weitere Vorteile: Die
von einem Wissenschaftler vergebenen Bewertungen könnten wiederum als
Kriterium zur Beurteilung seiner eigenen Urteilsfähigkeit
herangezogen werden. Und Manipulationen durch Mehrfachabstimmungen
wären zumindest behindert.

M.E. ist also nicht nur die Übertragung des bisherigen Peer
Review-Verfahrens auf Open Access-Systeme problemlos möglich - und
damit kein Argument gegen OA wirklich mehr vorhanden, sondern
eigentlich könnten sogar die negativen Auswüchse dieses Systems
verhindert werden, die aus Anonymität und geringer Zahl der Gutachter
resultieren und z.B. die Unterdrückung "unliebsamer" Forschung
verhindern.

Zugleich dürften die Kosten für dieses Verfahren Bruchteile der
bisherigen Kosten ausmachen - denn die Bereitstellung der
Publikationen auf frei zugänglichen Servern, die von den Unis und
Instituten ja ohnehin betrieben werden, kostet mit Sicherheit weniger
als der private Pressebetrieb. Daneben könnten aber auch Bibliotheken
diese Aufgaben übernehmen - und die für Abos eingesparten Gelder
sinnvoller verwendet werden. Abgesehen davon wären die Bibliotheken
auch dazu prädestiniert, die inhaltliche Erschließung nach Art von
Bibliographien zu leisten und so die gezielte Auffindbarkeit von
Publikationen auch in einer dank OA viel größeren Zahl zu sichern.

Also:
- Veröffentlichung aller Forschungsergebnisse, die öffentlich
finanziert wurden, auf öffentlich und frei zugänglichen Servern.
- namentliches Bewertungssystem
- inhaltliche Erschließung durch Bibliotheken
- Bereitstellung von Publikationsmöglichkeiten auch für
Wissenschaftler "außerhalb" der Institutionen (Dank der formidablen
"Forschungsförderung" unserer Regierung sind ja - besonders in den
Geisteswissenschaften - viele Wissenschaftler inzwischen frei von
Bindungen an Unis und Instititute und wäre dann aber ausgeschlossen
von deren Veröffentlichungskanälen.)

Ich bin sicher, daß der Gewinn für die Forschung (und auch für die
Allgemeinheit, die sie finanziert) ganz erheblich wäre - und das bei
geringeren Kosten.
Innerhalb weniger Jahre wäre es möglich, das System so umzukrempeln,
daß auch die privatwirtschaftlich finanzierte Forschung danach
drängen würde, dort mitzuspielen. Es fehlt nur der politische Wille -
und die Geduld, "etablierten" Wissenschaftlern immer wieder zu
erklären, daß erst mit OA wirklicher "peer review" möglich wäre und
die Qualität der Veröffentlichungen sich nicht darüber definiert.
Abgesehen davon: Wer massenhaft schlechte Beiträge publiziert, würde
einfach irgendwann genauso ignoriert, wie dies heute auch schon
möglich ist - nur läßt sich das mit Server-Zugriffsstastiken leichter
belegen, als mit einem händisch ausgezählten und nach beliebigen
Kriterien gewichteten Citation Index ...

Kuli
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