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12 Beiträge seit 12.02.2003

1. Mitglieder des Parlaments sind auch "Laien", 2. Wahlrechtsentzug für "Laien"?

Dass "Laien" über schwierige Themen nicht entscheiden können ist ein
Standardargument von Deutschen gegen die direkte Demokratie, das fast
jedes Mal bei diesem Thema erwähnt wird.

Ich meine, dass dieses Argument nicht haltbar ist, insbesondere aus
den folgenden zwei Gründen:

1. Mitglieder eines Parlaments sind in den meisten Fachgebieten, über
die in der Politik entschieden werden muss, ebensowenig
SpezialistInnen wie die Mehrheit der übrigen BürgerInnen. Sowohl bei
Volksabstimmungen als auch bei Abstimmungen im Parlament müssen sich
die Abstimmenden ihre Meinung teilweise auf der Grundlage von
Aussagen von Personen, die sich speziell mit dem betreffenden Gebiet
befassen, bilden (meistens gibt es unter den SpezialistInnen
natürlich auch verschiedene Ansichten, dann muss man sich
entscheiden, wen man für glaubwürdiger hält).
Der Unterschied ist nicht, ob mehrheitlich Laien entscheiden - das
ist bei den meisten Sachfragen sowohl im Parlament als auch bei
Volksabstimmungen der Fall -, sondern wie öffentlich und transparent
der Meinungsbildungsprozess ist.

2. Eine fundierte Meinungsbildung vor einer Volksabstimmung mag
tatsächlich nicht immer einfach sein. Im Vergleich dazu ist aber der
Entscheid, welcher Partei man bei einer Wahl die Stimme geben soll,
noch sehr viel schwieriger: Bei einer Wahl geht es nicht um eine
einzelne Frage, zu der man in den Medien viele Informationen findet,
sondern um die *Gesamtheit* aller politischen Fragen und zusätzlich
noch darum, wie das Verhalten einer Partei zu in der Zukunft
auftretenden Fragen vorhergesehen wird. Wie soll man im Ernst
erwarten können, dass ein "Laie" die folgenreiche Entscheidung, wer
in den folgenden Jahren die politischen Entscheidungen treffen soll,
auf fundierte Weise entscheiden kann? Alle Argumente gegen
Volksabstimmungen sind gleichzeitig auch Argumente gegen Wahlen, denn
jemand, der nicht fähig ist, sich zu einzelnen politischen Fragen
eine fundierte Meinung zu bilden, ist erst recht nicht in der Lage,
bei einer Wahl, bei der es gleichzeitig um sehr viele politische
Fragen geht, die sehr viel Hintergrundwissen verlangen, eine
fundierte Entscheideung zu treffen.
In einer halbdirekten Demokratie wie der Schweiz haben die Wahlen ein
geringeres Gewicht als in einer rein repräsentativen Demokratie, das
gewählte Parlament fällt zwar die Mehrheit der politischen
Entscheidungen, aber bei den besonders wichtigen (die Referenden und
Initiativen, für die genügend Unterschriften gesammelt wurden, oder
Verfassungsänderungen) kann man sich auch anders entscheiden als die
Partei, der man die Stimme gegeben hat, empfiehlt. Bei solchen
Abstimmungen geht es meistens um klar umrissene Fragen, die dann in
der Öffentlichkeit und den Medien breit diskutiert werden. Deutsche
WählerInnen werden dagegen maßlos überfordert: Sie müssen schon bei
der Wahlentscheidung die künftig zu erwartenden Positionen der
jeweiligen Parteien bei wichtigen Sachfragen mitberücksichtigen.

Man könnte die Meinung vertreten, dass "Laien" bei der sehr komplexen
Frage, welche Partei die bessere Politik vertritt, überfordert sind.
Dann müssten Wahlen abgeschafft werden und eine Diktatur eingeführt
werden. Wenn man aber meint, dass "Laien" in der Lage sind, zu
entscheiden, wer sie im Parlament in einer Vielzahl von politischen
Fragen besser vertritt, ist es absurd anzunehmen, dass diese "Laien"
nicht auch in Abstimmungen über einzelne politische Fragen
entscheiden können. Wenn "das Volk" tatsächlich so dumm wäre wie in
deutschen Diskussionen zur direkten Demokratie immer wieder behauptet
wird, müsste diesem Volk sofort das Wahlrecht entzogen werden, denn
bei seiner behaupteten Dummheit ist anzunehmen, dass die falschen
Parteien gewählt werden.
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