"Eilentscheidung" über die Vorratsdatenspeicherung verzögert sich weiter

Beim Bundesverfassungsgericht konnten sich Erster und Zweiter Senat nicht einigen, wer über den Eilantrag gegen die Novelle der Telekommunikationsüberwachung entscheiden darf, nun soll der "Sechserauschuss" ein Machtwort sprechen.

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Von
  • Stefan Krempl

Beim Bundesverfassungsgericht konnten sich Erster und Zweiter Senat nicht einigen, wer über den Eilantrag gegen das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung entscheiden darf. Nun soll die für solche Streitfälle vorgesehene Vermittlungsinstanz in Form des sogenannten Sechserauschusses ein Machtwort sprechen. Diesem Gremium gehören jeweils drei Mitglieder beider Kammern an. Kommt es zu einem Patt, entscheidet Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier vom Ersten Senat. Mit der Klärung der grundsätzlichen Zuständigkeiten für die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten in Karlsruhe ist somit frühestens nächste Woche zu rechnen.

Die gerichtsinterne Auseinandersetzung hängt sich daran auf, dass die Vorkehrungen zur Vorratsdatenspeicherung hierzulande prinzipiell eine EU-Richtlinie umsetzen sollen. Für Verfassungsbeschwerden, die europarechtliche Regelungen betreffen, ist an sich der Zweite Senat zuständig. Dessen konservativer Vorsitzender, Udo di Fabio, setzte sich vor kurzem sehr kritisch mit den Gefahren eines "Präventionsstaats" auseinander. Di Fabio gilt zugleich als EU-Skeptiker. Er möchte die Entscheidung über die Vorratsdatenspeicherung laut einem Bericht der taz daher anscheinend zum Anlass nehmen, um den grundsätzlichen Vorrang von EU-Recht vor nationaler Gesetzgebung in Frage zu stellen.

Eigentlich behandelt die meisten Grundrechts- und Überwachungsfragen aber der Erste Senat, wo noch bis zum Frühjahr der Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zuständig ist. In das Aufgabenspektrum des liberalen Juristen während seiner letzten Monate im Amt gehört das Urteil über heimliche Online-Durchsuchungen in Nordrhein-Westfalen, die das Gericht im Oktober mit großer Skepsis verhandelte. Zugleich würde Hoffmann-Riem anscheinend aber auch noch gern über den Eilantrag gegen die Vorratsdatenspeicherung federführend mit bestimmen.

Der Berliner Anwalt Meinhard Starostik, der zunächst im Namen von acht Erstbeschwerdeführern an Silvester gemeinsam mit dem Reutlinger Steuerberater Heinz Raschdorf persönlich in Karlsruhe die Klage des Bundesverfassungsgerichts einreichte, hält eigentlich den Ersten Senat für zuständig. Der Schwerpunkt der Beschwerde, für die Starostik insgesamt rund 30.000 Vollmachten besorgter Bürger vorliegen, liege nicht auf dem Europarecht. Schließlich gehe das deutsche Umsetzungsgesetz auch in vielen Punkten über die EU-Vorgaben hinaus. So dürfen damit Ermittler etwa auch bei der Verfolgung beziehungsweise Abwehr aller "mittels Telekommunikation begangener Straftaten" auf die Datenberge zugreifen. In der EU-Richtlinie wird diese Möglichkeit auf "schwere Straftaten" beschränkt. Weitere parallele Verfassungsbeschwerden ohne Eilanträge haben unter anderem FDP-Politiker eingereicht, die der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch vertritt.

Der Steuerexperte Raschdorf gab derweil gegenüber dem Schwäbischen Tagblatt zu Protokoll, dass die Auswirkungen der Anfang des Jahres in Kraft getretenen Vorschrift zur Massendatenlagerung bereits im Kanzleialltag zu spüren seien. Mandanten wollen ihm zufolge nicht mehr am Telefon reden, würden auf Besprechungen bei sich zuhause drängen. Häufige Kontakte zum Steuerberater könnten schließlich den Argwohn der Behörden wecken. Zudem werde "Lobbyarbeit gewaltig beeinträchtigt", befürchtet das Vorstandsmitglied der Stuttgarter Steuerberatungskammer. Generell würden Berufsausübungen, die etwa bei Anwälten, Ärzten oder Journalisten Vertraulichkeit voraussetzen, beeinträchtigt. Die Chancen der Beschwerde hält Raschdorf für "völlig offen". Er hofft aber, dass auch der Gesetzgeber das Zeichen verstehe, wenn nun 30.000 "auf die Barrikaden" gehen. Bei der in Karlsruhe gestoppten Volkszählung in den Achtzigern habe es nur 1300 Unterstützer der damaligen Verfassungsbeschwerde gegeben.

Unterdessen kündigte auch das P.E.N.-Zentrum Deutschland an, die Massenklage gegen die Vorratsdatenspeicherung mit zu tragen. Das entsprechende Gesetz stelle "einen gravierenden Verstoß gegen die Grundwerte des Rechtsstaats dar", gab die Schriftstellervereinigung bekannt. Es sei daher "unvereinbar mit den Prinzipien der von der Verfassung garantierten Pressefreiheit". Außerdem bestehe die Gefahr des Missbrauchs der sechs Monate lang verdachtsunabhängig vorzuhaltenden Datenmengen für kommerzielle Zwecke.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) (jk)