Digital Life Design: Vergesst Google

Die Euphorie, mit Web 2.0 und Netz das große Geld zu machen, ist auch auf der Konferenz "Digital Life Design" verflogen, aber es sind genug Ideen für den "Upload in das 21. Jahrhundert" da. Die kleinen Träume sind bekanntlich die schönsten.

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Von
  • Detlef Borchers

Nach einem schwachen Start folgte ein kurioses Ende – das Supermodel Naomi Campbell tauchte divalike resting einfach nicht auf. Zwischendrin experimentierten die Veranstalter mit dem aparten Umstand, 1500 eingeladene Gäste in ein Konferenzgebäude zu schicken, das auf maximal 700 Personen ausgelegt ist. Dennoch hatte die Münchener Konferenz Digital Life Design auch inhaltlich etwas zu bieten. Die Euphorie, mit Web 2.0 und Netz das große Geld zu machen, ist verflogen, aber es sind genug Ideen für den "Upload in das 21. Jahrhundert" da. Die kleinen Träume sind bekanntlich die schönsten.

Das Konferenzmotto vom Upload nahm Craig Venter wörtlich, der in einer Diskussionsrunde anregte, den digitalisierten Genom-Code des Menschen in den Weltraum zu senden. Vielleicht wird irgendwer das seltsame Wesen nachbauen, das zwanghaft ins schnatternde Networking verfällt, sobald vier Exemplare der Gattung beieinander stehen. Etwas bescheidener und viel treffender fiel das Fazit von Clay Sirky mit "Here Comes Everbody" aus: Jeder Upload ist eine Aktion, eine Demonstration gegen die Glaubwürdigkeit alter Medien, denen das Gespür für grundlegende Veränderungen fehlt. Auch wenn sein Vortrag nur Werbung für sein gleichnamiges Buch war, hielt Shirky noch das beste Plädoyer für das auf der Konferenz so vergötterte Mitmachweb.

Shirky sprach auf dem Panel mit dem seltsamen Titel "Exploding Media". Neben ihm versuchte der Technorati-Macher Peter Hirshberg mit einer mantamäßig niedergelegten Version des Cluetrain-Manifests unter dem Titel Manifesto on Monday Morning (PDF-Datei) zu überzeugen. Einen schönen Vortrag lieferte dabei der amerikanische Blogger Jeff Jarvis ab: Er mokierte sich über die ewigen Google-Klagen und das ständige Rätselraten, was Google wohl machen könnte, eher solle man manches Mal für eigene Ansätze überlegen, wie Google etwas schon realisiert habe – nicht ohne Werbung für Glam zu machen, eine Art Star 2.0.

Was Google machen will, erklärte Vizepräsidentin Marissa Mayer am Beispiel des "lebensrettenden" Google Earth. Die ganze Erde im Meterbereich kartographiert, dazu gespickt mit Informationen, wandert auf Google-Handys und in Google-Navis, welche ihrerseits Stauinformationen exklusiv an Google melden. Mayer spulte ihre Präsentation routiniert ab, nachdem sie Tags zuvor sichtlich verärgert war: Auf dem Panel mit dem Titel "Humans disrupting Algorithms" diskutierten Jason Calacanis von Mahalo und Jimmy Wales von Wikia Search über ihre Google-Alternativen, bei denen User an die Macht kommen sollen. Auf die von Jason ausgesprochene Vermutung, dass bei Google auch Menschen damit beschäftigt sind, Suchresultate vom üblichen SEO-Spam zu reinigen, reagierte Mayer im Publikum ablehnend. Am Ende wurde die Idee der freiwilligen kostenlosen Mitarbeit, auf der Wikia Search fußt, von Calacanis angegriffen: Sein Mahalo beschäftigt 60 Angestellte und bezahlt 400 freie Mitarbeiter: "Ich glaube daran, dass Leute für ihre Arbeit bezahlt werden müssen. Ich bin von Haus aus Journalist und bin allergisch, wenn die Schreibarbeit entwertet werden soll." "Niemand arbeitet umsonst. Unsere Leute arbeiten nicht, sie haben Spaß an der Sache", entgegnete Wales, "das ist das Prinzip vom Web 2.0."

Den meisten Beifall auf der dreitägigen Konferenz erhielt der Ex-SAP-Mann Shai Agassi, der für seine Idee von der Green Trasportation warb, die einstmals nach der ersten Ölkrise schon Volkswagen hatte. Damals wollte man Deutschland mit einem Netz von E-Tankstellen überziehen, auf denen robotergesteuert die Batterien minutenschnell umgetauscht werden sollten. Die Idee, mit Prepaid-Strombehältern den energieverschwendenden Verbrennungsmotor abzulösen, will Agassi zunächst in Israel realisieren und dann die Erfahrungen auf andere Länder übertragen.

Im vierten Jahr ihres Bestehens war Digital Life Design nicht nur hoffnungslos überlaufen, sondern auch mit Themen vollgestopft. Von der Debatte über die Netzkosten bis zur Präsentation neuer Computerspiele waren sehr unterschiedliche Aspekte des digitalen Lebensstils vertreten. Nächstes Jahr möchten die Veranstalter mit der Robotik ein weiteres Themenfeld erschließen. Bleibt zu hoffen, dass dann Frischluftroboter mit von der Partie sind.

Zum Kongress Digital Life Design siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)