Festival für Geeks

Kunst und Technik kommen auf dem Sundance Filmfestival in Park City zusammen.

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Wenn sich die US-Filmprominenz bei der Oscar-Verleihung Ende Februar in Los Angeles selbst feiert (so ihnen die streikenden Drehbuchautoren nicht die Party versauen), sind einige der prestigeträchtigen Trophäen längst vergeben. Separat geehrt werden Leistungen, die einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Filmtechnik und der Industrie geleistet haben. Häufiger als in den künstlerischen Kategorien werden hier auch deutsche Beiträge ausgezeichnet. In diesem Jahr zeichnet Hollywood Jörg Pöhler und Rüdiger Kleinke von der OTTEC Technology GmbH für eine kleine, akkubetriebene Nebelmaschine ("Tiny Fogger") aus. Für einen Mini-Dolly für Kameras werden Sebastian Cramer und Andreas Dasser (P+S Technik GmbH) geehrt. Die Academy-Preise für Forschung und Technik werden nicht in aller Stille, aber im Rahmen eines weniger beachteten Gala-Dinners, zwei Wochen vor dem Promi-Aufmarsch am Kodak Theatre vergeben. Kein roter Teppich für die Geeks.

Nicht alle halten es wie die traditionsbewusste Academy. Dass aktuelle Technik längst ein wichtiger Faktor in der Filmproduktion ist, zeigt sich auf dem Sundance Filmfestival, dessen Besucher derzeit die Straßen von Park City (US-Bundesstaat Utah) verstopfen. Das früher einmal überschaubare Independent-Festival hat sich längst zur hektischen Buzz-Börse gemausert, auf der dicke Hollywood-Moguln den talentierten Nachwuchs suchen und finden. Gerade für die hoffnungsfrohen Jungfilmer hat die technische Entwicklung der vergangenen Jahre einen Riesenschritt nach vorne bedeutet. Noch nie war es so einfach und erschwinglich, einen professionell aussehenden Film zu drehen – zumindest von technischer Seite. Kein Wunder also, dass sich Unternehmen wie Microsoft, Adobe, HP und Sony unter den Sponsoren des Sundance Festivals finden. Microsoft zum Beispiel stiftete dem letztjährigen Festivalgewinner ein Budget von 100.000 US-Dollar, um den Film als High Definition DVD herausbringen zu können.

Der technische Fortschritt hat maßgeblich zur Demokratisierung der einstmals teuren und unerreichbaren Produktionsmittel beigetragen. Nicht nur die Pornobranche hat das längst gemerkt. 69 der 123 Langfilme auf dem Festival wurden auf HD Video gedreht. Mit digitalen Videokameras lassen sich brauchbare Aufnahmen machen. Dank starker Rechenleistung, ausreichend Speicherplatz und mit erschwinglicher Software lassen sich Filme inzwischen auf einem handelsüblichen Laptop schneiden und nachbearbeiten. Sogar digitale Effekte können Jungfilmer auf dem heimischen Rechner produzieren. In nur vier Tagen und mit nur ein paar Leuten lässt sich dank moderner Technik die Invasion der Alliierten am Omaha Beach nachstellen, wie ein Making-of-Video für eine Geschichtssendung der BBC zeigt.

Sundance misst dem technischen Forstschritt auch über die Weiterentwicklung der Produktionsmittel hinaus eine zentrale Bedeutung für die Branche zu. Das schlägt sich in diesem Festivaljahr im Programmteil "New Frontier" (mit "neue Grenzen" unzureichend übersetzt) nieder. Popstar Bono, dessen bunte Brille derzeit überall aufzutauchen scheint, stellte einen Konzertfilm seiner in die Jahre gekommenen Betroffenheitsrockband in neuer 3D-Technik vor. Bei dem neuen Verfahren nehmen zwei synchronisierte Digitalkameras das Geschehen auf – wie zwei menschliche Augen. Das früher aufwändige und teure 3D-Verfahren wird durch Digitalkameras und Software für Indie-Filmer erschwinglich.

In Park City wird in diesem Jahr aber auch neues Terrain betreten. Filmemacher, Techies und Künstler sollen an der New Frontier zusammenkommen und sich über die neuesten Entwicklungen an der Multimediafront austauschen. Dort finden sich Projekte wie "Tracking Transcience: The Orwellian Project" von Hasan Elahi. Der unter Terrorismusverdacht geratene und ein halbes Jahr vom FBI beobachtete Künstler entwickelte ein System, mit dem die FBI-Agenten (und die Netzöffentlichkeit) stets seinen aktuellen Aufenthaltsort ermitteln können. Das Graffiti Research Lab stellt sein mobiles "L.A.S.E.R. Tag"-System vor, einen Graffiti-Projektor für große Flächen.

Dazu gibt es Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen, auf denen sich die Film-Community mit globalen Themen wie Medienkonvergenz und Web 2.0 beschäftigt; dazwischen läuft eine Filmpremiere in Second Life, in Anwesenheit von Tilda Swintons Avatar. Web 2.0, soziale Netzwerke und die Videoplattformen sind für die Filmleute ein wichtiges Thema. Auch das Festival bedient sich der neuen Möglichkeiten im Netz. Zahlreiche der auf dem Festival gezeigten Kurzfilme gibt es für 1,99 US-Dollar bei Xbox-Live und iTunes (nicht in Deutschland) sowie für Netflix-Abonnenten zu sehen. Im Laufe der zehntägigen Veranstaltungen wird zudem täglich ein Kurzfilm auf der Website des Festivals gezeigt, neben zahlreichen Videointerviews sowie Podcasts. Doch bei aller Liebe zu neuen Medien ist so ein Festival vor allem eins: Treffpunkt und Forum für den direkten Austausch. Keine Online-Plattform kann das ersetzen. Networking 1.0, voll analog. (vbr)