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Was war. Was wird.

Wenn die Nacht am tiefsten, sind die Verschwörungstheorien am schönsten, bemerkt Hal Faber: Denn das Internet ist wie das Bild einer Pfeife, das keine Pfeife ist.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Süddeutsche Zeitung beglückt uns mit einem Feuilleton, in dem regelmäßig das Internet im Allgemeinen und die Computerkultur im Besonderen in die Tonne getreten wird. Nun hat sich dieses Feuilleton der Leute angenommen, die in Digitalien arbeiten und ihnen einen Namen verpasst. Offensichtlich erschien Bobo zu verspielt und bar jeder bayerischer Konotationen. Darum ein dreifaches Helau für die Alternative, den Internet-Tröpi, kreiert anlässlich der Verleihung des Kulturellen Ehrenpreises der Stadt München. "Der Internet-Tröpi wird schon bald die Lachnummer abgeben, daran besteht kein Zweifel. Das wird die Menschen erheitern, die innerhalb der Netzwerke leben und es wird die beschämen, die draußen geblieben sind." Zu Ehren der SZ wollen wir es also mit den Tröpis versuchen. In drei Jahren, wenn gerademang fünf Websites vom allgemeinen Dot.Com-Wahn übrig sind, kommen die Bobos und Tröpis in die Wiedervorlage.

*** Und da holen wir sie gleich wieder heraus: Bei der ins Schlingern geratenen Beraterfirma Scient haben die Tröpis heute schon eine besonders gute Lachnummer gelandet. Ihre Presseerklärung führt aus: "Die Internet-Ökonomie hat den Arbeitsplatz für immer verändert. Für Firmen, die dies erkannt haben, ist es ein Leichtes, neue Mitarbeiter zu bekommen und qualifizierte Mitarbeiter zu halten". Eine hübsche Sache das, würde sie nicht in einer Presseerklärung auftauchen, die die Entlassung von 460 Mitarbeitern verkündet.

*** Entlassen werden auch die spezialisierten Bodyguards in Washington, die sich um den präsidentalen Kater Socks zu kümmern hatten. Der ist ab heute eine ganz normale Hauskatze, die ohne diplomatische Verwicklungen platt gefahren werden kann. Platt wie Socks nach einer unachtsamen Überquerung der Straße vor dem Weißen Haus ist unsereiner aber allein schon, wenn er am Computer sitzen bleibt: Auf die Menschheit losgelassen wurde außer Socks auch eine Studie von Super RTL, die die Surfgewohnheiten von Kindern zwischen 8 und 12 Jahren in Deutschland untersucht. In Deutschland sollen 2,1 Millionen Mitglieder dieser Altergruppe täglich online sein. 180 Websites führten die 762 befragte Kinder an, neben Hits wie pokemon.de allgemeine Webnamen wie www.katze.de. Dennoch ermittelten die Frager eine Hitliste, in der Super RTL gewann: "67 Prozent der Nachwuchssurfer haben SuperRTL.de mindestens schon einmal angeklickt. Damit ist das Online-Portal von Super RTL die bekannteste Adresse im Netz überhaupt bei den jungen Usern..." Die Technik, die solche Ergebnisse bringt, ist in einem Nebensatz beschrieben und nennt sich "gestützte Nachfrage". Auf einer gedruckten Liste konnten die Kinder auf das zeigen, was sie interessiert. Jedem Allgemeinthema von Katzen bis Pokemon wurde dabei eine Sendung zugeordnet, die bei Super RTL läuft. So gewinnt man Umfragen und Wahlen.

*** Gleich neben Katze.de finden wir im Alphabet latze.de und damit im Web eine Initiative "Saufen gegen Rechts", deren Anhänger nur in politisch korrekten Kneipen zum Glas greifen. Dort soll es einmal im Monat eine "Happy Night gegen Rechts" geben. Das erinnert mich an eine Initiative, die Anfang der 80er aktiv war, sich Rock gegen Rechts nannte und an Orten wie Eschwege im damaligen Zonenrandgebiet die Bands rocken ließ, wenn Nazis ihre Aufmärsche abhalten wollten. Heute ist das gepflegter, es gibt nicht mehr Rock gegen Rechts mit Zuhörern, die auch mal 'ne Bühne verteidigen oder Lou Reed nach einen schlechten Konzert aufmischen können, sondern Rock gegen rechte Gewalt, gesponsert von BMW, Deutsche Telekom, RTL, Stern, step 21, Volkswagen und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, eben das übliche breite Bündnis, das ein Zeichen gegen rechte Gewalt setzen will. Rock gegen Rechts, ein Import von Rock against Racism, hatte damals eine kleine Hymne namens "Klau, lies und kotz", gespielt von der Gebrüder Engels Band, zu der Bild-Zeitungen abgefackelt wurden. Heute ist das undenkbar, eben Ausdruck mangelnder Toleranz, wie es bei Step 21 heißt. Das ist eine Initiative nach alter Rechtschreibung (nix Stepp 21), die Jugendliche ausbildet, die dann als "Toleranz-Schiedsrichter" Chatrooms überwachen sollen. Träger dieser Initiative sind Bertelsmann, DaimlerChrysler, Siemens und das Grandhotel Esplanade. Zusammen mit Bundespräsident Johannes Rau und Experten aller Ministerien hat die Initiative in der letzten Woche damit begonnen, eine "Netiquette der Toleranz" zu entwickeln, die weltweit "die veraltete Netiquette des frühen Internet" ersetzen soll. Warum fällt mir hier nur ein bekanntes Lied der Gebrüder Engels ein?

*** Die Erinnerung an die Gebrüder Engels bringt eine andere Band wieder zum Vorschein, diese Abschweifung sei mir aus aktuellem Anlass gestattet. Ton Steine Scherben, gegründet 1970 in Berlin, waren so etwas wie das musikalische Sprachrohr der proletarischen Berliner Fraktion der Studentenbewegung. Während sich die Frankfurter in philosophischen Disputen mit Adorno herumschlugen, wurde in Berlin das Rauch-Haus besetzt. Exoten aber gab es wohl auch in Frankfurt: Die Putzgruppe gereicht heute dem Außenminister der Bundesrepublik zu Ehre oder zu Schande, je nach Fraktionszugehörigkeit – nein, nicht in irgendwelchen außerparlamentarischen Grüppchen, sondern im Bundestag. So ändern sich die Zeiten, so unhistorisch ist die Bundesrepublik, dass eine CDU-Vorsitzende nicht vor Scham errötet, wenn sie, von keiner tieferen Kenntnis der bundesrepublikanischen Geschichte nach 1945 angekränkelt, vulgärpsychologischen Unsinn gegen einen ehemals APOlitischen und straßenkämpfenden Außenminister daherbramarbasiert. Aber nun ja, die offizielle Web-Site der Band lässt heutzutage auch etwas zu wünschen übrig – außer ein paar Links zum Bestellen ist nicht viel zu finden. Ton Steine Scherben als die Bobos der Rock-Musik? Auch eine Erklärung dafür, dass ihre ehemalige Managerin nunmehr Vorstandschefin der Grünen ist – natürlich als Linke, um die Ausgeglichenheit gegenüber dem Realo Kühn zu bewahren. Die Grünen in ihrer Ausgeglichenheit erinnern inzwischen an die Proporz-Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Womit ich nichts gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesagt haben will – der bringt ab und zu wenigstens noch ein paar anständige Sendungen zusammen. Die Sendung der Grünen beschränkt sich inzwischen wohl darauf, Bärbel Höhn als die Wilde vom Niederrhein zu präsentieren.

*** Wenn wir noch etwas mehr abschweifen, stellen wir allerdings fest, dass die wahrscheinliche neue (zweite) Grünen-Bundessprecherin Claudia Roth erst Anfang der 80er-Jahre Managerin von Ton Steine Scherben war – also nichts mehr mit "Keine Macht für Niemand", eher ein tieftrauriges "Wenn die Nacht am tiefsten...". Auch ein passendes Motto für eine Grünen-Chefin Anfang des Jahres 2001. Wie gut, dass Rio Reiser, ehemaliger Sänger der Scherben und potenzieller "König von Deutschland", das nicht mehr erleben musste. Und wir können nur hoffen, dass wir etwas anderes nicht erleben müssen: Dass eine Tochter von Reiser auftaucht. Denn die Töchter der Berühmtheiten aus der bewegten Zeit der Bundesrepublik scheinen so ihre Probleme mit der Geschichte ihrer Eltern zu haben – genauso wie die Studentenbewegten mit derjenigen ihrer Eltern. Rio Reiser ist tot, Ulrike Meinhof ist tot – aber Bettina Röhl, Tochter von Meinhof und des ehemaligen Konkret-Herausgebers, inzwischen aber ins – nun ja – rechte Lager abgewanderten Klaus Rainer Röhl, ist quicklebendig und passt gut in das Internet-bewegte 21. Jahrhundert, in dem Verschwörungstheorien Hochkonjunktur haben und nichts so abstrus ist, als dass sich nicht eine Fangemeinde darum bilden könnte. Warum auch nicht – es gibt ja auch Fan-Clubs für Betriebssysteme und Prozessoren. Im Unterschied dazu haben Verschwörungstheorien den Vorteil, dass ihnen etwas halbwegs Spannendes innewohnt.

*** Immerhin versteht Röhl das Internet für ihr dunkles Geraune über das Scientology-artige "Fischernetz", das die Bundesrepublik im Würgegriff hält, zu nutzen. Was uns wieder zu der Erkenntnis treibt, die Louis Aragon, wenn auch in anderem Zusammenhang, das "Wahr-Lügen" nannte. Die virtuelle Welt mag ihre eigene Realität haben, sie ist aber nicht die Realität. Manche Leute – in der realen Welt der Ökonomie auch schon mal Bobos genannt – scheinen das zu vergessen. Das sind dieselben Leute, die vor Margrittes Bild einer Pfeife stehen und nicht verstehen, warum der Belgier darunter schrieb, dies sei keine Pfeife. Röhls Vorgehen jedoch ist aber immer noch eine bessere Methode, Auswüchse eines verwirrten Geistes und Enthüllungen über wilde Konspirationen zu verbreiten als die Bekennerschreiben ihrer Mutter, die ohne die Knarre, die im Hintergrund zu sehen war, niemand gelesen hätte. Diese virtuelle Realität war allzu oft allzu real.

*** Statt "Wenn die Nacht am tiefsten..." also vielleicht doch lieber "Our Darkness" von Anne Clark, statt "Macht kaputt, was Euch kaputt macht" eher "Know your Enemy" von Rage Against The Machine? Mir soll es recht sein: Wenn's der Wahrheitsfindung dient. In Rage jedenfalls, um etwas weniger abzuschweifen, scheinen sich Herbie Hancock und Peter Gabriel zu reden. Wollen sie doch die Musiker unabhängiger von den Labels machen – und das natürlich mit dem Allheilmittel unserer modernen Welt, dem Internet. Der Zaubertrank der schönen neuen Welt braucht keinen Miraculix mehr, der mit golderner Sicheln ein paar Misteln absäbelt, der Stein der Weisen der Post-Moderne kann auf einen Böttger verzichten, der statt Gold immerhin noch Porzellan produzierte. Denn das Internet macht es selbst: Schüler zu besseren Schülern, Unternehmen zu besseren Unternehmen, Revolutionäre zu besseren Revolutionären, und Rechtsradikale – nein, nicht zu besseren Rechtsradikalen, sondern zu effizienteren, die sich sogar der Aufmerksamkeit des Bundespräsidenten sicher sein können. Kein Wunder, dass auch Hancock und Gabriel dem Internet wundersame Kräfte zuschreiben: Das Plattenlabel von Hancock und der Music-on-Demand-Service von Gabriel brauchen auch Leute, die sie vermarkten können. Vielleicht sollten sie einmal mit Bertelsmann sprechen. Die suchen auch verzweifelt nach dem Internet als Stein der Weisen, der Mist zu Gold macht. Den Misthaufen haben manche, die es wissen müssen, schon gefunden. Bertelsmann fand bislang nur Napster.

Was wird.

In der nächsten Woche findet wieder einmal das Weltwirtschaftsforum in Davos statt. Der Ort liegt in den Schweizer Bergen und wird schon jetzt nach einer Meldung der Neuen Zürcher Zeitung von dem größten Schweizer Aufgebot an Polizisten abgeschirmt, das es je gegeben hat. Alles, damit die "hervorragendsten Denker des Cyberspace den weit blickenden Politkern die strategische Marschrichtung der neuen Ökonomie" mitteilen können. In seinem Buch "Der flexible Mensch" hat Richard Sennett diesem Hofstaat der Eitelkeiten ein Denkmal gesetzt und den "Homo Davosiensis" skizziert, den er am besten in Bill Gates verkörpert sah (der nächste Woche in Davos zum Thema .NET sprechen soll). Der Homo Davosiensis ist der leitende Bobo (Tröpi?), der sich flexibel an alle Erfordernisse anpassen kann, und nicht darunter leidet, fragmentiert zu sein, wenn er ein Hendrix-Museum gründet und gleichzeitig mit seinen Investitionen in sichernde Kopier-Technologien der Musik à la Hendrix den Hahn abdreht. Allen Journalisten, die Bill Gates hören wollen, hat Microsoft zur Vorbereitung eine nette Broschüre geschickt, den "Grundkurs Software-Lizenzen". Wer den Mann interviewen will, darf keinen Waibel-PC haben und muss den Leistungskurs "Software-Lizenzen im Internet" erfolgreich bestanden haben. (Hal Faber) / (jk)