Computer sieht für Blinde

US-Forscher haben ein Computersystem entwickelt, das Blinde in gewissem Umfang sehend macht.

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Von
  • Adolf Ebeling

Wer denkt schon daran, wie viel Informationen er unablässig über seine Augen aufnimmt: Ein Tor nach außen, das den schätzungsweise weltweit 45 Millionen blinden Menschen ständig verschlossen bleibt. Zwar gibt es eine Reihe von Hilfsmitteln, die ihnen beispielsweise das Lesen von Texten erlaubt, die nicht speziell in Brailleschrift vorliegen, doch sind die Blinden dabei auf mehr oder weniger transportable Geräte wie Bildschirmleser oder Textscanner angewiesen.

"Unsere Absicht aber ist es", so Prof. Nikolaos G. Bourbakis vom College of Engineering and Computer Science an der Wright State University in Ohio, "Blinde und Sehbehinderte im täglichen Leben zu unterstützen", sodass sie auch ortsunabhängig ein Buch oder eine Zeitung lesen können. Möglich machen soll dies das seit 1995 von Bourbakis und seinem Team entwickelte Computersystem "Tyflos", benannt nach dem griechischem Wort für "blind".

Der derzeitige Prototyp von Tyflos besteht aus einem tragbaren Computer, einer winzigen Kamera, Ohrhörer sowie Mikrofon. Die Kamera ist in ein Brillengestell integriert und per Kabel mit einem modifizierten Laptop verbunden, den man auf dem Rücken trägt. Tyflos kann nicht nur Zeichen erkennen, sondern – unter idealen Laborbedingungen – auch Bewegungen und sogar Gesichter. Dabei versucht das System, das aufgenommene Geschehen zu interpretieren und gibt die "gesehenen" Ergebnisse übersetzt in Sprache per Kopfhörer an den Blinden weiter. Tyflos reagiert auch auf Anfragen des Trägers. So kann dieser beispielsweise Fragen stellen wie: "Was befindet sich direkt vor mir?" oder "Wer hat gerade den Raum betreten?"

In enger Verbindung mit Tyflos steht das iCare-System, das an der Arizona State University entwickelt wird. Realisiert hat man bislang allerdings nur eine noch nicht am Körper tragbare Leseeinheit, die gedruckte Texte (aber keine Handschriften) schnell in synthetische Sprache umwandeln kann.

In beiden Projekten ist es noch ein weiter Weg bis zum geplanten finalen System. Das soll einen Human-Recognizer enthalten, der auch im alltäglichen Leben die Gesichter von Personen identifiziert – nach Abgleich mit gespeicherten Portraits. Ein Scene-Analyzer, der die nähere Umgebung prüft und eventuelle Hindernisse ausmacht, könnte den Blinden bei der Navigation in unbekannten Räumen entscheidend helfen.

Einen ganz anderen Weg schlagen Implantationsprojekte ein, die sich ebenfalls noch im Versuchstadium befinden, wie etwa mikroelektronische Sehhilfen für Menschen mit der bislang unheilbaren Krankheit Retinitis Pigmentosa, die auf einer Degeneration der Stäbchenzellen beruht und zu völliger Erblindung führt. (ae)