US-Bürgerrechtler beklagen industriellen Überwachungskomplex
Die US-Regierung spannt in nie gekannter Weise private Konzerne zur Überwachung der Bürger ein, warnen die US-Bürgerrechtler von der ACLU.
Die US-Regierung spannt in nie gekannter Weise private Konzerne zur Überwachung der Bürger ein. Das beklagt die US-Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberty Union in ihren aktuellen Bericht Die ACLU ruft gleichzeitig in einer Kampagne Unternehmen dazu auf, sich der Inanspruchnahme durch die staatlichen Überwachungsmaschinerie zu widersetzen. "Die Privatisierung von Staatsaufgaben war in den USA immer eine beliebte Methode Geschäfte zu machen, und Überwachung ist keine Ausnahme", heißt es in dem Bericht, der einzelne US-Gesetzesprojekte mit dem ostdeutschen Stasisystem vergleicht.
Ob Reisegesellschaften, US-Fluggesellschaften wie American Airlines, United, Northwest, JetBlue oder auch der Dachverband der US-amerikanischen Tauchschulen, zahlreiche Unternehmen haben im vergangenen Jahr Datensätzen von Millionen Kunden an die US-Behörden weitergegeben. Die immer ausgefeilteren Datensammlungen ermöglichen den Behörden Zugriff auf Daten, die sie auf Grund gesetzlicher Beschränkungen niemals selbst anlegen könnten, heißt es in dem ACLU-Bericht. Rund 13.000 Unternehmen haben sich überdies einem Programm wie InfraGard angeschlossen, das den Datenaustausch zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen weiter verbessern soll. Laut ACLU ist InfraGard nichts anderes als eine "eine gigantische Truppe von Tipp-Gebern". Die wachsende Branche für Überwachungstechnologie mache gleichzeitig Lobbyarbeit für "mehr Sicherheit".
Unternehmen, die ihre Daten nicht gegen Geld oder aus patriotischen Gründen liefern, würden mittels Überwachungsgesetzen wie dem Patriot Act oder von FBI-Angestellten ausgestellten Ermächtigungen, den so genannten "national security letters", zur Herausgabe verpflichtet. Im nächsten Schritt schreiben die Behörden schließlich dem privaten Datensammler noch vor, wie die Daten zu erheben sowie zu verarbeiten sind, und sorgen für einen standardmäßigen Zugang dazu. Bestes Beispiel dafür ist CALEA (Communications Assistance for Law Enforcement Act) von 1994, praktisch das US-Pendant zur deutschen Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV), die gerade noch einmal verschärft werden soll.
Internet-Provider berichteten der ACLU, dass die Anfragen nach individuellen Kundendaten in schwindelerregende Höhen gestiegen seien. 16.000 einstweilige Verfügungen und 680 richterliche Beschlüsse bekam allein der US-Telekommunikationsbetreiber BellSouth im Jahr 2002. Laut dem ACLU-Bericht hat das Unternehmen inzwischen 16 Angestellte, die sich nur mit den Überwachungsanfragen befassen. Das CALEA-Statut soll wie hierzulande die TKÜV noch einmal erweitert werden. Die US-Überwacher haben den Mobilfunk und VoIP im Visier. Ebenso wie auf EU-Ebene wird zudem an der Verbindungsdatenspeicherung auf Vorrat gearbeitet, dazu gebe es neue Vorschriften im Entwurf zur "National Strategy to Secure Cyberspace".
Besonders begehrt bei den Ermittlern sind auch die Daten von Banken. Diese müssen gemäß dem Patriot Act verdächtige Bankbewegungen beobachten und melden sowie Neukunden daraufhin überprüfen, ob sie auf einer Liste von "Terrorverdächtigen" auftauchen. Auch sind die Institute verpflichtet, erklärt die ACLU, auf Aufforderungen der Behörden "google-artige Suchen" über Bankbewegungen im ganzen Land vorzunehmen. Immer mehr würden private Unternehmen so zu Handlangern der Staatsgewalt. Wenn der im Finanzwesen beschrittenen Weg der intensiven Zusammenführung von Daten weitergegangen wird, so die Warnung der ACLU, führe das in den Orwellschen Überwachungsstaat.
Aber nicht nur Unternehmen, auch US-Bürger sollen als Informanten eingespannt werden. In Broschüren und Kampagnen werden sie aufgefordert, verdächtige Personen, die nicht an den Arbeitsplatz oder in die Nachbarschaft "gehören", zu melden. Trotz Ablehnung des so genannten TIPS-Programms durch den Kongress vor zwei Jahren laufen nach Einschätzung der ACLU viele TIPS-Ableger bis heute. Mit TIPS sollten rund eine Million Menschen in US-Städten, die wie etwa Briefträger Zugang zu privaten Häusern und Wohnungen haben, als "Informanten" engagiert werden, . Wäre TIPS in der ursprünglichen Form realisiert worden, hätte einer von 24 Bürgern in den betroffenen Städten als Informant gearbeitet.
Siehe dazu auch in Telepolis
(Monika Ermert) / (jk)