Was war. Was wird.
Prominenz, ach, Schall und Rauch ist das alles, wissen wir nicht erst seit dem süßen Leben und seinen Protagonisten. Was aber sind schon Schall und Rauch gegen die Sprechblasen und Realitätsverschiebungen unserer Zeitgenossen, fragt sich Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Nun ist das Caroline-Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, nennen wir es Caroline von Eu, rechtskräftig geworden. Mit diesem Urteil soll die Privatsphäre von Prominenten besser vor Attacken der Paparazzi-Fotografen geschützt werden. Da Prominente nun einmal gerne im Licht der Öffentlichkeit geblitzt werden, gibt es mit Caroline von Eu das Konstrukt der Zustimmungserfordernis, über das sich die Verfechter des Digital Right Managements freuen können, wird doch die Privatsphäre zum lizenzfähigen und damit kommerzialisierbaren Rechtsgut. Caroline von Eu kennt jedoch Ausnahmen, in denen Fotos zulässig sind. Und zwar dann, "wenn die Berichterstattung Informationen und Ideen verbreitet, welche zu einem Diskurs im Allgemeininteresse der Gesellschaft führen." Wenn Caroline von Monaco sich also einen Pelzmantel kauft, dann muss Caroline von Eu das Foto abnicken. Die Tatsache, dass das Verhalten von Prominenten Einfluss auf die Öffentliche Meinungsbildung hat, wirkt auf die Diskussion um den organisierten Tiermord.
*** Ursprünglich gab es den Begriff "Paparazzi", der nicht nur bei Caroline von EU und den aufstöhnenden Gelben Blättern eine so große Rolle spielt, gar nicht. Die Bezeichnung für die Boulevard-Fotografen auf der Jagd nach ihren Promi-Bildchen rührt vom Prototypen des Berufsstands, den Federico Fellini in der Gestalt namens Paparazzo, gespielt von Walter Santesso, porträtierte. Ach ja, das süße Leben unserer Prominenz war auch schon in den 50er Jahren anstrengend, auch wenn manch Freiherr der Ansicht sein dürfte, früher sei alles besser gewesen. So will Rechtsanwalt Günter Freiherr von Gravenreuth denn auch mit Caroline von Eu gegen diese Wochenschau vorgehen. Sie hatte in der vergangenen Woche seinen Vergleich der Verhaftung seines Kompagnons mit den Zuständen in Guantánamo Bay kritisiert. Wer so ein Unsinn behaupten kann, ist nicht nur dumm und borniert, sondern muss an einer Realitätsverschiebung leiden, schrieb ich. Die Realitätsverschiebung wurde mit einem Link auf ein Paintball-Treffen illustriert, dessen Teilnehmer mit schwarzen Balken privatsphärentechnisch geschützt sind. Nun kennen viele Personen diesen Rechtsanwalt, denn schließlich ist er Mann der Öffentlichkeit oder zumindest einer, der die Öffentlichkeit sucht: Er ist nun mal eine bekannte Persönlichkeit, schreibt da ein Gravenreuth-Bewunderer, was doch sein Gutes hat, da eine gesellschaftliche Debatte über den Wert von Paintball wie Pelzmantel sicher nützlicher ist als das Gelächter über die Idioten, die Ftpwelt.com benutzten. Schließlich hat die News, das Leim- und Magenblatt der Generation iPod, gerade Paintball heftigst beworben. Wer locker "After-Work-Party mit dicker Knarre" titelt, zeigt erste Anzeichen einer Realitätsverschiebung. Hoffentlich hat man sich nicht besagten Rechtsanwalt zum Vorbild genommen, dessen Realitätsverschiebungseneregie ganz sicher über 0,08 Joule liegt.
*** Brüste, Titten, Vixens! Der Tod von Schlockmeister Russ Meyer in dieser Woche machte wieder einmal klar, dass der Busen der Kultur ein Stückchen schlaffer geworden ist. Statt der Atombusen, die in meiner Jugend im Apollo über die Leinwand hüpften, haben wir Janet Jackson, deren Fleisch nun 550.000 Dollar Strafe kostet -- oder wir haben nur noch Klingeltöne für das Handy, die das Brustwachstum anregen sollen. Alles Gute, Mr. Meyer:
Tommie: What's the point?
Varla: It's of no return, and you've reached it!
*** Dieser kleine Dialog stammt aus dem Schluss von Faster Pussycat und ist ein guter Einstieg in den Europäischen Sprachentag, den wir heute begehen, indem wir uns am Plurilingualismus begeistern. Denn wo, wenn nicht in dieser unserer IT-Branche lernen wir wöchentlich neue englische Wörter, die den Horizont erweitern. Point of no Return? Von wegen: Nehmen wir nur die Technik namens EcoFleet, mit der LKW-Fahrer "gleichbehandelt" werden wie ihre Kollegen in den überwachten Büros. Warum haben wir keinen passenderen Ausdruck als Geofencing, wenn das Handy mit einem kleinen Elektroschock daran erinnert, dass wir uns in einer vom Arbeitgeber verbotenen Zone herumtreiben und am Point of Return sind?
*** Wobei man die Sache ja nicht auf die Arbeit beschränken muss. Eines Tages kann uns das Handy mit einem klitzekleinen Schock warnen, wenn wir das Gebiet betreten, in dem die Braunen von der NPD herumlaufen. Dann können wir uns eilends zurückziehen, genau wie die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich am letzten Sonntag aus Angst vor einer Infektion per Mikrofon gar nicht schnell genug zurückziehen konnten. Diese journalistischen Hasenfüße, die mit einer GEZ-Gebühr weiterhin gefördert werden sollen, stehen für öffentlich-rechtliche Qualität. Obwohl bekannt war, dass die Braunen kommen, reagierte man kopflos. Entsprechend wird die GEZ-Debatte ohne Gehirn geführt. Das Klagen über die armen Betriebe und ihre Computeranschaffungen ist auch müßig. Seitdem der Bundesfinanzhof klar gestellt hat, dass PC-Peripheriegeräte grundsätzlich keine geringfügigen Wirtschaftsgüter sind, kaufen Unternehmen nur noch Geräte, die vom PC unabhängig eigenständige Funktionen erfüllen. Ob das Gerät dann als Fernseher, Scanner oder Fax-Gerät arbeiten könnte, ist schlichtweg uninteressant.
*** Hasenfüße hin, Heuchler her: Es ist halt so ein eigen Ding mit dem Bewusstsein und dem Sein. Und während die Online-Gemeinde anscheinend genau den gleichen Mist aus den Hitmaschinen der Musikindustrie kauft wie die Offline-Kunden und das Zeugs parallel auch noch in den Tauschbörsen kursiert, darf sich der neben der Nutzung digitaler Musikwelten jenseits der Majors gewissentlich auch noch CDs erwerbende Musikliebhaber auf neue Releases freuen. Was aber soll man von einer Welt halten, in der gleichzeitig Brian Wilson "Smile" und Tom Waits "Real Gone" veröffentlichen, Anastacia und Rammstein die Download- und Single-Charts stürmen, die NPD in Sachsens Landtag einmarschiert? Bewusstsein hin, Sein her: Manches Mal möchte man doch daran zweifeln, dass es diese "eine Welt", von der alle so gerne reden, wirklich gibt. Oder hab ich da ganz virtuell was falsch verstanden?
*** Andere Zeiten eben, oder sind's nur andere Sitten? Eine Woche vor dem Berufungsverfahren jedenfalls, das die Strafen und Bußen im Antitrustverfahren gegen Microsoft untersucht, hat die europäische Airbus den Einspruch zurückgezogen, den sie der EU-Kommission geschickt hat. Wenn Microsoft in seiner Freiheit zur Innovation behindert werde, so sei auch Airbus gefährdet, hieß es in dem Brief der transeuropäischen Firma. Diese Stellungnahme sorgte vor allem in Frankreich für heftigen Ärger. Microsofts Innovationen haben ihre Tücken, vor allem dann, wenn es um Sicherheit geht, aber Marktmacht gemeint ist. Jedwede Ähnlichkeiten mit Airbus sind ab sofort rein zufälliger Art.
Was wird.
Mit einem Gipfeltreffen der Branchenvisionäre beginnt in Köln die Photokina. Muss man stutzig werden, wenn die Visionäre von Nokia und T-Systems auf dieser Messe auftauchen? Aber nicht doch. Was ist die geekigste Ausrüstung wert, wenn das Bild nicht per MMS gesendet werden und der absolut notwendige Lifeblog gefüttert werden kann. Früher, in der analogen Welt, da haben die Billig-Knippsen von Kodak und Instamatic und auch Leute wie Meister Paparazzo die Einsicht geliefert, dass alles, was fotografiert werden kann, nicht auch schon wert ist, fotografiert zu werden. Das ist auch in der digitalen Welt so, wie der mittlerweile abgeschaltete Blog "I found some of your life" bewies, der ein absolut bemerkenswertloses Leben erfand. Was die Moblogger dieser Welt natürlich nicht abhalten wird, ihre Fotos zu veröffentlichen. Was fehlt, ist ein Blogger-Schwur, grinsende Menschengruppen ab sofort zu vermeiden.
Ob in Paris, in Stuttgart oder in Berlin: Wohin man auch schaut, tagen die Entscheider, die genau wissen, wohin die Reise geht und welche Buzzwords der moderne Manager dafür in seinen Ranzen stopfen muss, damit er dieselbe Visionen hat wie seine Kollegen. Da bleibt mir nur noch übrig, auf ein Treffen der Entschiedenen hinzuweisen, die bereits bei den ReVisionen angelangt sind. Am Ende -- die Entschiedenen und Altvorderen sind immer etwas strenger -- gibt es eine höchstrichterliche Anhörung darüber, warum die Gesellschaft in Zukunft die Informatik braucht. Vielleicht ist sie ja genauso überflüssig wie die Lifeblogs, was immerhin eine schöne Perspektive wäre -- oder?
Wigald Boning, Jette Joop und Verona Pooth sind die Laudatoren beim Deutschen Internet Award NEO, ausgerichtet von "Sat.1, T-Online und der Burda People Group -- drei innovative und visionäre Medienunternehmen", die ihre Hand am Puls des Internet haben. Liest man die komplette Liste aller Stars und Sternchen, dann muss man fast die Hilfe der Caroline von Eu erflehen, doch bitteschön die Sabbelköpfe und Labertaschen in einer speziellen Privatsphäre aufzubewahren. Caroline von Eu, rette uns, Paparazzo, erhöre uns ... (Hal Faber) / (jk)