IT-Branche gibt mehr fĂĽr Lobbyarbeit aus

Beobachter glauben, BrĂĽssel laufe Washington bald den Rang als "Lobby-Hauptstadt" ab; aber genaue Angaben zu Lobbyarbeit und detaillierte AufschlĂĽsselungen etwa nach Branchen wie in den USA fehlen in Deutschland und der EU.

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Von
  • Monika Ermert

138 Millionen US-Dollar hat allein die US-amerikanische Informationstechnologie- und Telekommunikationsbranche im ersten Halbjahr 2004 fĂĽr Lobbyarbeit ausgegeben. Damit liegt der Kommunikationssektor an zweiter Stelle hinter dem Gesundheitsbereich. Diese Zahlen legte jetzt die US-Organisation Political Money Line vor, die seit mehreren Jahren die Entwicklung in der Lobby-Hauptstadt Washington beobachtet.

Den offiziellen Spitzenplatz im Lobbying-Kartell der Telekommunikationsbranche nahm laut Political Money Line der texanische Kommunikationsriese SBC Communications ein, der nach eigenen Angaben 5,7 Millionen Dollar in Lobbyarbeit beim US-Kongress und der US-Verwaltung investierte. Der Verband United States Telecom Association gab insgesamt 5,4 Millionen Dollar aus, Hard- und Softwarehersteller 18,9 Millionen, darunter Microsoft 5,4 Millionen und IBM 3,5 Millionen US-Dollar. Auf Platz acht steht der Redmonder Konzern außerdem bei der Auftragshöhe für eine der professionellen Lobbyorganisationen: 900.000 Dollar kassierte US-Lobbyspezialist Covington and Burling für seine Dienste von Microsoft.

Schon im ersten Halbjahr 2004 haben die Ausgaben für Lobbyarbeit (1,06 Milliarden US-Dollar) im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zugenommen. 2003 wurden bis Ende Juni 963 Millionen US-Dollar ausgegeben, 2002 859 Millionen, 2001 791 Millionen. Für das Jahr 2004 insgesamt erwarten die Macher von Political Money Line über 2 Milliarden Dollar Ausgaben für Lobbyarbeit, über die der Öffentlichkeit Informationen zugänglich gemacht wurden. "Sicherlich," teilte Kent Cooper von Political Money Line auf Anfrage von heise online mit, "werden manche Ausgaben nicht deklariert. Nicht alle Arten der Beeinflussung im politischen Geschäft werden vom 'Lobby Disclosure Law' erfasst." Schon aufwendige Werbekampagnen im Stil von "Wir brauchen eine starke Verteidigung" stehen daher auf einer eigenen Rechnung, ebenso Ausgaben für strategische Planungen der teuren, externen Lobbyexperten.

Doch in Europa oder Deutschland fehlt selbst ein solcher Gradmesser. "Mir ist von ähnlichen Zahlen für Europa nichts bekannt", erklärte Cooper. Bei Eurostat, der nicht unumstrittenen Statistikbehörde der EU, winkt man ab. "Dazu haben wir nichts", lautet die lapidare Auskunft. Dabei macht Brüssel laut dem neuesten "Lobby Planet" von Corporate Europe Observatory (CEO) Washington mehr und mehr den Rang als Lobby-Hauptstadt streitig. CEO bietet neben Brüsselführungen zu den Hauptstraßen der Lobbymacht im Europaviertel demnächst auch eine dazu passende Online-Führung an.

Rund 15.000 Lobbyisten sitzen in den Brüsseler Glaspalästen Tür an Tür mit der Eurokratie; reguläre Einrichtungen wie "Freibier- und Pizza-Partys" für Parlamentsassistenten sorgen für die höchste Pro-Kopf-Dichte von Restaurants in Europa. Nicht zuletzt politisch ultrakonservative US-Positionen finden vermittelt über Lobbyorganisationen wie die so genannte TechCentralStation mehr und mehr Eingang in den europäischen Gesetzgebungsprozess. Der Einfluss von Lobbyisten auf Debatten etwa um Softwarepatente, Entscheidungen wie im Kartellverfahren gegen Microsoft oder Gesetzgebunsverfahren wie bei der EU-Urheberrichtlinie ist nicht zu unterschätzen, auch wenn ihre Arbeit nicht immer von Erfolg im Sinne ihrer jeweiligen Auftraggeber gekrönt ist.

Nach wie vor aber fehlt es an Datenbanken, in denen Journalisten, interessierte Bürger oder auch Parlamentarier und EU-Angestellte selbst Zahlen zur Lobbyarbeit nachvollziehen könnten. Angesichts aktueller Diskussionen um Abgeordnete, die auf den Gehaltslisten von Konzernen stehen, ohne dass dies der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde, mag es zudem kaum verwundern, dass es auch für Deutschland keine Zahlen zu Lobbyarbeit gibt. Genauso wenig existiert ein Überblick zu Branchen oder Einzelunternehmen. Bei der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International in Berlin hat man, so die Auskunft, erst langsam mit solchen Arbeiten angefangen. Für die Webseite des Bundestages wird an einem Gesamtüberblick der registrierten Verbände erst noch gearbeitet, "eine technische Frage", erklärte eine Pressesprecherin des Bundestags. Die Gesamtzahl der registrierten Verbände hat seit dem vergangenen Jahr allerdings laut den erhältlichen Circa-Angaben von etwa 1700 auf rund 1800 zugenommen. (Monika Ermert) / (jk)