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Was war. Was wird.

Was sind schon fünf Jahre gegen fünf Millionen? Es geht einfach alles weiter, befürchtet Hal Faber, und hebt an auf ein Lob von... Ja, von was eigentlich? Es bleibt nur der Zweifel und das Lernen.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Immer wieder gibt es Informationsbröckchen, die es nicht zur richtigen Nachricht schaffen. Sie mögen nicht in das Bild passen, das eine Firma von sich präsentieren will. Sie passen nicht in die angesagten Technik-Trends oder sie sind wirklich so kümmerlich, dass es der Sammlung bedarf. Manches bleibt auch unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle: Menschen, Computer, Sensationen verdecken den Blick auf Hintergründiges und Zusammenhängendes.

Die Wochenschau von Hal Faber möchte hier ein bisschen gegensteuern und den Blick für die Details schärfen. Sie ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist, so es die Bröckchenlage zulässt, Rück- wie Vorschau zugleich. Aus gegebenem Anlass sei aber eine Warnung vorweggeschickt, nicht, es behaupte jemand, er sei nicht gewarnt worden.

Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die fünf Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Leser an der Nase herum --
Und sehe, dass wir nichts wissen können!

Müssen wir uns dieser Schlussfolgerung wirklich stellen? Bleibt sie uns erhalten, auch ohne erst Mephistopheles herbeizuzitieren? Ach, nehmen wir zum Start doch lieber eine Anleihe bei einem anderen großen Dialektiker:

Die Narben schmerzen
in der kalten Zeit.
Aber ich sage oft: nur das Grab
Lehrt mich nichts mehr.

Was war.

*** So ist das also: Was war das schon, als heute vor fünf Jahren, kurz vor der vorverlegten CeBIT, zum Superbowl der Wochenrückblick begann, sich über die Fetzel herzumachen, die es nicht zu einer ordentlichen Nachricht im Ticker brachten. Sich um die Jubiläen und Abschiede zu kümmern, die zum Nachdenken anregen. Sich über Links zum WWWW zu freuen, die davon künden, dass diese Welt tatsächlich eine Scheibe ist, von der man sich etwas abschneiden kann. Sich mit der Musik zu befassen, die wenig mit den Zumutungen der Nazgûl zu tun hat. Sich über die Bobos und die größenwahnsinnige New Economy mit ihrem Gesabbel aufzuregen. Ja, vor fünf Jahren hatte man Visionen zu haben, keine allergischen Reaktionen im Stil des WWWW. Unablässig faselte man davon, First Mover und Weltmarktführer zu sein, stellte gar Philosophen ein, über die Weltmarktführerschaft den Sinn zu suchen.

*** In diesem Sinne darf eigentlich gratuliert werden. Doch wie sieht die Lage wirklich aus? 258 Wochen- und Jahresschauen später ist klar, dass die New Economy ein einziger gut organisierter Bereicherungsfeldzug für die einen, eine einzige Kapitalvernichtung für die anderen war, Heute wissen wir, dass wir aus der Risikogesellschaft (Ulrich Beck) in die Gesellschaft des Weniger eingestiegen sind, mit 5 Millionen Arbeitslosen. Dabei sind 5 Millionen noch schöngerechnet ohne die fast freiwilligen Vorruheständler nach Paragraph 428 SGB III (ca. 400.000 Personen), die Teilnehmer an "Eignungsfestellungsmaßnahmen" (100.000 Personen) und die 300.000 Menschen, die bereits als Ein-Euro-Jobber geführt werden. 600.000 Plätze in diesem Bundesarbeitsdienst sollen nach den Vorstellungen von Wolfgang Clement den Durchbruch zum Besseren bringen.

*** 5 Jahre WWWW sind kein Grund zum Feiern. Vielleicht lesen wir uns in 10 Jahren wieder, doch sicher nicht zum Feiern des Onlinejournalismus, einer schlicht völlig unsinnigen Kategorie. Nur weil in einem Satz ein Link auftauchen kann, ist noch lange kein anderer, kein neuer und kein besserer Journalismus entstanden. Wer so etwas glaubt, wird gleich klagen, dass die Erwähnung von AnyDVD das Abendland zum Zusammenbruch bringt. Es gibt Webseiten, ja ganze Kongresse, die sich plustern und bauschen wie die Bobos zu ihren besten Zeiten. Machen wir es kurz: Onlinejournalisten gibt es nicht, nur einen Journalismus, der nicht auf toten Bäumen erscheint. Der, wenn er einmal ausfällt, einem Verlag genauso Schaden zufügt, wie eine nicht erschiene Zeitung oder nicht gesendete Sendung. Wer Reaktionen darauf als schäbig aburteilt, ist wahrscheinlich wirklich in den Stadtbrunnen gefallen.

*** Es jährt sich bald der Tod jener Elsie Siegl im chinesischen Lustbad, über den Karl Kraus in der Chinesischen Mauer berichtete. Während Kraus an der Publikation des Textes arbeitete, kam es zum Streit mit dem Verleger Kurt Wolff über die Frage, ob Journalisten Seismographen oder Seismologen sind. Die einen registrieren nur, die anderen suchen die Zusammenhänge. An Stelle der nur noch peinlichen Schelte von Online-Angeboten durch Online-Journalisten, bei denen das Hirn Offline ist, braucht es Seiten und Kolumnen, die die Zusammenhänge suchen.

*** In dieser ach so banalen Woche freute sich Microsoft, vom Wirtschaftsmagazin Capital erneut als Deutschlands bester Arbeitgeber ausgezeichnet zu werden. Gefeiert wird mit einer ganzseitige Anzeige in den Wochenendausgaben jener deutscher Tageszeitungen, die nicht vom Wettbewerb der Konkurrenz berichtet hatten. "Firmengeschichte schreibt nie einer allein" heißt es in der Anzeige, die alle Mitarbeiter mit ihrem Vornamen unterschrieben. Einer alleine schreibt unterdessen darüber, sich nicht konzentrieren zu können. Auch so kann man ein Bekenntnis zur Interoperabilität ablegen.

*** Max Schmeling ist gestorben, ein ehrbarer Mann, der einstmals nicht die Hand zum Hitlergruß erhob, sondern unter dem Jubel der Franzosen beide Fäuste reckte. Der Judenbengel versteckte und seinen größten Kontrahenten Joe Louis unterstützte, als dieser verarmt erkrankte. In vielen Blättern steht heute ein Text von Wolf Wondratschek über einen Boxer, der mit seiner Rechten die Sterne vom Himmel boxen konnte. Tod ist auch der große Drummer Nicola James Capaldi, der unablässig gegen das Schicksal der Kinder in den brasilianischen Favelas antrommelte und mit der Band Traffic unsterblich wurde. Seinen letzten Eintrag hat auch Ivan Noble hinter sich, der als Chronist seiner Krankheit mit einem Blog dort anschloss, wo der große Tom Mandel aufhörte. Der eine bewegte "nur" eine ganze Online-Community, der andere schon die halbe Welt. Und so fehlt uns auch heute, an seinem 60. Geburtstag, ausgerechnet der, der uns erklärt, was Gut und was Böse ist. Ihm zu Ehren sei ein Anderer zitiert: "Das einzige, was sich verantworten lässt, ist, den ideologischen Missbrauch der eigenen Existenz sich zu versagen und im Übrigen privat so bescheiden, unscheinbar und unprätentiös sich zu benehmen, wie es längst nicht mehr die gute Erziehung, wohl aber die Scham darüber gebietet, dass einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt."

Was wird.

Spätestens seit dieser Woche wissen wir, dass es eine analoge Lücke gibt, die mit der Windows Media Center Edition geschlossen werden muss. Dank iRights wissen wir auch, dass die Lücke aus der Sicht der Rechteverkäufer zwar unangenehm ist, doch keineswegs illegal. Bislang sichert uns die Pauschalabgabe auf Kopierer, Brenner und PC das Recht, ohne Beobachtung und Kontrolle der Medienindustrie Privatkopien anzufertigen. Das soll sich bekanntlich ändern, hin zu einer Kontrolle durch die Industrie, die der Zensur von jeher aufgeschlossen gegenüberstand, wie eine gerade eröffnete Ausstellung in Gronau zeigt. In Darmstadt steigt darum eine Veranstaltung, die sich dem Digital Rights Management widmet. Dem Menschenrecht auf Schutz der Privatsphäre steht das Maschinenrecht gegenüber, was mit ihnen angestellt werden kann.

Auch die Gesundheitskarte will näher beleuchtet werden. In dieser Woche hat die Ärztezeitung eine kleine Serie gestartet, die den Ärzten klarmachen soll, dass es schon ein bisschen mehr sein darf als die durchschnittlich 6000 Euro für die Lesegeräte der neuen Karten, die in den Praxen installiert werden. Das derzeit größte IT-Projekt der Welt will in Berlin und in Zürich diskutiert werden. Erfreulich ist ja, dass das neue Verwaltungsvereinfachungsgesetz festlegt, dass die Gesundheitskarte bei einem Wechsel der Krankenkasse weiter genutzt werden darf. Wo kämen wir hin, wenn all die doch so sicher abgelegten Datenbestände aufs Neue aufgebaut werden müssen? Aus den roten Zahlen? Aus denen kommt das megalomane Reformprojekt ohnehin nicht.

5 Jahre liegen hinter mir, weitere 16 sind maximal möglich. Dann strahlt der Ruhm des ersten Letzten. Dann, im Jahre 2021 kommt eine österreichische Terroristen-Gruppe aus dem Jahre 2080 per Zeitreise zurück und macht der ganzen gefrickelten Vernetzung und Verlinkung ein Ende. Das Paranetz wird unkaputtbar sein. Bis dahin routen wir uns um den Verstand.

Ehe das seltsame Erster-Spielchen beginnt, möchte ich mich eigentlich bei mehreren Identitäten als nur DocSnyder bedanken. Es ist erstaunlich, wie viel Unterstützung und Kritik ein kleiner Wochenrückblick erfahren kann. Ein besonders dickes Dankeschön geht an einige Realnamen, die ich nicht nennen möchte, sowie an Angelwing, as400.holgerscherer.de, B.Eckstein, Desiatox, DocSnyder, Don Alphonso, faeshn, Kar98myNRA.com, phosmo, pullmoll, HelpDesk, Rauhvertikal, Twister, Tyler Durden, Vivaldi, wurgl, den treuen Z, Zorglub und sogar an die unverbesserlichen HenryPym und Yens. Mein Dank natürlich auch an heise online, wo die Kolumne abgerechnet wird. Vor fünf Jahren wanderte sie nach 91 Versuchen in einem anderen Internet-Angebot und 356 Ausgaben auf toten Bäumen anderswo hierher und fühlt sich sehr wohl. Ein Dank auch an die Redakteure, die samstäglich über den dahingeschlenzten Sermon stöhnen und der GRÖSSTE an alle Leser, die das große Kotzen kriegen und doch immer wieder vorbei schauen:

Ich rate euch, begrüßt mir
heiter und mit Achtung den
Der euer Wort wie einen schlechten Pfennig prüft!
O schönes Kopfschütteln
Über der unbestreitbaren Wahrheit!

(Hal Faber) / (jk)