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Was war. Was wird.

Think different? Ja, kann man so sehen, aber auch Newspeak ist eine Art anderes Denken. Die IT-Branche war noch nie frei von totalitären Tendenzen; auch während der Frühjahrsstürme in der norddeutschen Tiefebene sind sie zu erkennen, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ja, die Hölle hat einen Namen: CeBIT, das "Weltcentrum Büro-Information-Telekommunikation" -- wir halten uns an den Geburtsnamen dieser seltsamen Messe in der sturmgepeitschten norddeutschen Tiefebene. Wahrlich heftig stürmte es diesmal, reihenweise knickten die verteilten Microsoft-Regenschirmchen um, die nicht das Potenzial hatten, einem norddeutschen Tief zu wiederstehen. Noch ist die Hölle nicht überstanden, noch sind die Kombinationsgespenster nicht verflogen. Gerade darum ist ein kleines Dankeschön an die netten Hannoveraner fällig, die diesen Irrsinn mit norddeutscher Grandezza überstehen. Jeden Morgen, in der Straßenbahn auf dem Weg zur Messe beruhigte mich der Anblick des führenden BTB-Shops, der daran erinnerte, dass es nicht nur Business to Business heißen muss, sondern ebenso gut: Bären -- Tinte -- Bier. Ein Laden, in dem man geschmacklose Bären kaufen und seine Druckerpatronen auffüllen lassen kann, um dann noch mit einem Sechserpack bestückt den Heimweg anzutreten, der hat etwas, das die Geiz'n'Geil-Märkte nicht bieten können. Willkommen in der kalten Nacht, in der die Hölle zum kuscheligen Plätzchen wird, in der der messegeile Buzzword Bullshit Bingo abgestellt wird und der Trendsport Extreme Bärenfellteiling angesagt ist. Kommen wir in Stimmung, so es verboten ist, Bären aufzubinden.

*** Tütenweise Gummibärchen haben sie bei Motorola gegessen, die armen Hostessen, die eine Nacht lang vor der CeBIT eine Seite aus den Prospekten reißen mussten, weil Apple eine Premiere auf einer Messe ohne Apple-Beteiligung mit einem Eil-Fax untersagte, das das Mittagessen der Motomobilisten am Mittwochmittag verdarb. Wenn der name Apple fällt, ist es nicht zu vermeiden, auf den Bärendienst hinzuweisen, den Apple mit seinem Kurs gegen Think Secret und anderen Gerüchteseiten der Industrie erweist. Der Bär schlägt zu, die Fliege ist tot und der Gartenliebhaber auch: Wenn wirtschaftliche Informationen wie die paar vagen Andeutungen zum Apple-Projekt "Asteroid" über die Presse- und Meinungsfreiheit gestellt werden, dann ist es an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen. Denn es geht eben nicht darum, ob im "öffentlichen Interesse" oder lediglich für eine "interessierte Öffentlichkeit" geschrieben wird, ob Blogger oder Journalisten am Werke sind. Es geht darum, dass die Firma, die einst mit "Think Different" gegen IBMs Firmenmotto "Think!" antrat, inzwischen bei "Think Control" angelangt ist. Und darum, dass Apple nicht die einzige Firma in dieser Branche ist, die totalitäre Tendenzen festmauern will.

*** Ja, bei Think Different stehen vorne und hinten kleine Bärentatzen, keine 's und 's, denn diese Sache mit den Links, die ist die andere Seite der Medaille. Wenn künftig nur darüber berichtet werden darf, was der Musikindustrie, der ganzen IT-Branche oder nur Apple genehm ist, dann kann jeder Mist, der gerade kübelwagenweise als "easy entertainment" oder "konvergente Lösung" auf der CeBIT ausgebracht wird, nicht kritisch beäugt, berochen und besprochen werden. Nehmen wir nur das Buzzword dieser CeBIT: ganzheitlich. Die ganzheitliche Lösung, das ganzheitlich angedachte Projekt oder der auf vielen Ständen geplapperten "ganzheitliche, serviceorientierte Betrachtung der Informationsverarbeitung" stinkt aus allen Hohlräumen. Wer hinter dem geblähten Quatsch nach den Details fragt, kommt ganz schnell zu dem Punkt, an dem ein Betriebsgeheimniss leider, leider dazu führt, dass man keine genaue Auskunft geben kann. Denn jede Auskunft kann ja, ganzheitlich gesehen, dazu führen, dass der Sozialismus in Zuffenhausen siegt. Was ist die Offenlegung eines Managergehaltes gegen die Offenlegung der ansteigenden Arbeitslosigkeit?

*** Was ist die Beschreibung eines Kopierschutzes gegen das Knacken eines Kopierschutzes gegen das Beschreiben des Knackens eines Kopierschutzes? Wenn es nach dem Willen der Industrie geht, ist alles auf gleicher Stufe angesidelt. Ich verlinke hier auf den Bericht des New Scientist über die veblüffend einfache Vorgehensweise eines jungen Deutschen, der nichts anderes will, als Linux auf seinem iPod zu installieren -- und stehe sofort im Verdacht, mit der erklärten Piezoelektronik ein Firmengeheimnis berichtet zu haben. Ist es da nicht viel schöner, vom "ganzheitlichen Ansatz" von Apple zu schwärmen, das seine Schutztruppen auf die Messe geschickt hat, Klone zu stoppen? Kurios wird es natürlich, wenn man schon den ganzheitlichen Schwachsinn ernst nimmt und an ein ganz groß aufgezogenes Projekt glaubt, bei dem Steve Jobs der Moses von Sony ist.

*** Ich gestehe, dass mich die Attacken auf die Informationsfreiheit mehr berühren als der Bärentanz um die Softwarepatente, der in dieser Form nicht die Idiotie dieser Patentrichtlinie zeigt, sondern eine groteske Lektion in Sachen europäischer Zusammenarbeit, ähem, der Ganzheitlichkeit ist. Und wenn ich die Sache noch ganzheitlicher sehe und weit, weit über den Tellerrand der norddeutschen Tiefebene (ok, schlechte Metapher) hinaus schaue, dann komme ich zum Tode von George Atkinson, dem Erfinder der Videotheken, der der Nachwelt mit dem Satz erhalten bleiben wird, dass er einzig bereut, die Idee nicht patentieren zu können. Gestorben ist auch der große jüdische Wissenschaftler Hans Bethe, der die Quantenphysik erweiterte. Bethe gehört zu den Querdenkern seit der Zeit, in der er in der großen Debatte der Atomphysiker um Teller und Oppenheim immer dafür plädierte, das Wort vor die Waffen zu stellen. Er starb drei Tage vor dem Festtag, an dem er eine Auszeichnung als Philosoph erhalten sollte.

*** Wer wie ich den Lateinunterricht altdeutscher Schule aussitzen musste, wird seinen Tacitus inständig hassen, in dessen Germania unsere Vorfahren angeblich auf der Bärenhaut herumlagen und oft mehr tranken, als sie vertragen konnten. Doch wir Germanen sind ganz anders! Zum Rückblick auf den Weltfrauentag hier das Original aus Kapitel 15: "Wenn die Germanen einmal nicht Krieg führen, so liegen sie der Jagd ob. Häufiger verbringen sie ihre freie Zeit mit Nichtstun, mit Schlafen, Essen und Trinken. Gerade die Tapfersten und Kriegerischsten leben in träger Ruhe dahin. Die Sorge für Haus und Herd sowie die Bestellung des Ackers bleibt den Frauen, den Greisen und überhaupt allen Schwachen überlassen, während die Herren selbst faulenzen." Ja, die Frauen machen bei uns die ganze Arbeit und darum sind sie in Deutschland hart, aber gerecht ins Visier genommen worden. Darum sei hier der Originaltext von Tacita von der Zentralen Klo Marketing GmbH zitiert: "Frauen sind nicht aufzuhalten. So durchstoßen sie nicht nur allmählich die Glasdecken der Vorstandsetagen, auch beim illegalen Brennen von Filmen ist das weibliche Geschlecht auf dem Vormarsch." Preisfrage: Wie durchstößt man eigentlich die Glasdecken der Vorstandsetage? Die Antwort von Sixt war als Werbung in vielen Tageszeitungen geschaltet und wurde vom Handelsblatt eingefangen: Ohne Einparkhilfe.

Was wird.

Nicht nur klerikale Würdenträger wissen es schon seit Jahren: Wenn es etwas gibt, was Petrus besonders hasst, dann ist das die CeBIT. Den Beweis tritt der himmlische Wetterverantwortliche jedes Jahr wieder aufs Neue an, indem er Hannover eine Woche lang teuflisches Wetter beschert. Eingeborene haben für die unvorhersehbaren Witterungsbedingungen einen Namen: CeBIT-Wetter. Das ist wie Aprilwetter, aber auf eine Woche beschränkt und dafür doppelt so heftig. CeBIT-Wetter kann sonnig sein, stürmisch verregnet, verhagelt oder sogar eingeschneit. Gelegentlich wechselt die Witterung täglich, oft stündlich. Petrus mag die CeBIT hassen, Influenza liebt sie dagegen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass hier die Hühnergrippe entstand. Die Väter des Killervirus waren internationale Besucher, die auf der Suche nach einer Killerapplikation nach Hannover gefunden hatten. Dort trafen Viren aus aller Welt auf einer CeBIT aufeinander und verbandelten sich zu einem gemeinsamen Schädling, um dann zum Ausbrüten in den fernen Osten zu verreisen. Wo aber Killerviren erst ihren Weg zurück in die Heimat finden müssen, da ist es nur dem ein Wohlergehen, der sein Immunsystem mit Vitamin C, Gingko-Präparaten und gesunder Ernährung aufrecht erhält: Nur wenige entgehen der berüchtigten CeBIT-Erkältung, die nach der Messe die halbe IT-Branche in ihrem Bann hält. Und da alles, was war, ja doch auf der CeBIT fröhliche Urständ feierte (nicht zuletzt auf einer, so viel Lob muss sein, gelungenen Party eines Verlags, der dieser Kolumne die allwöchentliche Plattform bietet), ist das, was wird, in der IT-Branche erst einmal ein kränkelndes Pausieren. Und das, wo doch so viel Aufbruch ist wie nie, oder, genauer gesagt, so viel Aufbruch wie jedes Jahr anlässlich der CeBIT, jedoch der Kater der vielen weniger gelungenen Partys dann doch die Branche einholt.

So sei es denn: Genug gefeiert, zurück auf den harten Boden der Tatsachen, auf den uns all die Totalitarismen und kontrollsüchtigen Machtphantasien der Branche auch schon während der CeBIT vorbereiteten. Denn die Hölle, das sind die anderen. In der ganzheitlich geschlossenen Gesellschaft der CeBIT geht der Wahnsinn morgen erst noch einmal weiter, wenn die Lösungsarchitektur auf CD unter dem gemeinen Volk verteilt wird, das gemeinhin nur AOL-CDs am Ausgang der Geiz'n'Geil-Märkte gewohnt ist. Ob es neben Unterschichtfernsehen auch eine Unterschicht-IT gibt? Jedenfalls geht es voran, auch wenn die Datenschützer Bedenken haben und die Informatiker Bauchschmerzen, ja, es geht voran mit einem Projekt, nach dem die ganze IT-Branche lechzt und hechelt. Vom Lesegrerät über den Connector, von der Praxis- oder Kliniksoftware bis zum Buchhaltungsprogramm, bis zum Tablet PC für die Weißkittel muss angeschafft werden, was das Zeug hält. Schließlich ist die elektronische Gesundheitskarte eine ganzheitliche Reform.

Zwei weitere Ereignisse müssen gemeldet werden, weil es tatsächlich, trotz Killerviren und Party-Kater, ein Leben nach der CeBIT gibt. Im Polderland startet eine Konferenz, die sich Gedanken über die Wissensökonomie der Zukunft macht. Und im fernen San Diego grübeln die Amerikaner über die Technologien, die Zukunft sind, doch bald Standards heißen. Mein fast letzter Link in dieser böigen hannoveraner Nacht gilt der schwer gescholtenen Dänenpartei. Wie sagte schon Steve Ballmer? "Mein Ziel ist es, die ganze Welt Dänisch zu machen." Lad det smage! Skal! (Hal Faber) / (jk)