Google wegen Digitalisierungsplänen unter Druck
Heftige Diskussionen um Googles Digitalisierungsinitiative gab es auf der Semantics 2005 in Wien. Verleger und Bibliotheken wollen sich wehren.
Auf der Semantics in Wien wurde über Googles Digitalisierungsinitiative heftig gestritten. Der Suchanbieter hat Verträge mit bislang fünf Bibliotheken und wird deren Bestände einscannen. Außerdem gibt es Kooperationen mit Verlagen, die ihre Bücher bei Google einscannen lassen können.
Amerikanische Verlage klagen gegen diese Vorhaben, die europäischen Bibliotheken wehren sich. Jens Redmer, der in Europa die Digitalisierungspläne verantwortet, versuchte mit einer Kombination aus Charme und Forschheit die Kritik zu entkräften: Man sei keine Krake, die nach Vormacht suche; das Einscannen von Büchern sei durch den Fair Use des Copyright gedeckt. Sein Unternehmen verfolge ja schließlich keine kommerziellen Interessen und wolle keine Bücher selbst verkaufen, sondern den Verlagen lediglich Umsatz zuführen, indem man auf ihre Werke verweist. Künftig soll es bei der Google-Suche nach Informationen auch Verweise auf zu der Suchanfrage passende Bücher geben, eine Betaversion des Tools ist fertig.
Matthias Ulmer vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels warnte davor, sich auf diese Umarmung einzulassen. "Die Verlage müssen sich überlegen, ob sie gut beraten wären, wenn sie nicht selbst informieren und die Distribution aus der Hand geben", warnt er. So setze der Monopolist Amazon die Verlage bereits unter Druck und habe Diogenes wegen unbotmäßigen Verhaltens aus seinem Angebot ausgesperrt.
Die Verleger haben nun ein eigenes Online-Projekt aufgelegt. Dabei müssen sie ähnliche Probleme bewältigen wie Google: Es gibt noch keine einheitlichen Formate für die Online-Aufbereitung, deshalb wird zunächst ebenfalls gescannt. Als nächstes will man sich jedoch auf ein gemeinsames Austauschformat einigen. Geplant sei keinesfalls ein Ersatz für Google, sondern eine "buchaffine Suchmaschine", die bis Oktober nächsten Jahres zur Verfügung stehen soll. Auch der Verkauf von E-Content, also beispielsweise Kapiteln aus einzelnen Fachbüchern, ist angedacht und soll 2007 realisiert weden. "Da sind aber noch dicke Bretter zu bohren", so Ulmer.
Max Kaiser, Koordinator für Forschungs- und Entwicklungsprojekte bei der österreichischen Nationalbibliothek, plädierte für ein kritisches Hinterfragen von Googles Plänen. "Man müsste als Bibliothekar eigentlich auf den ersten Blick begeistert sein, wenn man ein Projekt hat, das einem das Erstellen einer universalen Bibliothek ermöglicht", räumt er ein. Der Haken aus seiner Sicht: Es werden niemals alle Bücher gescannt werden. "Die Leute werden aber davon ausgehen, dass alles digital zu finden ist. Was nicht aufgenommen wird, wird komplett in Vergessenheit geraten." Auch widerspricht er Redmers Behauptung, man betreibe ja Fair Use: Die Stärkung der Google-Geschäftsmodelle, die Redmer angesprochen hat, sei sehr wohl ein kommerzieller Nutzen und damit ein klarer Verstoß gegen den Fair Use.
Problematisch ist aus seiner Sicht auch die Digitalisierung freier Informationen, beispielsweise Microsofts Bilddatenbank Corbis, in die der Redmonder Konzern öffentlich zugängliche Informationen einscannt und sie mit eigenem Copyright vermarktet. Ähnliches könne auch bei Büchern geschehen; dort gebe es 25 Prozent so genannte Waisenwerke; solche Bücher sind zwar aufgrund des Erscheinungsdatums noch nicht rechtefrei, doch könnten die Rechteinhaber nicht festgestellt werden, da es die Verlage nicht mehr gibt und die Autoren nicht auffindbar sind. Hier könne es ebenfalls zur Aneigung durch ein Unternehmen kommen. Und selbst wenn Google das jetzt nicht plane, sei weder ein Schwenk in den Plänen des Unternehmens noch eine Änderung der Strategie durch Rechtsnachfolger vermeidbar.
Medienberater Rüdiger Wischenbart warnte vor einem drohenden "Clash of Cultures" und forderte dazu auf, in der Debatte nicht nur die Interessen von Verlagen oder Bibliotheken zu berücksichtigen, sondern auch die Benutzerperspektive: Schließlich könnten Pläne wie die von Google die Trennung zwischen Informationsbesitzern und Informationshabenichtsen verstärken. Nicht jedes Land habe schließlich die Infrastruktur, die Inhalte seiner Bibliotheken per Schiff, Lastwagen oder Flugzeug nach Amerika zu schaffen, um sie dort von Google scannen zu lassen. Und der Suchgigant habe keinerlei Mandat, die Art und Weise, wie Gesellschaften ihre Informationen bewahren, mit einem so tiefgreifenden Projekt zu verändern. (Pia Grund-Ludwig) (uh)