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Was war. Was wird.

Wer kann sich heute schon noch Umwege leisten? Hal Faber leistet sich den Luxus, weist auf die Nicht-Preußenhaftigkeit Hannovers hin, um mit einem Umweg über die Ergüsse alte Säcke direkt zum CeBIT-Ziel zu gelangen.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich bin als Hannoveraner und damit Nicht-Preuße eher ein 06er und ganz sicher kein 68er. Geboren und aufgewachsen in der schönsten Stadt der norddeutschen Tiefebene, Heimat des besten Verlags der Welt mit den besten Ideen, bin ich damals nur demonstrieren gegangen, weil mein Mathematiklehrer in unserer Schule beliebt war. Sein Bruder Benno Ohnesorg war damals in Berlin erschossen worden. Das war Sauerei genug, auf die Straße zu gehen, aber wirklich verstanden haben wir Pimpfe das nicht. Der richtige Spaß begann in Hannover erst später, als die Rote-Punkt-Aktion startete. Jeden Abend brachte mein Vater andere Typen zum Abendessen mit nach Hause und wir lernten, wie groß die Welt selbst in Hannover sein kann. Die Aktion hatte auch gewaltige Nachteile: Bis zu seinem frühen Tode nahm Vater jeden Anhalter mit und fuhr Umwege ohne Ende.

*** Umwege? Umwege können wir uns heute nicht mehr leisten, dafür aber Computer. Und diese Woche gab es gleich zwei freudige Ereignisse, von denen die Niederlage der powerpointgestützte Klinsmannschaft nicht in mein Ressort fallt. Dafür aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Datenschutz in der Telekommunikation: Dankenswerterweise wurde die Polizeiaktion gegen die Heidelberger Richterin als unverhältnismäßig bezeichnet, was Auswirkungen auf die Schnüffeleien gegen Cicero hat, die auch auf dem Weg nach Karlsruhe sind. Auch die Wolfsburger Schnüffelei dürfte unverhältmäßig gewesen sein. Doch das Karlsruher Urteil hat nicht nur Auswirkungen für Journalisten, denn die Krux verbirgt sich in den gar nicht erfreulichen Teilen des Urteils. Nun wird das richtige Löschen und Verschlüsseln mit diesem Urteil zur ersten Bürgerpflicht erklärt. Wer seine wichtigen Mails noch in einer unverschlüsselten Partition seines Rechners aufbewahrt, soll sich in Zukunft nicht über die neudeutschen Guck & Horch-Methoden beklagen, sondern sich lieber bei Utimnaco & Co oder bei Truecrypt nach den richtigen Antieinbrecherwerkzeugen umsehen:
"Ohne dass es in diesem Zusammenhang auf die wandelbaren Einzelheiten der Löschbarkeit digital gespeicherter Daten ankäme, hat der Nutzer in seiner Herrschaftssphäre Möglichkeiten der Datenverarbeitung und -löschung – bis hin zur physischen Zerstörung des Datenträgers –, die ihm nicht zu Gebote stehen, solange sich die Nachricht auf dem Übertragungsweg befindet oder die Kommunikationsverbindungsdaten beim Nachrichtenmittler gespeichert sind. Der Nutzer kann sich bei den seiner Verfügungsmacht unterliegenden Geräten gegen den unerwünschten Zugriff Dritter durch vielfältige Maßnahmen schützen, etwa durch die Benutzung von Passwörtern oder anderweitiger Zugangscodes sowie – bei Verwendung von Personalcomputern – durch Einsatz von Verschlüsselungsprogrammen und spezieller Software zur Datenlöschung."

*** Im Geschwurbel der Nachrichten entpuppt sich der Heiseticker mitunter als Meta-Nachrichtensendung. Wenn an ein und demselben Tag diese beiden   Meldungen kurz hintereinander veröffentlicht werden, unterbrochen nur von diesem Projekt, dann zeigen sich die berühmten synergetischen Effekte. Bei Meldungen in anderen Medien ist das nicht ohne weiteres zu erkennen. Wenn bei der Fahndung nach der verschwundenen Stephanie die Datenbank falsch befragt wurde, weil "sexuell motivierter Straftäter" und "Sexualstraftäter" sehr wohl zwei unterschiedliche Begriffe sind, dann ist das keine Panne, sondern richtig gesehen ein Designfehler in der Software. Einen ähnlichen Fehler kann man in der aktuellen BND-Debatte um die Verteidigungspläne von Bagdad feststellen. Pläne oder Skizze, das ist hier die Frage. Dass ein stellvertretender Regierungssprecher dazu sein Witzchen mit Punkt, Punkt, Komma, Strich reißen darf, zeigt die neue deutsche Kontinuität der Regierung Schrökel. Womit sich doch Fußball und Politik treffen, denn bei uns regiert das Prinzip Klinsmann.

*** Ja, ich weiß, auch wenn ich kein 68er bin, so darf ich mich doch nicht so jungdynamsich geben wie unser aller Klinsi oder die vergleichbar auftrumpfenden und gleich wieder zurechtgestutzten Neubobos des Web 2.0. Ich gestehe, ich bin ein alter Sack. Da befinde ich mich in guter Gesellschaft. Wenn jedoch die Zeit die Altsackhaftigkeit bei David Gilmour als lobenswerte Eigenschaft hervorhebt, bleibt anzumerken, dass der Gitarrist der Pink Floyd dies offensichtlich selbst als zentrale Charaktereigenschaft betrachtet und es auf dem just veröffentlichten On an Island etwas arg weit treibt mit der Altsackhaftigkeit. Da ist sich Gilmour auch ganz eins mit Bandkollegen Nick Mason, der unmöglich beantworten kann, worum es bei Pink Floyd ging, der die Ereignisse der 60er Jahre darauf zurückführt, dass die "jungen Leute plötzlich viel Zeit und Geld" hatten und der dieses seltsame Geschichts- und Geschichtenbuch geschrieben hat, dem wohl nur absolte Floyd-Aficionados etwas abgewinnen können. Unsereins möchte – bei aller Liebe zu den seligen Zeiten, als Pink Floyd noch nicht ganz im Bombast erstickten – lieber einem anderen alten Sack zuhören, wenn sein Werk von ein paar eher jungen Säcken noch einmal fabulös getrommelt wird.

Was wird.

Was wird schon sein, wenn die CeBIT kommt, ein emotionales Event, auf dem Kanzlerin Merkel und die IT-Branche den CeBIT-Song mitsingen? Wenn Microsoft und Intel ganz schrecklich geheimnisvoll Nichtssagendes veröffentlichen, wie man das sonst nur von der verqueren Apple-PR-Maschine kennt. Wenn alles citius, altius, fortius wird, wie der noch schwer germanisch klingende Bundesverband der digitalen Wirtschaft behauptet, der an der nächsten Blase nuckelt. Wenn die Resurrectio bis zur Raucitas auch im Hause Heise von denen betrieben wird, die mit Dummschwatz im Stil von "Das Internet ist kaputt" der üblen Propaganda der Copyright-Mafia aufgesessen sind. Aber zur Messe wird alles schön und 2.0, da trägt der Digital-Lude seinen handgefertigten diamantbesetzten USB-Stick am Kettchen und lacht sich eins über die Beuteltiere, die immer noch Mauspads abstauben wollen, statt schicker Inhalte voller Ajax-Interaktion. So wird der Web 2.0-Mob nach Hannover stürmen und von seinen RSS-gefütterten interaktiven Bildschirmschonern schwärmen, von Push und 24/7.

Wobei es diesmal den Beuteltieren an den Kragen geht. Nach 20 Jahren Standbelästigung hat man beim Sicherheits- und Biometrie-Spezialisten NEC die Lösung aller fest stehenden Gewissheiten gefunden. Lauschen wir der Pressemeldung, die mit ihrem verhunzten Deutsch stellvertretend für all die Belästigungen steht, die vor einer CeBIT zu ertragen sind: "Besonders gefährdete Ziele für terroristische Attacken sind große unübersichtliche Gebäudekomplexe wie etwa Flughäfen, Bahnhöfe oder Firmenzentralen. Erweiterte Sicherheitsmethoden sind daher erforderlich. Die NEC Videoüberwachungssoftware SmartCatch ermöglicht es, unbeaufsichtigte und zurückgelassene Gegenstände sofort zu entdecken und schlägt von selbst Alarm bei gravierenden Sicherheitsverstößen. Das System ist auf dem NEC Stand installiert und wird wohl vielen Besuchern, die dort in Versuchung geraten, heimlich überflüssige Plastiktüten auf dem Stand zu hinterlassen, viel Aufmerksamkeit verschaffen."

In Versuchung geraten sind Firmen, Schlagworte aus den aktuellen Debatten für ihren Messeauftritt zu verwenden. Sun frotzelt mit Sven Kemmler über den Karikaturenstreit und betont ansonsten nachdrücklich, dass ein Grid-Computer keine Waffe ist – wie sie etwa von US-Präsident Bush den Indernetlern zum Dank fürs Outsourcingversprochen wurden.

Aber es geht auch subtiler. Nehmen wir nur IBM, die im Kontext der Debatten über die radikalen Islamisten ihre RFID-Chips lobt: "Sogenannte IBM 'clipped tags' erlauben das transparente Deaktivieren von RFID tags durch 'Enthaupten'." Das ist doch eine wunderbare Annäherung an einen so bedrohlichen Gegenstand, der dazu auf der CeBIT noch in Schwärmen auftritt! Wo ein Chip sitzt, muss ja ein kluger Kopf sein, den man enthaupten kann. Die Konkurrenz bei Metro kann ihre Chips nur mit einem überdimensionierten Bügeleisen keulen. Doch damit ist das Messethema noch lange nicht erledigt. "T-Systems und Intel gehen gemeinsame Wege im RFID-Business" heißt es in einer Pressemeldung, Die Chips werden in Autos eingebaut und adeln die Rostbeule zum intelligenten Vehikel, das seinen Fahrer erkennt und via GPS all seine Fahrten trackt, natürlich zu seinem Besten.

Die Generation "Hi Def" will transparent leben und transparent versichert sein. Zu verbergen hat man nichts, dank GPRS und HDCP. Jawohl, "Hi Def", steht nach dem Willen der Marketiers für High Definition und die potente junge Käuferschicht, die HDTV und HD-DVD (oder Blu Ray) kauft, sobald sie auf dem Markt verfügbar sind, und den ganzen Krempel ohne Wimpernzucken installiert. Stolz verkündet Sharp, dass die erste Ladung seiner 65-Zoll-HDTV-Geräte schon ausverkauft wurde, bevor die ersten Container vom Schiff sind, weil die Generation "Hi Def" einfach nicht warten kann. Die PR-Menschen, die nur noch von Triple Play schwärmen und von User-Centric-Broadband-Stratgie sprechen können, ohne rot zu werden, freuen sich auf die CeBIT. Doch noch schneit es in der norddeutschen Tiefebene und so können wir hoffen, eine SchneeBIT zu erleben, wie 1987. Frischer Schnee dämpft noch die hohlsten Phrasen. (Hal Faber) / (jk)