4W

Was war. Was wird.

Geht es noch peinlicher als bei Madonna und Heinz Rudolf Kunze? Ach, man soll nach unten keine Grenzen setzen, befürchtet Hal Faber und widmet sich doch lieber mal der Multituden-Paaahdy.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 165 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Party! Paaahdy! Juchhu, Deutschland feiert. Und was für eine Party Deutschland feiert. Was für ein schöner Anblick von friedlich aufgelösten Besoffenen. Ich bin sprachlos, zitiere darum andere: "Ist das hier so was wie die Multitude, wie man punktuell bei den besseren der Public-Viewing-Erlebnisse meinen könnte: ein heterogener Haufen aus Singularitäten, die sich im Verlauf eines Spiels auf unvorhersehbare Weise zu kleinen brisanten Allianzen verdichten und wieder auflösen und dann noch eine Weile irre und intensiv durch die Nacht zischen?" Wow. Das habe ich Deutschland nicht zugetraut, was der Musikprofessor da formuliert. Aber so eine Multitude edler Solitäre, das ist schon Klasse, das hat was.

*** Party, Paahdy und ein, zwei, drei, aus tausend Kehlen: Passend zur allgemeinen Partystimmung gab es mit dem letzten WWWW nach langer Zeit mal wieder einen Musik-Wettbewerb. Anlass war das schwer erträgliche Geknödel God Save the Internet und gesucht wurde nach ähnlich platten Betroffenheits-Songs in der Tradition von Nicole und Joan Baez. Nun hat die Jury getagt und ich muss sagen, dass ich eine harte und spannende Debatte mit mir geführt habe, was überhaupt von den doch sehr unterschiedlichen Einsendungen zugelassen werden kann. Ich habe also zu dem ältesten aller Jury-Tricks gegriffen und Kategorien eingeführt.

So gewann in der Kategorie "Peinliche Profis" Heinz Rudolf Kunze mit Dein ist mein ganzes Herz, ein alter, aber immer noch hochpeinlicher Song als Paradebeispiel für das, was herauskommt, wenn deutsche Studienräte Schülern Popmusik beibringen. Mit Kunze gewann deutsche Biedermannskunst knapp gegen die schlimmste amerikanische Verhunzung von einer gewissen Madonna, die es schaffte, Don McLeans American Pie über den Tag, als Buddy Holly starb, im US-beflaggten Cowboy-Kostüm zu singen. Weitere Einsendungen in dieser Kategorie betreffen die Band Pur, aber bitte, auch der durchaus austarierte Geschmack einer Jury kennt Grenzen, die nicht unterschritten werden sollen.

Die meisten Einsendungen verbuchte die Kategorie "Aktuelle Peinlichkeiten". Hier gewann im Public Voting das offenbar schon beim Public Viewing gegrölte bidde-bidde-bidde-Lied über die Ballbesitzerin Monica Lierhaus, die die WM wieder schön machen soll. Was der Rock'n Roller "Michael Krebs & Der Monica Lierhaus Fan Chor" da produziert haben, schließt in aller Peinlichkeit an den großen Kunze an und ist obendrein noch bierkompatibel. Extrapunkte gibt es für den Trick, dass eine New-Economy-Agentur namens Büro für Konsummotivation und Wertevermittlung den Song produziert hat und auch noch ganz stolz über diese reife Leistung ist. Die Bobos 2.0 sind da und prollig wie das ganze 2.0-Gehumse. Was das berühmte Agenturdeutsch leisten kann, zeigt sich beim zweiten Platz in dieser Kategorie: "Mit dem Lied wird der Sympathiefaktor und Kultstatus des jungen Herumtreibers sicher nochmal gesteigert werden." Aber leider hat es die Peinlichkeit namens Bruno der Bär von Peter Borbe es nicht an die Spitze der Top of the Pops geschafft.

Die dritte Preiskategorie wird von den eingereichten Liedern gebildet, die sich mit diesem Dingensda Internet beschäftigen, das Gott retten soll. Hier gewann der Nilzenburger Blogger für den Weltfrieden mit seinem Lied Ich mahn dich ab. Wie heißt es noch in der Begründung der Jury: Das Lied und seine Coverversionen überzeugen, weil hier nüchtern gereimt eine der peinlichsten Aktionen beschrieben wird, die das Internet kennt, die Abmahnfalle Internet. Sie ist eine weltweite Plage, die angehende Filmstudenten wie gestandende Politiker befallen kann. Gegen den dialektischen Ohrwurm hatte die peinliche Kirmesmusik aus Schweden, das Lied über den liebeskranken Annabot keine Chance. Dafür ist das von Basshunter geschrieben Stück aber auf Platz drei der offiziellen Hitliste angelangt und ist auch für MTV-Zombies passend videographisiert. So sind sie, die Schweden, die gegen Deutschland kickten, und wirklich nicht besonders gut dabei aussahen.

*** Mein Aufruf zur Einsendung musikalischer Peinlichkeiten wurde im letzten WWWW übrigens als "Respektlosigkeit vor dem Glauben" anderer interpretiert. Nun, ich lasse den anderen ihre Götter. Das hier ist eine kleine Wochenschau mit IT-Themen und verwandten Angelegenheiten, keine Zwangstaufe in Sachen Atheismus, wie unterstellt wird. Ins Freie wird sich jeder selbst denken können, ganz anders als die christlichen Programmierer, die hinter Left Behind stehen, in dem Ungläubige nur getötet werden können, sinnigerweise mit Unterstützung einer Software, die eine israelische Firma namens Double Fusion programmierte. So gesehen, ist "der Glaube" für mich schlicht eine No-Go Area.

*** "Die grausamste und böseste Folge der Reform ist die Art und Weise, wie sie Familien auseinanderreißt. Ein Rentner zum Beispiel würde, wenn er verwitwet ist, normalerweise beim einen oder anderen seiner Kinder wohnen, seine Rente käme in die Haushaltskasse, und wahrscheinlich würde nicht schlecht für ihn gesorgt. Nach der Reform jedoch zählt er als 'Mieter', und wenn er im Hause bleibt, wird die Arbeitslosenunterstützung seiner Kinder gekürzt." Wer weiterlesen will in diesem nüchternen Hartz-Report, kann das gerne tun. Vorher sollte er vielleicht noch die Antwort auf dummbratzige Journalisten lesen, die in ihrer Ahnungslosigkeit Hartz IV als Vollkomfort bezeichnen. Ergänzend wäre der Abschlussbericht des Ombudsrates Grundsicherung für Arbeitssuchende zu empfehlen, der den sozialen Kahlschlag bis jetzt begleitet hat. Passen würde vielleicht auch noch die bevorstehende Reform der EU-Weinmarktverodnung, mit der Sägespäne im Wein legalisiert werden, damit Hartz-IV-Empfänger einen trinkbaren Wein bekommen. Darum noch einmal aus dem eingangs schon zitierten Text zur WM-Party, wenn es über die Pahdy heißt: "Nein, es ist nur der Markt, dessen Allegorie wir aufführen. Wir alle müssen an ihm teilnehmen. Nicht nur für Karriere und Lebensunterhalt, auch weil ein anderes Soziales sich kaum noch findet. Auch ein Außen der WM ist nicht mehr zu finden und alle, die sich gerne in ein solches zurückziehen würden, spüren deutlich, dass sie damit aus der Welt fallen würden."

*** Ein Link zur Hartz-Reportage müsste noch gehen. Es ist eine schonungslose Erzählung, wie es ist, außen vorgelassen zu werden. Allerdings ist der Text aus dem Jahre 1936 und beschreibt den Weg nach Wigan Pier. Heute hat Eric Blair, besser bekannt als George Orwell, Geburtstag. An den Dekodierer des Newspeak wird heutzutage nur noch anlässlich von Datenschutzfragen erinnert. Dabei hat Orwell die Nöte der Schwachen beschrieben, wie dies heutzutage nur noch in manchen Blogs zu lesen ist. Dort steht dann Party, Party, Paahdy von unten aussieht. Nämlich beschissen, mit Sitzverbot und zwei Sandwiches Verpflegung pro Tag.

Was wird

Auch die Wahrheit kann, inbrünstig gesungen, eine kleine Peinlichkeit sein. So geht es weiter mit Party, Pahdy in den deutschen Landen, die nur von Unkennern europäischer Fußballkultur mit Belgien verwechselt werden. Ausgerechnet Belgien, das Land der Fritten, Schokoladen und einem Manneken, dessen Regierung sich gerade für ODF und gegen OpenXML als Datenformat aller amtlichen Dokumente ausgesprochen hat.

Wenn alle vom Fußball reden und der Fußball auch noch Teamgeist hat, dann sollte man vielleicht dran erinnern, dass der deutsche Wunderfußball mit einem RFID-Chip bei diesem Turnier nicht eingesetzt wird. Die Technik war schlicht ähnlich unbrauchbar wie der Einsatz von RFID-Chips in WM-Tickets, die momentan mit dicken schwarzen Edding-Schreibern "personalisiert" werden. Das alles ficht die Branche nicht an, die in der nächsten Woche gleich mehrere Tagungen zum Thema RFID veranstaltet. So lädt das Wirtschaftsministerium zusammen mit der Industrielobby RFID-Forum zur Tagung Chancen erkennen. Innovationen ermöglichen. Tags darauf folgt der VDI/VDE mit einem RFID-Informationstag unter dem Titel "Deutschland ist Weltmeister". Aber nicht doch, noch nicht. Es sei denn, man meint die RFID-Chips, die in allen Bierfässern stecken. (Hal Faber) / (jk)