Abschaltbare Skrupel

Die Hirnforscherin Daria Knoch und der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr von der Universität Zürich haben herausgefunden, dass der Hang zum persönlichen Vorteil im vorderen Stirnlappen reguliert wird.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 169 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von

Die Hirnforscherin Daria Knoch und der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr von der Universität Zürich haben herausgefunden, dass der Hang zum persönlichen Vorteil im vorderen Stirnlappen reguliert wird. Die Wissenschaflter berichten über ihre Ergebnisse in der Online-Ausgabe des Fachmagazins Science (D. Knoch and E. Fehr, Diminishing Reciprocal Fairness by Disrupting the Right Prefrontal Cortex, Science Online DOI 10.1126/science.1129156).

Eigennutz werde stark von sozialen und moralischen Werten geprägt, meint der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Ernst Fehr von der Universität Zürich. Der Mensch sei die einzige Spezies, die egoistisches Verhalten bestrafen könne, auch wenn es zum eigenen finanziellen Nachteil führe. Um herauszufinden, welche Hirnregionen daran beteiligt sind, setzte er gemeinsam mit seiner Kollegin, der Hirnforscherin Daria Knoch, 52 männlichen und rechtshändigen Probanden einem so genannten ultimativen Spiel aus: Sie wurden Partnern gegenübergesetzt, die eine gewisse Menge Geld zur Verfügung hatten. Dieser teilte das Geld höchst unfair: für ihn selbst bestimmte er den weitaus größeren Anteil. Der Studienteilnehmer hingegen durfte das Angebot entweder annehmen oder ablehnen. Verzichtete er auf das Geld, bekamen beide nichts.

"Bereits in vorhergehenden Studien zeigte sich, dass die meisten Menschen das Angebot nicht annehmen, um das unfaire Verhalten ihres Partners zu strafen" so Fehr in Science. Nun war unklar, wo diese Entscheidung stattfindet. Bis dahin ließen Studien mit bildgebenden Verfahren vermuten, dass der vordere Stirnlappen – der evolutions- und individualgeschichtlich am spätesten ausreift ist – an der Ausübung von Selbstkontrolle beteiligt ist. So nutzen die Schweizer Wissenschaftler ein schmerzfreies und nicht-invasives Verfahren, um die Aktivität des Hirnareals kurzzeitig zu unterbinden. Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) schickt kurze magnetische Impulse durch den Schädel zu einer bestimmten Stelle und stört dort für einen kurzen Augenblick die elektrische Informationsweiterleitung.

Das Ergebnis: Probanden, deren Erregbarkeit im Stirnlappen gemindert wurde, konnten ihren Eigennutz weit weniger gut kontrollieren als solche, die sich unmanipuliert in das Spiel begaben. Moralische Veränderungen sind auch von Menschen, die an Hirnverletzungen, Tumore oder andere Nervenerkrankungen direkt hinter der Stirn leiden, bekannt. Der Hirnforscher Antonio Damasio stellte bereits vor etwa 30 Jahren fest, dass Kinder, die vor dem zweiten Lebensjahr im Stirnhirn Verletzungen erlitten, kein sozial-moralisches Verhalten mehr lernen. Ähnliches gilt für manche Patienten mit einem Epilepsie-Herd in der Stirnregion.

Interessant ist jedoch, dass Spielteilnehmer unabhängig davon, ob ihr vorderer Stirnlappen stimuliert wurde, das Verhalten des Partners als sehr unfair beurteilten. Wer also egoistisch reagiert, hat keine Probleme, seinen Verhandlungs- oder Beziehungspartner als durchaus unfair zu empfinden. (Edda Grabar) / (wst)