Soll Internetsucht vor Kündigung schützen?

In den USA hat ein ehemaliger IBM-Angestellter, der wegen seiner Internetnutzung am Arbeitsplatz gekündigt wurde, Klage eingereicht.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Florian Rötzer

Der ehemalige IBM-Angestellte James Pacenza hat eine Klage gegen den Konzern eingereicht, die möglicherweise weitreichende Folgen haben könnte, wie Business Week berichtet. Im Mai 2003 wurde er von IBM, wo er 19 Jahre lang beschäftigt war, entlassen. Ein Kollege hatte auf Pacenzas Monitor einen Chat über einen Geschlechtsakt entdeckt. IBM begründete die Kündigung damit, dass damit die Richtlinien zur Internetnutzung verletzt und Eigentum des Konzerns missbraucht worden sei.

Pazenca hatte bereits 2004 eine Klage gegen IBM wegen ungerechtfertigter Kündigung eingereicht und verlangt Schadensersatz in Höhe von 5 Millionen US-Dollar. Der Fall blieb wegen einer Erkrankung des Klägers und dem Einsatz seines Anwalts als Soldat im Irak liegen und wurde erst im November wieder aufgenommen. IBM hat vor wenigen Tagen das Gesuch gestellt, das Verfahren einzustellen.

Pazenca leugnet nicht, dass er das Internet beim Arbeiten für andere und unerlaubte Zwecke benutzt habe. Er macht aber geltend, dass er schon vor dem Bekanntwerden des Kündigungsgrundes seinem Vorgesetzten über seine exzessive Nutzung des Internet berichtet und ihm gesagt habe, er habe damit ein Problem. Im Betrieb sei man dem aber nicht weiter nachgegangen. Sein Anwalt führt an, dass Pazenca internetsüchtig war und dass der Konzern durchaus Möglichkeiten gehabt hätte, dessen Internetnutzung zu begrenzen oder entsprechende Filter in seinen Arbeitsrechner zu installieren.

Brisanz erhält die Klage deswegen, weil immer mehr Psychologen sagen, dass die exzessive Nutzung des Internet ebenso zu einer Sucht führen könne wie Drogen, Alkohol und Medikamente. Deswegen müsse Internetsucht als psychische Störung gelten. Offiziell ist Internetsucht oder das Internet-Abhängigkeitssyndrom (IAS) aber noch nicht im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM 4) der American Psychiatric Association (APA) aufgenommen. Kämen aber Gerichte zu dem Urteil, dass es eine anderen Abhängigkeiten vergleichbare Internetsucht gibt, dann könnte für Angestellte der Americans with Disabilities Act gelten, der Abhängigkeit von legalen Substanzen als Behinderung einstuft und die Betroffenen entsprechend schützt. Für Arbeitgeber könnte dies erhebliche Folgen haben, da die Abhängigkeit eben auch mit der Tätigkeit am Arbeitsplatz verbunden ist. Arbeitgeber müssten eventuell Krankschreibungen akzeptieren, für Beratungen sorgen oder Arbeitsplätze für Internetabhängige umgestalten. Und wie im Fall von Pacenza wäre eine Kündigung aufgrund der Internetnutzung nicht mehr ohne weiteres möglich.

Ob es wirklich eine Internetsucht gibt, ist unter den Experten umstritten, auch wenn manche Psychologen davon sprechen, dass bis 10 Prozent der Internetnutzer süchtig oder zumindest suchtgefährdet seien. Allerdings könnte eine exzessive Nutzung, die mit Zwängen, Rückzug oder Leidensdruck einhergeht, nicht selbst eine Krankheit, sondern Folge und Symptom von dahinter liegenden psychischen Problemen wie Depressionen, Angsterkrankungen oder bestimmten Persönlichkeitsstörungen sein. (fr)