Mobilfunker in Urlaubsländern opponieren weiter gegen Roaming-Regulierung

Österreicher genießen Minutenpreise für Inlandsgespräche ab 3,9 ct, für die Quersubventionierung sorgen die happigen Roaming-Entgelte für den Sprach- und Datenverkehr ausländischer Gäste.

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Von
  • Sven-Olaf Suhl

"Nehmen ist seliger denn Geben" – so lässt sich die Interessenlage der Mobilfunknetzbetreiber in klassischen Urlaubsländern wie Österreich, Spanien oder Italien zuammenfassen. Die von der EU-Kommission auf den Weg gebrachte Einführung von Obergrenzen für Handytelefonate in einem ausländischen Netz erinnert Hannes Ametsreiter vom österreichischen Marktführer mobilkom austria an die sozialistische Wirtschaftslenkung in Osteuropa, und er fügt ironisch die Frage hinzu, wann die EU auch die Autopreise regulieren wird.

Sein heutiger Vortrag "Der österreichische Mobilfunkmarkt – Chancen des Wachstums" auf dem Düsseldorfer Kongress Telekommarkt Europa lieferte indirekt die Begründung für die Polemik aus Österreich. Mit Minutenpreisen von 3,9 Cent für alle nationalen Gespräche "ohne Netz und doppelten Boden" hat mobilkom austria mit seiner neuen Marke bob die Preisführerschaft an sich gerissen. Interessant auch für deutsche Mobilfunkanbieter oder solche, die es werden wollen, ist der kosteneffiziente Anmeldeprozess bei bob: Erst nach vier Wochen erlangen Neukunden vollen Vertragsstatus: Zunächst können sie 100 Freiminuten anfordern und sich parallel über eine (0800)-Nummer oder im Internet anmelden. Während der Startphase sind nur nationale Standardgespräche möglich, Roaming sowie Verbindungen zu Auslands- und Sonderrufnummern hingegen bleiben gesperrt. Nach circa vier Wochen erledigt bob die Identitäs- und Bonitätsprüfung in einem, indem der Anbieter probehalber 10 Cent von dem Konto des Neukunden abbucht.

Ametsreiter, im mobilkom-Konzern Vorstand für Marketing und Vertrieb, räumt ein, dass der Minutenpreis von 3,9 Cent einen "Tanz auf sehr dünnem Eis" für den Anbieter bedeute – schließlich liegen die Terminierungsentgelte an andere österreichische Netzbetreiber über 3,9 Cent, von denen bob zudem noch die Mehrwertsteuer abführen muss.

Ein wirtschaftliches Perpetuum mobile hat indes auch in Österreich niemand erfunden – vielmehr zahlen die zahlreichen Touristen mit ihren Roaming-Gebühren die Zeche für die paradiesischen Konditionen der einheimischen Handynutzer. Fairerweise müsse man hinzufügen, sagen österreichische Mobilfunk- wie Tourismusmanager, dass dank dieser Aufbauhilfe selbst die entlegensten Gebirgswinkel mit Mobilfunk versorgt seien, was wiederum die Rettung verunglückter Skifahrer und Kletterer begünstige.

Dass die Einnahmen von den Touristenströmen der eigentliche Grund für den starken Widerstand aus der Alpenrepublik wie aus anderen Urlaubsländern wie Spanien oder Italien gegen die EU-Regulierung sei, räumte Ametsreiter auf Nachfrage von heise online unumwunden ein. Seit dem gestrigen Montag sei ein neuer Roaming-Tarif von mobilkom/A1 vorzeitig verfügbar, dessen Konditionen teils sogar unter den Richtwerten der EU liegen. Freilich profitieren davon wiederum nur Kunden des österreichischen Anbieters, gleiches ist für von Ametsreiter angekündigte "neue Ansätze" bei Daten-Roaming-Tarifen zu erwarten.

Zum Leidwesen der Kongressbesucher, die für zweieinhalb Tage Vorträge und Podiumsdiskussionen über 2000 Euro netto an den Veranstalter Euroforum zahlen, hatte der mobilkom-Vorstand die Veranstaltung längst wieder verlassen, als EU-Medienkommissarin Viviane Reding am Nachmittag zu einer Stippvisite aus dem nahen Brüssel an den Rhein kam und in makellosem Deutsch und mit Verve ihre Vision eines pan-europäischen Telecom-Markts vortrug: Wegen der Bedeutung des ITK-Sektors für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU-Staaten insgesamt sei die effiziente Regulierung der Branche ein Schlüsselelement für die wirtschaftliche Entwicklung Europas. Die EU-Staaten mit dem höchsten BIP-Wachstum (Großbritannien, Schweden und Irland) tätigten auch die relativ höchsten ITK-Investitionen und verfügten über die größten Forschungsetats in diesem Industriezweig. Redings Vision ist ein "echter" EU-weiter Binnenmarkt für die digitale Wirtschaft, um mit Anbietern auf anderen Kontinenten bestehen zu können.

Überregulierung sei im Übrigen nicht immer ein Produkt aus Brüssel, fügte die resolute Kommissarin hinzu, Widerstand gegen die Entlassung weiterer ITK-Teilmärkte in allgemeines Wettbewerbsrecht komme vor allem von den nationalen Regulierungsbehörden. "Sonntagsreden" pro Regulierung seien oft das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt seien. "Wie ineffizient Lobbying-Bemühungen auch aus den großen EU-Mitgliedstaaten sein können, hat sich bei der Roaming-Regulierung bewiesen“, schloss Reding und hob dies als Beleg für die Unabhängigkeit der Kommission hervor: "Die kleine Luxemburgerin lässt sich auch nicht von Ministern großer Staaten ins Bockshorn jagen". (Sven-Olaf Suhl) / (vbr)