Grey Global: Web 2.0 teuerstes Missverständnis seit New Economy

Der Chef der Werbeagentur Grey, Bernd Michael, sieht im Kauderwelsch der Mobile-Marketing-Strategen einen Grund, warum die "persönlichste aller Werbeformen" aufs Handy noch kein durchschlagender Erfolg wurde.

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Von
  • Sven-Olaf Suhl

Wenig Honig ums Maul und umso mehr Denkanstöße für diejenigen, die mit Mobile Marketing Geld verdienen wollen, gab es auf dem 2nd Mobile Media Summit des 19. Medienforums NRW, das noch bis Mittwoch in der Kölner Messe stattfindet. Während nebenan Bodo Hombach und andere über die Zukunft der Zeitung im Internetzeitalter diskutierten, gestattete das Panel "Mobile Marketing: Trends 2007" Einsichten in erfolgreiche und weniger erfolgreiche Kampagnen, die per Handy oder mobilem Internet-Zugang ihre Zielgruppe erreichen sollen.

Schwung in die Debatte brachte vor allem der Senior unter den Panelisten – Bernd M. Michael, Chef der Grey Global Group, die in 50 Ländern der Erde als Werbeagentur aktiv ist: Online-Werbern attestierte Michael, Etat-Verantwortliche in einem von unnötig vielen Anglizismen geprägten, unverständlichen "Kauderwelsch" anzusprechen, und ihre Kollegen vom Mobile Marketing seien auf dem besten Wege, gleichfalls infolge Kommunikationsdefizit mögliche lukrative Aufträge zu verpassen.

Die auch unter Mobilfunkern verbreitete Erkenntnis, dass das Handy neben der Armbanduhr der persönlichste Gegenstand ist, den die Menschen permanent mit sich führen, und das somit ein ideales Transportmittel für Werbung (fast) ohne Streuverluste darstelle, verband Michael mit der Mahnung an die jungen Wilden in der Branche, dieses enorme Potenzial nicht durch "peinliche Werbeformen" zu vergeuden. Mobile Marketing braucht viel Pull- und verträgt nur wenig Push-Elemente, beschrieb der Grey-Veteran die Abneigung des umworbenen Konsumenten gegen lästige, da ungefragt und ohne Bezug zum Konsumenten versandte Botschaften – über welches Medium auch immer.

Dass das Handy die persönliche Kundenbindung und -pflege unterstützen könne wie kaum ein zweites Werbeinstrument, habe ihm die Lufthansa vorgeführt, meinte Michael. Übernächtigt von einem Flug nach Hongkong zurückgekehrt, erhielt er nach der Landung die Botschaft, dass er sich nicht mit dem Umsteigen beeilen müsse, da sich sein Anschlussflug verspätete. Die Wartezeit könne er in einer Lounge überrücken. Diesem Positivbeispiel zum Trotz warnte Michael die Branche: "Wir dürfen nicht dahin kommen, dass bald auf jedem Handy 'bitte keine Werbung einwerfen' steht." Die Werbebranche muss sich selbst Regeln gegen belästigende Reklame auferlegen, bevor sie von der EU "eins übergebraten" bekomme.

Erst seit Kurzem und auf Druck der Marketing-Controller entwickele die Werbebranche Werkzeuge, die Aufwendungen für mobile Kampagnen präzis nachzurechnen. Doch seien die großen Werbetreibenden wie McDonalds bedauerlicherweise sehr öffentlichkeitsscheu, die Agenturverträge verböten es, genaue Zahlen öffentlich bekannt zu geben. Mit Blick auf "Social-Marketing"-Ansätze, die Werbebotschaften in Blogs und anderen Websites mit nutzergeneriertem Content platzieren, bezeichnete Michael das Web 2.0 als das zweitteuerste Missverständnis nach der New Economy, mit dem sich die Branche jemals beschäftigt habe – Second Life etwa sei eine absolute Minderheitenveranstaltung und für etliche Markenartikler ein Verlustgeschäft.

Konkrete Erfahrungen mit mobilen Kampagnen schilderte Gregor F. Gründgens, Marketing-Direktor bei Coca-Cola Deutschland. Der mobilen Werbe-Community sei es bis dato nicht gelungen, etwas zu finden, das so einfach zu handhaben sei wie SMS: Für den Brausehersteller geeignete Mobile-2.0-Werbeplattformen habe er in realiter bisher nicht gesehen, "Coco-Cola will keine 5000 Autos verkaufen, sondern monatlich Millionen von Getränkeflaschen." Games haben noch keine hohe Bedeutung für Coca-Cola: Mobile Games mache Coca-Cola, das weltweit über einen der größten Werbeetats überhaupt verfügt, Gründgens zufolge "so ganz nebenbei", nur eine fünfstellige Anzahl Nutzer habe ein in den "Untiefen" des virtuellen Coke-Fridge abgelegtes WAP-Applet heruntergeladen. Hingegen habe die erste Auflage der "Fanta-Flaschenpost", mit der Kunden per SMS-Code im Flaschendeckel "Goodies" anfordern konnten, 2004 mit einer redemption rate von 3,7 Prozent zu einem hervorragenden Wert geführt. Auch heute noch erreiche das Verhältnis von Coupon-Distributionsmenge zu Rücksende- beziehungsweise Einlösequote bei ähnlichen Aktionen gute Werte.

Thomas Wolf, Vorstandsvorsitzender der Oberhausener conVisual AG, hofft auf erfolgreiche Kooperationen mit Markenartiklern im Mobile Marketing. Doch lieferten die Mobilnetzbetreiber bis dato hierfür keine Kooperationsmodelle, die so ausgereift wie zum Beispiel das Voting per Telefon-Sondervorwahl seien. Zuversichtlicher als Grey-Chairman Michael sieht Sven Tollmien von der Hamburger TrendONE das Potenzial von Mobile Marketing. Er macht drei Haupttrends aus, nämlich Mobile Internet, Mobile TV, Social Marketing in Web-2.0-Anwendungen. Ein großer Wurf sei auch das "In-Game-Advertising", das mit zunehmender Eignung von Handys als Spielekonsole Einzug in die mobile Welt halten werde. Ingo Lippert, Vorstandsvorsitzender der Münchner MindMatics AG, sieht in der SMS weiterhin den "kleinsten gemeinsamen Nenner", um mobile Kunden zu erreichen: In der Mechanik des Pull-Maketings per SMS habe sich die letzten Jahre nichts geändert – doch seien die Inhalte, die zurückgesandt werden, inzwischen wesentlich komplexer geworden.

Als Beispiel für erfolgreiches Mobile Marketing präsentiert Lippert die Internet-Kampagne für die Markteinführung des VW Eos. Kunden, die dem Werbeempfang vorher zugestimmt hätten, seien in einer Kombination von SMS und E-Mail angesprochen worden. Wegen der begrenzten Textlänge der SMS diente diese lediglich als Ankündigung für Neueingänge per E-Mail – zum Beispiel der exklusiv anmutende Hinweis auf eine frühe Fahrzeugpräsentation (Promo-Event) in bestimmten Orten. Gleichzeitig bot die VW-Website mit fürs Handy bestimmten Infos – zum Beispiel animierte Wallpaper, die den aufwendigen Verdeckmechanismus des Eos vorführten. Innovativ klingt die Idee, den Autokatalog als Java-Handy-Applet für Handy anzubieten. Wer im VW-Showroom die Bluetooth-Funktion seines Handys auf "sichtbar" gestellt hatte, wurde von einer Sendesäule per BT-Ping angesprochen. Ihr Einverständnis gaben rund 50 Prozent der angefunkten Nutzer.

Zum 19. Medienforum Nordrhein-Westfalen siehe auch:

(Sven-Olaf Suhl) / (jk)