Vor der Lehrstelle: Bewerbungstests sind fast überall Standard
Auf das Schulzeugnis als Grundlage für die Personalauswahl verlassen sich immer weniger Firmen.
Die Bewerbung für eine Lehrstelle ist verschickt, und nach wochenlangem Warten trudelt endlich die Antwort des Unternehmens ein. Doch vor der erhofften Einladung zu einem Bewerbungsgespräch möchte die Firma ihre potenziellen neuen Auszubildenden erst einmal auf Herz und Nieren testen: Mathematik, Fremdsprachen, Allgemeinwissen, Logik – die Anforderungen sind hoch. Mit Hilfe einer Prüfung versuchen immer mehr Arbeitgeber herauszufinden, wie fit die Bewerber in den verschiedenen Gebieten sind und wo ihre Stärken und Schwächen liegen.
Auf das Schulzeugnis als Grundlage für die Personalauswahl verlassen sich nach Ansicht von Marcus Schulte von der Audi-Akademie in Ingolstadt immer weniger Firmen. Der Personalberater und Buchautor, der die Audi AG bei der Auswahl der Mitarbeiter unterstützt, hält Zeugnisse nur für bedingt vergleichbar. "Die Aussagekraft hat in den letzten Jahren nachgelassen." Oftmals seien Noten abhängig von der Sympathie der Lehrer. Deshalb stützten sich die Betriebe bei der Azubi-Wahl zunehmend auch auf die Ergebnisse eines Bewerbungstests mittels Fragebogen oder Textaufgaben.
"Dann müssen alle die gleiche Hürde überspringen", erläutert Schulte. Die Prüfungen seien zumeist standardisiert, also für alle Bewerber mit demselbem Schwierigkeitsgrad. Jeder bekomme dieselbe Zeit, um die Aufgaben zu lösen, für die dann Punkte vergeben werden. Zu den häufigsten Testarten zählen Schulte zufolge Intelligenz-, Persönlichkeits- und Leistungstests. "Meistens geht es um Intelligenz." Dazu gehöre vor allem logisches Denken und Allgemeinwissen. "Zahlenreihen fortsetzen, Buchstaben durchstreichen, Bilder ergänzen sind nur einige Beispiele", sagt der Experte. Nach der Prüfung habe jeder das Recht, das Testergebnis auch einzusehen.
Berufsberaterin Ilse Rattka-Nüdling von der Agentur für Arbeit in Würzburg unterstützt die angehenden Lehrlinge bei der Prüfungsvorbereitung. "Manche Tests gehen über ein paar Stunden." Neben den Kenntnissen zum Beispiel in Deutsch und Englisch fragten viele Firmen auch nach branchenspezifischem Wissen. "Die Inhalte sind davon abhängig, was der Betrieb eigentlich erfahren möchte", sagt Rattka-Nüdling. Manchmal würden neben den Fragen zum Ankreuzen auch kurze Aufsätze oder Übersetzungen verlangt. "Da sollte jeder auf seine Handschrift achten." Haben die Kandidaten die erwünschte Punktzahl erreicht, heißt das allerdings noch nicht, dass sie die Lehrstelle auch bekommen. Eine weitere Hürde seien dann die Vorstellungsgespräche oder praktische Tests wie Präsentationen.
Der Berufsberaterin zufolge zeigt sich in Rollenspielen oder einer Gruppendiskussion, ob der Bewerber teamfähig ist, sich durchsetzen kann und welche anderen Eigenschaften er mitbringt. "Aber auch die Ausdrucksfähigkeit wird so geprüft." Während es bei den schriftlichen Prüfungen beispielsweise um Prozent- und Zinsrechnung, Geometrie, technisches Verständnis, Englisch oder die Rechtschreibung gehe, sei hier der Charakter des Bewerbers gefragt.
In der Berufsbildungseinrichtung der Deutschen Telekom in Erfurt durchlaufen jährlich hunderte Jugendliche verschiedene Testverfahren. Bereits vor der eigentlichen Bewerbung bei dem Unternehmen sollte der Schüler einen ersten Test im Internet machen, rät Roland Benda, der die Online-Tests der Firma betreut. "Hier kann jeder mal seine Selbsteinschätzung überprüfen, ob er überhaupt geeignet ist." Der Schüler bekomme dann nach der Auswertung der Ergebnisse eine Rückmeldung, wie gut er abgeschnitten hat. "Wenn man ein bestimmtes Level erreicht hat, sollte man sich bewerben", sagt Benda.
Neben dem schulischen Grundlagenwissen werden bei der Telekom auch Fragen gestellt, die sich direkt auf den angestrebten Beruf beziehen. Je nach Lehrstelle könnten dies Fragen zum IT-Sektor, zu kaufmännischen Dingen oder zum Unternehmen sein, sagt Benda. Haben die Bewerber die Prüfung bestanden, werde ihre Qualifikation für die Stelle schließlich in praktischen Übungen und im Vorstellungsgespräch weiter unter die Lupe genommen. "Wir wollen aus der Vielzahl der Bewerber den besten finden", sagt Benda.
Bevor sich die Jugendlichen wirklich den Bewerbungstests stellen, sollten sie sich richtig vorbereiten. Ob bei den Industrie- und Handelskammern, über Foren im Internet, regelmäßiges Zeitungslesen, mit Hilfe von Fachliteratur oder bei der Agentur für Arbeit – es gibt zahlreiche Quellen, die die Chance auf Erfolg erhöhen können. "Bei Veranstaltungen im Berufsinformationszentrum werden Testverfahren nachgestellt, und die Schüler können üben", sagt Berufsberaterin Rattka-Nüdling. Und auch für das Auftreten gibt es Trainingsmöglichkeiten: zu Hause vor dem Spiegel. (Angelika Röpcke, dpa) / (jk)