Yahoo: In China ist das eben so
Der Internetanbieter Yahoo hat vor einem US-Gericht die Abweisung einer Klage chinesischer Dissidenten beantragt, die nach der Kooperation des Providers mit den chinesischen Behörden aufgeflogen waren und inhaftiert sind.
Zensur und Folter haben in der schönen neuen Web-2.0-Welt nichts verloren. Sie irritieren die Entrepreneure und stören die Geschäfte im demokratischsten Medium aller Zeiten. Prozesse wie der, den die Menschenrechtsorganisation Human Rights USA im Namen chinesischer Dissidenten gegen den Internetriesen Yahoo anstrengte, können da nur stören. Vor einem US-Gericht muss sich der Konzern seit April wegen Beihilfe zur Verhaftung der Dissidenten Wang Xiaoning und Shi Tao verantworten. Mit einer schon von anderen Fällen bekannten Rechtfertigung hat das Unternehmen jetzt beantragt, die Klage abzuweisen: Yahoo müsse sich an chinesische Gesetze halten, das Ganze sei eine politische Angelegenheit und ein US-Gericht sei zudem nicht zuständig.
Weil Wang auch gefoltert worden sein soll, reichte die Organisation Klage unter dem 1992 verabschiedeten Gesetz zum Schutz von Folteropfern ein, nach dem ein US-Gericht im Falle von Folter auch für außerhalb der US-Jurisdiktion begangenes Unrecht zuständig sein kann. Wang, der sich in einem Yahoo-Forum für demokratische Reformen ausgesprochen hatte, war 2003 verhaftet und zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Yahoo soll den staatlichen Behörden dabei ebenso mit Hinweisen zur Identität des Kritikers geholfen haben wie im Fall des 2005 verurteilten Journalisten Shi Tao, der sich der Klage Wangs inzwischen angeschlossen hat.
Yahoo hat nun die Abweisung der Klage beantragt. Die chinesische Tochter, an der der kalifornische Konzern seit Ende 2005 direkt nur noch eine Minderheitsbeteiligung hält, habe sich an geltendes chinesisches Recht zu halten. Und an selbst auferlegte Verpflichtungen: Die Internetanbieter im Reich der Mitte hatten auf Wunsch des Staats 2002 eine freiwillige "Selbstdisziplinierung" unterschrieben, in der sie sich zur Kooperation mit den Behörden verpflichteten, sollten "Staatsgeheimnisse" betroffen sein. Auch Yahoo China gehörte der Anklage zufolge zu den Unterzeichnern. Die US-Mutter hatte im Fall Shi Tao eine Kooperation mit den chinesischen Behörden nicht bestritten, doch habe sie keine Einzelheiten der Vorwürfe gekannt und daher die Konsequenzen nicht absehen können. Diese Version wurde allerdings kürzlich nicht nur vom US-Kongress in Zweifel gezogen.
Für den Internetanbieter ist es völlig normal, dass man sich im Ausland an geltendes Recht hält. Yahoo tut hier gerne so, als gehe es dabei um so etwas wie unterschiedliche Regeln zur Steuerpflicht in Frankreich oder Großbritannien. Menschenrechte in China sind für Yahoo eine rein politische Frage, für die weder das Unternehmen noch die US-Gerichte die Verantwortung übernehmen können. "Im Kern geht es hier um den Zorn der Kläger über die Gesetze und das Verhalten der chinesischen Regierung", erklärte eine Yahoo-Sprecherin gegenüber der Los Angeles Times. "Die amerikanische Justiz ist nicht das richtige Forum, sich mit diesen politischen Bedenken zu beschäftigen".
Parallel zu der Klageabweisung hat Yahoo dem Bericht der Los Angeles Times zufolge Schutz nach dem kalifornischen Anti-SLAPP-Gesetz (Strategic Lawsuits against Public Participation) beantragt. Das Gesetz wurde 1992 eingeführt, unter anderem um Individuen vor strategischen Klagen von mächtigen Organisationen zu schützen, die nur die Unterdrückung von unbequemen Meinungen zum Ziel haben. Es verhindert zum Beispiel, dass der Kläger auch ein aussichtsloses Verfahren mit prozesstaktischen Manövern in die Länge ziehen kann. "Es ist schon außergewöhnlich ironisch, dass sie den Schutz der freien Meinungsäußerung heranziehen, um einen Prozess loszuwerden, in dem es um die Einschränkung eben dieser Rechte von Yahoos eigenen Kunden geht", meint Morton Sklar, Geschäftsführer der Washingtoner Menschenrechtsbehörde.
Für Yahoo – wie auch für Google und andere US-Großkonzerne – stellt das Chinageschäft ein Dilemma dar. Yahoos Geschäftsmodell setzt auf freien Informationsfluss, der im Falle Chinas offenbar nur in Richtung Regierung funktioniert. Doch niemand will den explodierenden Markt allein den Chinesen überlassen, seien die politischen Verhältnisse auch noch so wenig mit westlichen Prinzipien vereinbar. Yahoo ringt sich eine Sympathieerklärung für die armen Dissidenten ab und tut ansonsten so, als habe das Unternehmen damit nicht weiter zu tun. "Das ist eine Angelegenheit der Politik und der Diplomatie, nicht der Justiz", meint die Yahoo-Sprecherin. Vielleicht auch eine der Moral, aber das sagte sie nicht. (vbr)