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Was war. Was wird.

Mit dem freien Willen ist das so eine Sache, findet Hal Faber. Mehr als die Hälfte der Deutschen haben wohl nichts gegen Onlinerazzien und Datenvorräte. Da spenden auch die Bobos mit ihrem Schäuble-sicheren Supernetz 2.0 kaum Trost.

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Von
  • Hal Faber
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In dieser Woche hat Gott wieder einen Fehler gemacht. Schon in der letzten Woche klappte das nicht so richtig mit dem Paradies auf Erden. Beim Apfel rutschte versehentlich die Erkenntnis in den Klumpen aus Vitamin C, Kalium, Pektinen, Fructose und Phenolsäuren. Mit "Pfoten weg von diesem Apfel" jagte Gott dem Menschen einen ordentlichen Schrecken ein, aber dann passierte prompt der nächste Fehler in Eden 1.0: der Apfel fiel vom Baum, zur Überraschung Gottes. Fallobst darf gegessen werden, meinte die Schlange, die sonst nur über Sex und Rock'n'Roll doziert. Der Mensch mampfte den Apfel, wurde klug und dachte nach. Das passte ebensowenig in den Gottes-Plan wie die Protestmärsche von Mönchen in Birma. Schließlich musste Gott den aufgeklärten Prototyp als Vorserien-Entwicklungsmodell abschalten. Vielleicht war das der dritte Fehler. Denn was nach Adam kam und nicht Eva hieß, nannte sich Nena und denkt in Mustern.

*** Das mit dem freien Willen ist eine höllisch vertrackte Sache. Nehmen wir nur den bayerischen Transrapid, der nach dem Willen eines Stoibers gebaut werden soll, obwohl die Bevölkerung dagegen ist und die Finanzierung eine Seifenblase, wie es sie nicht einmal zu besten Dotcom-Zeiten gab. So mächtig willig ist der Mann, dass Brüssel jetzt schon vor dem Bürokratieabbaubeauftragten zittert. Als erstes wird der gute Mann vielleicht einen Blick in die nicht genutzten EU-Töpfe für Landwirtschaft und Verwaltung werfen, aus denen nun der notorische Spätstarter Galileo finanziert werden soll. Dumm nur, dass Deutschland gerade dagegen ist, weil im Europa der prästabilisierten Harmonie die Galileo-Aufträge an Alcatel und Alenia vergeben werden sollen und die "deutsche" Firma EADS leer ausgeht.

*** Es gibt ihn doch, den freien Willen. Bereits mit seinem "Abschied vom Proletariat" und den "Wegen ins Paradies" hatte Gerhard Hirsch angedeutet, dass die Befreiung in einer Gesellschaft auch außerhalb der Bedingungen der klassischen Lohnarbeit gesucht werden kann. Er war der erste, der ein Lebensarbeitskonto anregte - und einer der ersten, die sich von der Forderung nach einem Grundeinkommen verabschiedeten. Sein letztes großes Werk war eine Abhandlung über die Zukunft der Wissensgesellschaft. In "Wissen, Wert und Kapital" heißt es: "Wir gehen einer posthumanen totalitären Universalmaschine viel schneller entgegen als einer echten Wissensgesellschaft". Nun ist er tot, In Liebe in den Freitod gegangen, gemeinsam mit seiner Dorine, für die er zuletzt seinen Brief an D. veröffentlichte. Wenn kommende Generationen André Gorz, den Sohn eines jüdischen Holzhändlers, wirklich nur noch als Dichter einer ergreifenden Liebeserklärung wahrnehmen werden, wie hier behauptet, dann wäre das ein Verrat am großen Verräter, der bei seinem Thema blieb. Nicht von ungefähr findet sich ein Abschiedsgruß der anderen Art auf der Oekonux-Seite, wo ein alter, klapperiger Mann aus der Ferne schreibt:

"Die gesellschaftlichen Beziehungen, die ihr miteinander pflegt, scheinen frei zu sein von den vorherrschenden Formen von Machtwillen, Besserwisserei, Eitelkeit. Mit einigen von euch habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Freude und Lust zum Geben und Annehmen ansteckend und befreiend wirken. Ihr seid die Gruppierung, der zuzugehören ich wirklich Lust hätte."

*** Nach einer ganz frisch angerichteten Umfrage sind 55,6 Prozent der Deutschen für die heimliche Online-Durchsuchung und die auf einmal "damit verbundene Datenspeicherung auf Vorrat". Was immer wirklich gefragt wurde, bleibt unklar, doch "die Mehrheit" scheint eine ebenso fragwürdige Prozentzahl zu sein wie jene 48 Prozent , die "Netzbespitzelungen" akzeptieren wollen und die 58 Prozent , die unmittelbar nach der Festnahme von Terrorverdächtigen den Einsatz trojanischer Pferde befürworteten. Die beharrliche Arbeit von Wahrheitsminister Schäuble und Friedensminister Jung scheint sich auszuzahlen, auch wenn hin und wieder kritische Geister merken, wie nur gelabert wird. So haben wir eine Handvoll bis ein Dutzend Fälle, in denen eine Online-Durchsuchung zur Aufdeckung von Zusammenhängen unumgänglich sein soll, bisher 250 vom Weg abgekommene Flugzeuge – und immer noch keine Klarheit darüber, was passiert, wenn Terroristen eine Maschine mit dem Flugpassagier Wolfgang Schäuble kapern. Vielleicht stürzt sein von deutschen Kampfflugzeugen angeschossener Airliner über London ab, weil die Dinger länger in der Luft bleiben als die ministeriellen Piff-paff-tot-Szenarios es glauben machen.

*** Auf seine Weise dürfte Wolfgang Schäuble übrigens stolz sein: Selbst die Sonnyboys des Web 2.0, die jederzeit bereit sind, einen ahnungslosen Webwandler mit ihrem Target-Marketing genannten Unsinn zu überfallen, machen sich inzwischen Gedanken darüber, wie ein Internet-Auftritt Schäuble-sicher gestaltet werden kann. Allerdings könnte man anstelle von Schäuble-sicheren Installationen auch von einem normalen, ernsthaft angegegangenen Datenschutz sprechen. Doch zeigt sich chronikalisch die Flüchtigkeit der Idee vom informationellen Selbstbestimmungsrecht, das nach 30 Jahren Datenschutz im Namen des Antiterrors in die Defensive geraten ist.

*** Wenn André Gorz von kommenden Generationen als Liebesdichter wahrgenommen wird, dürfte der Kernbereich privater Lebensführung zu der komischen Zeit gehören, als man noch Liebesbriefe schrieb und nicht den Liebesschwur mit dem Camcorder aufzeichnete, Web-öffentlich natürlich. Denn in zehn Jahren ist der Kernbereich weggeschmolzen wie das Eis am Nordpol, wenn man aus zehn Metern Entfernung Fingerabdrucke und Iris-Scans von Personen nehmen und abgleichen kann. Wer dann noch etwas über einen privaten Kernbereich erzählt, wird vielleicht als "bürgerlicher Individualist" belächelt. Ach nein, das war heute vor 30 Jahren, als der Bundestag im Kampf gegen den Terror das Kontaktsperregesetz verabschiedete, mit vier Enthaltungen. Erstmals hatte die sozial-liberale Koalition keine Mehrheit mehr, weshalb die Neinsager in der SPD als "bürgerliche Individualisten" beschimpft wurden. Die Abweichler verwahrten sich gegen die Diffamierung mit einer Erklärung: "Der Kampf gegen den Terrorismus wird nicht durch Sondergesetze gewonnen, sondern durch eine entschlossene Anwendung des geltenden Rechts."

Was wird.

Die größte Demonstration für Demokratie seit 20 Jahren ist vorüber, die kleinen Trippeleien gehen weiter. Die Datenschützer im Nachbarland mit den Deichen haben ihre Kaaskoppen mit dem Big Brother Award ausgezeichnet, der bei uns in zwei Wochen vergeben wird. Dabei kommt es in Bielefeld zur größten Versammlung von Datenschützern auf deutschem Boden, weil am selbigen Freitag der Datenschutzverein tagt und tags darauf die kritischen InformatikerInnen Tacheles und nicht Femini-Spräch zur Datensammelwut reden.

In der letzten Wochenschau hatte ich die großen Heisetickerleserumfrage nach den neun besten Spielfilmen ausgerufen, nicht ahnend, welch knifflige Definitionsfragen die verehrte Leserschaft bewegt. Ist Fassbinders Welt am Draht am Ende kein Spielfilm, sondern nur eine Fernsehdokumentation der nahen Zukunft? Und was ist mit Simulacron-3 von Daniel F.Galouye, dem Roman, der die Vorlage lieferte. So wurden im Forum gleich mehrere Umfragen gestartet, die weiter laufen sollen. Neben der Frage nach den besten Spielfilmen ist die Frage nach TV-Serien offen, in denen Computer eine Rolle spielen, sind die Romane gefragt, die nämliches Thema behandeln. Und wenn ich mir es richtig überlege, müsste auch die Musike zum Thema eine hübsche Liste ergeben. Womit ich fast beim kommenden Sputnik-Tag angelangt bin, als die Sowjetunion vor 50 Jahren die Welt schockte. Little Richard gab damals das Singen auf und wurde Prediger und Ross Perot gründete seine Firma Electronic Data Systems, die von dem Wettrennen im Weltraum prächtig profitierte. (Hal Faber) /

(vbr)