Schweizer Elektrosmog-Gegner wollen Handy-TV verhindern

Die Swisscom hat nach ihrer Wimax-Schlappe neuen Ärger mit der Schweizerischen Interessengemeinschaft Elektrosmog-Betroffener: Die Elektrosensiblen stören sich an den Sendeanlagen für DVB-H.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 325 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Tom Sperlich

Wird die für das kommende Jahr geplante Übertragung von Spielen der Fussball-Europameisterschaft EURO 08 über Handy-TV in der Schweiz ins Wasser fallen? Dem Schweizer Telekommunikationskonzern Swisscom droht neues Ungemach durch die Schweizerische Interessengemeinschaft Elektrosmog-Betroffener (IG Gigaherz). Die Swisscom Broadcast AG hatte vor einer Woche die Konzession für den schweizweiten Betrieb von Handy-TV unter DVB-H erhalten. Jetzt will die Interessengemeinschaft gegen den Aufbau von DVB-H-Antennen vor Gericht ziehen.

"Wir wollen einen Präzedenzfall schaffen und einen Musterprozess bis vor das Bundesgericht führen", sagt Hans-Ueli Jakob von der IG Gigaherz. Stein des Anstoßes ist die derzeit erste DVB-H-Testsendeanlage in Köniz im Kanton Bern. Die Elektrosmog-Gegner stoßen sich an der Sendeleistung der Anlage, die nach eigenen Messungen der Initiative und Angaben aus dem Bauantrag der Swisscom 10.000 Watt beträgt. In einem Datenblatt für das Baugesuch für den zweiten Standort oberhalb der Stadt Zürich wird gar eine Sendeleistung von 13.000 Watt angegeben. Die hohe Sendeleistung wird benötigt, um beispielsweise Handy-TV auch in Fahrzeugen zu empfangen oder Ziele unter Tag erreichen zu können. Das im selben Frequenzband sendende DVB-T soll im Vergleich dazu in Könitz mit 5000 Watt und in Zürich gar nur mit 1000 Watt betrieben werden.

Man wolle kein neues Kommunikationsnetz "mit einer derartig starken Sendeleistung für so etwas unnötiges wie dieses 'Mäusekino'", betont Jakob und will deshalb DVB-H in der Schweiz verhindern, "wenigstens so lange wie möglich". Er beziffert die Chancen der Interessengemeinschaft, zu gewinnen, auf "90 Prozent". Zumindest wolle Gigaherz den DVB-H Start zur Fußball-Europameisterschaft verzögern. Ob sich die Elektrosmog-Betroffenen damit sonderlich viel Unmut zuziehen ist noch nicht einmal gesagt. In verschiedenen Umfragen in Europa ergeben sich bislang keine übermäßig positiven Werte für das in den Startlöchern stehende Handy-TV.

In einer vergangenes Jahr von E-Plus in Auftrag gegebenen Befragung meinten nur 1,9 Prozent der Befragten in Deutschland, dass sie mobiles TV für sich persönlich als wichtig erachten. In einer Umfrage der ZEIT, ebenfalls in 2006, wollten sich wenigstens 7,6 Prozent der Befragten ein Mobiltelefon mit Fernsehfunktion kaufen. Und in einer kürzlichen Leserumfrage der Schweizer Boulevardzeitung Blick sagten nur 8 Prozent, dass sie sich ein Monatsabo für Handy-TV in Höhe von 20 Franken (12 Euro) leisten würden. (23 Prozent gaben an, dass die Swisscom zuerst mal sagen müsste, was sie denn senden will, bevor sie sich entscheiden.)

Für die Swisscom ist der Fall aber klar, so ihr Sprecher Sepp Frey: "Wir haben eine Konzession und einen Auftrag vom Bund erhalten, in einer bestimmten Frist ein bestimmtes Volumen auszuführen". Mit Hochdruck arbeite der Provider daran, das neue DVB-H-Netz termingerecht bis spätestens zur EURO 08 in mindestens vier Schweizer Städten (den EM-Spielorten Basel, Bern, Genf und Zürich) in Betrieb zu nehmen, wo 44 Prozent der Schweizer Bevölkerung wohnen. Für diese erste Phase sollen 26 DVB-H-Sender eingerichtet werden, "davon werden viele an bereits bestehenden Broadcast- und Mobilfunkstandorten realisiert werden", betont Sepp Frey gegenüber heise online. Die Standorte der neu zu errichtenden Sendeanlagen seien jedoch noch nicht bekannt.

In der zweiten Ausbaustufe, mit deren Abschluss bis Ende 2012 rund 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung DVB-H empfangen können sollen, werden insgesamt 100 DVB-H Sendestandorte benötigt. Swisscom-Sprecher Frey unterstreicht, dass die Sender sämtliche Auflagen der Behörden erfüllen und "der Betrieb im Rahmen der bewilligten Sendeleistung liegt". Ausserhalb von Vorschriften zu operieren, deren Einhaltung auch laufend überprüft würden, könne sich kein Unternehmen erlauben. Und "Emotionen haben in diesem Bereich keinen Platz", kommentiert Frey den Widerstand der IG Gigaherz.

Doch erst kürzlich haben die wehrhaften Schweizer E-Smoggegner der Swisscom die Suppe schon einmal gründlich versalzen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern gab im Juli 2007 einer Beschwerde der IG Gigaherz statt, da die Swisscom in einem Feldversuch für eine WiMAX-Sendeantenne in Boltigen (Kanton Bern) kein Baugesuch gestellt hatte. Swisscom hätte ein Gesuch stellen müssen, da die WiMAX Antennen nach Ansicht der Kläger mit mehr als 6 Watt sendeten. Und obwohl der Einspruch von IG Gigaherz gegen den Testbetrieb lief, sendete Swisscom munter weiter. Das Gericht ordnete daher in einer Verfügung an, dass der rechtswidrige Sendebetrieb unverzüglich einzustellen war.

Die Swisscom hatte deshalb kurz danach den Pilotversuch "vorzeitig, aber erfolgreich eingestellt", erklärt Swisscom-Sprecher Frey. Einen Einspruch gegen den Gerichtsentscheid legte die Swisscom nicht ein. Laut Freys Angaben sei es zur Zeit "völlig offen", wie es mit der WiMAX-Technologie in der Schweiz von Seiten Swisscom aus weitergehe. Aber es sei "auf jeden Fall eine interessante Technologie für die Zukunft". Die zuvor mit WiMAX versorgten Bürger in Boltigen erhalten übrigens ihren Breitband-Anschluss nun doch via ADSL und dies bis Januar 2008 sogar gratis.

Da Gigaherz mittlerweile als beschwerdeberechtigte Umweltschutzorganisation anerkannt ist, könnte sie bei jeder DVB-H-Antenne, die bewilligt werden muss, Einspruch einlegen. Das genau ist auch die Strategie der E-Smogbetroffenen. Hans-Ueli Jakob: "Vor Abschluss der Prozesse, die wir anstrengen, und der Einsprüche, die wir eingeben werden, darf auf keinen Fall gesendet werden. Die Zeit von der Einreichung eines Baugesuches bis zum Erhalt der Bewilligung kann mittels Baueinsprache und Baubeschwerde um mindestens eineinhalb Jahre hinausgezögert werden. Bis dahin ist die EURO 08 längst Geschichte." (Tom Sperlich) / (vbr)