Fachkräftemangel: Neue Chancen für ältere Arbeitnehmer?

Vor allem der allseits beklagte Facharbeitermangel lässt die Chancen für Ältere am Arbeitsmarkt wieder steigen, meinen Wirtschaft und Bundesarbeitsagentur. Ältere Arbeitnehmer müssten aber flexibel sein und sich in ihrem Fachgebiet weiterbilden.

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Von
  • Vivien Leue
  • dpa

Lars Lüke investiert in einen Zukunftsmarkt: den für ältere Arbeitssuchende. "Die demografische Entwicklung führt zwangsläufig dazu, dass man sich auf die Älteren fokussieren muss", sagt er. Vor rund einem Jahr gründete Lüke das Jobportal expertia.de, das sich ausschließlich an Menschen ab 50 wendet. Doch die Jobvermittlungen laufen erst langsam an. "Es ist ein mühseliges Geschäft, weil sich das Umdenken in den Unternehmen noch nicht durchgesetzt hat." Länder wie Dänemark fördern ihre älteren Arbeitnehmer beispielsweise durch kontinuierliche Fortbildungsmaßnahmen. Deutschland steckt dagegen bei der finanziellen Förderung von Weiterbildung noch in den Kinderschuhen. Dabei ist Qualifikation für alle Jobsuchenden das A und O. "Die Initiative 50plus war ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Cornelia Sproß vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

Mit dieser Initiative vom Bundesarbeitsministerium werden in ganz Deutschland Projekte gefördert, die ältere Arbeitslose vermitteln. Die Aachener Initiative krass (Konzept zur Reintegration älterer Arbeitsloser in Schlüsselbranchen) ist eines davon. Erst jüngst vermittelte krass eine 59-Jährige Frau in eine Anstellung als technische Zeichnerin – nach neun Jahren Arbeitslosigkeit. Das Alter sei derzeit kein Hindernisgrund, meint Marlies Kolley-Mohnen von krass.

Diese Einschätzung unterstützt Alexander Wilhelm von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA): "Bei der Auswahl der Bewerber steht die Qualifikation im Mittelpunkt." Einige Branchen setzen nach Aussagen des IAB sogar bewusst auf ältere Beschäftigte. "Banken oder Versicherungen haben die Erfahrung gemacht, dass ältere Kunden Probleme haben, wenn ein junger Mitarbeiter ihnen gegenüber sitzt und sie berät. Da setzen die Kunden wie nun auch die Arbeitgeber auf das Alter und die Erfahrung", sagt Sproß. Ähnliches zeige sich auch im Verkauf, etwa in Möbelhäusern.

An den Arbeitsmarktdaten gemessen sind die Chance für ältere Arbeitssuchende durchaus positiv, sagt Ilona Mirtsin von der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. "Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Alter von 50 bis 65 Jahren steigt stärker als bei allen Altersgruppen." Waren im Jahr 1996 nur 39 Prozent der über 55-Jährigen erwerbstätig, betrug diese Quote im vergangenen Jahr bereits 49 Prozent, Tendenz steigend. Spitzenreiter mit Quoten von mehr als 70 Prozent sind in Europa die skandinavischen Länder, Großbritannien und die Schweiz.

Ein Großteil der Unternehmen erhält aber gar keine Bewerbungen Älterer. Arbeitsmarktforscherin Cornelia Sproß erklärt das so: "Es gibt Befürchtungen von Älteren, dass sich die Bewerbung auf eine Stellenanzeige gar nicht lohnt." Dabei ist das Know-how der Generation mit 30 oder mehr Jahren Berufserfahrung in Zeiten steigenden Fachkräftemangels gefragt. "Das größte Pfund mit dem ältere Bewerber wuchern können, sind ihre Erfahrungen", sagt Jobvermittler Lüke. Zudem schreiben viele Arbeitgeber älteren Bewerbern eher Eigenschaften wie Loyalität und Arbeitsethos zu. "Durch den wachsenden Fachkräftemangel wissen die Unternehmen das Know-how älterer Arbeitnehmer wieder stärker zu schätzen", sagt Oliver Heikaus vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Dieses Know-how sowie die langjährige Berufserfahrung sollten im Vordergrund der Bewerbung stehen, raten die Arbeitsmarktexperten. Zudem achten viele Arbeitgeber auf die "Persönlichkeit" des Bewerbers. Mit Qualitäten wie Zuverlässigkeit können Ältere dann punkten.

Als zukunftsträchtiges Beschäftigungsmodell bewerten Arbeitsmarktexperten "altersgemischte Teams". Das neue BMW-Werk in Leipzig hat bei der Suche nach seinen heute rund 2500 Beschäftigten auf die Kombination von älteren und jüngeren Arbeitnehmern gesetzt. "Jüngere sind vielleicht etwas dynamischer, Ältere haben mehr Lebenserfahrung und auch Lebensklugheit", sagt Werkssprecher Michael Janssen. "Das ergibt in der Mischung eine richtig gute Stimmung." Ob alt oder jung, ausschlaggebend waren für BMW Persönlichkeit und Fachkompetenz des Bewerbers. Aber gerade an letzterem mangelt es mitunter. "Die Leute müssen gewisse Qualifikationen up to date halten", sagt Sproß. Das erwarten die Arbeitgeber. "Viele Ältere verweigern sich den neuen Aspekten der Arbeit, beispielsweise der IT und Computertechnik", sagt Jobvermittler Lüke. "Das funktioniert auf dem Arbeitsmarkt aber nicht."

Oliver Heikaus vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag fordert mehr Flexibilität von über 50-Jährigen: "Ältere Bewerber sollten den Unternehmen zeigen, dass sie mobil und offen für Neues sind und dass Weiterbildung für sie kein Fremdwort ist." Zudem können ältere Jobsuchende nicht automatisch ein hohes Gehalt erwarten. "Senioritätsprivilegien verschlechtern die Beschäftigungschancen Älterer", sagt Heikaus. Mitunter müssen beim Einkommen also erst einmal Abstriche gemacht werden.

Zu den gegenwärtigen Klagen vieler Branchen und besonders der IT-Firmen über Facharbeitermangel sowie den Ansprüchen der Informatikabsolventen siehe auch:

  • In Aufbruchstimmung, Ansprüche der Informatikstudierenden an die Berufswelt, c't 21/07, S. 97
  • Gefühlter Mangel, Wie viele Informatiker braucht die Wirtschaft?, c't 16/07, S. 78

Zu dem Thema siehe auch:

Siehe auch:

  • heise jobs, Stellenanzeigenbörse sowie aktuelle Berichterstattung und Hintergrundartikel zum Arbeitsmarkt, der Ausbildungssituation und den Gehaltsstrukturen der Hightech-Branchen

(Vivien Leue, dpa) (jk)