China setzt weiter auf Atomkraft

Um seinen ständig steigenden Energiebedarf zu befriedigen, setzt China auf einen rasanten Ausbau der Atomenergie. Die Atomkatastrophe von Fukushima hat daran nicht viel geändert, berichtet Technology Review.

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Um seinen ständig steigenden Energiebedarf zu befriedigen, setzt China auf einen rasanten Ausbau der Atomenergie. Die Atomkatastrophe von Fukushima hat daran nicht viel geändert, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe.

In China sind derzeit 13 atomare Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 10,8 Gigawatt am Netz, 27 weitere befinden sich jedoch inzwischen im Bau. Und nach Angaben der internationalen Atomlobby-Organisation World Nuclear Association (WNA) sind 159 weitere in den kommenden Jahrzehnten geplant. An diesen Ausbauplänen hält die chinesische Regierung auch nach Fukushima nahezu ungebrochen fest: Formal soll das Ausbauprogramm zwar einer strategischen Prüfung unterworfen werden. Doch bereits Ende April verkündete die einflussreiche Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC), die Regierung werde in Zukunft vor allem den Bau "moderner Atomanlagen" fördern.

"Ressourcenknappheit, der Druck, CO2-Emissionen reduzieren zu müssen, und eine starke Lobby sind Gründe für die exzessive Geschwindigkeit", sagt He Jun von der privaten Pekinger Strategieschmiede Anbound Consulting. Die Denkfabrik kam bereits 2004 zu dem Schluss, dass die Energieversorgung Chinas Achillesferse auf dem Weg an die Spitze aller Volkswirtschaften darstellt. "Die Situation hat sich seitdem verschärft", so He. Der Elektrizitätsverbrauch in China wächst kontinuierlich. Allein im vergangenen Jahr kletterte er um rund 15 Prozent auf 4190 Milliarden Kilowattstunden.

Bereits 2007 hatte die NDRC eine nukleare Stromerzeugung von jährlich 40 Gigawatt im Jahr 2020 ins Auge gefasst. Die Kommission entwickelt die nationalen wirtschaftlichen Strategien und greift ein, wenn sie makroökonomische oder soziale Fehlentwicklungen zu erkennen glaubt. Schon 2010 revidierte die Regierung die Zahlen und schraubte das Planziel auf 80 Gigawatt nach oben.

Doch jetzt bringt die Katastrophe von Fukushima zumindest einige wenige Bürger des autokratischen Staates öffentlich ins Grübeln. "Wie sicher sind unsere Atomkraftwerke?", fragt der Physiker He Zuoxiu von der chinesischen Akademie der Wissenschaften CASS. He beschäftigt sich seit Jahren mit der Nutzung von Kernenergie in China und will die Legenden von der Sicherheit der Atomkraft, die den Chinesen aufgetischt werden, nicht glauben. Die Kernfrage ist seiner Meinung nach dabei, ob Chinas Reaktoren schweren Erdbeben widerstehen können. Laut dem China National Geography Magazine verlaufen 23 seismische Gürtel unter chinesischem Staatsgebiet. In keinem anderen Land der Welt werden jährlich derart viele Beben registriert wie in der Volksrepublik: 800 Erschütterungen mit der Stärke 6 und mehr wurden im 20. Jahrhundert in China gemessen. "Es heißt, die Reaktoren können die Stärke 8 aushalten. Aber dafür gibt es keine Beweise. Und was tun wir bei Stärke 9? Dann ist die Katastrophe noch größer als in Japan", glaubt der Physiker.

Die Behörden wollen solche Diskussionen im Keim ersticken. Sie verweisen auf die sorgfältige Auswahl der Standorte für Atomkraftwerke, die nur dort stehen dürfen, wo in der Vergangenheit keine Erdstöße gemessen wurden. Und sie verweisen auf die fortgeschrittene Technik ihrer Reaktoren im Vergleich zum Siedewasserreaktor in Fukushima: Chinesische Wissenschaftler haben eine neue, verbesserte Variante eines Druckwasserreaktors entwickelt, der über drei Wasserkreisläufe verfügt, den CPR-1000. Bislang ist nur einer von 13 chinesischen Reaktoren mit dieser Technik ausgestattet. Weitere 33 CPR-1000 befinden sich in Planung oder laut World Nuclear Association im Bau. Außerdem setzt China auf Reaktoren der dritten Generation mit passiven Sicherheitssystemen, die auch ohne Strom funktionieren sollen. Von dem Modell AP1000, dessen Technik vom japanischen Hersteller Toshiba stammt und in den USA entwickelt wurde, sind vier bereits im Bau. Verläuft das Pilotprojekt erfolgreich, sollen weitere 40 folgen. (wst)