Chinas Internetnutzer frustriert über bislang schärfste Zensur
Erstmals seit dem Aufstieg der sozialen Medien hat China die Diskussionen im Internet massiv eingeschränkt. Empörte Nutzer argumentieren, dass Gerüchte keine Chance hätten, wenn es nur echte Pressefreiheit gäbe.
Die bisher schwersten Beschränkungen für Chinas soziale Medien haben Internetnutzer geschockt und frustriert. Einige beklagten am Montag verärgert den Mangel an Meinungsfreiheit. Andere werteten die Einschränkungen als "kollektive Bestrafung" oder unmissverständliches Zeichen, dass die Diskussionen im chinesischen Internet auch jederzeit ganz abgeschaltet werden könnten. Ursache für die zunächst bis Dienstag geltende "Säuberungsaktion" waren tagelange, wilde Internet-Gerüchte über einen Putsch, angeblich ungewöhnliche Militärbewegungen und einen Machtkampf in Peking.
Niemand müsste gegen Gerüchte kämpfen, wenn es in China Pressefreiheit gäbe, wurde argumentiert. "Offenheit und Transparenz können die Glaubwürdigkeit von Informationen verbessern und Gerüchten keinen Markt mehr bieten", schrieb einer. "In einem Ort, wo es keine offenen Informationen und keine Pressefreiheit gibt, kann ein Gerücht die Wahrheit sein", meinte wiederum ein anderer.
Seit Samstag hatte die Zensur den beiden großen Mikroblog-Diensten Sina und Tencent die Kommentarfunktion zu Beiträgen gesperrt. In den Twitter-ähnlichen, "Weibo" genannten Kurzmitteilungsdiensten können sich damit keine langen Diskussionsstränge mehr entwickeln. Beiträge können nur noch einzeln gepostet oder weitergeleitet werden. Bei Weiterleitungen können allerdings noch Kommentare angefügt werden.
Die Zensur-Bemühungen demonstrieren die Spannungen im Zusammenhang mit dem Skandal um den Spitzenpolitiker Bo Xilai, dessen Absetzung vor zwei Wochen Spekulationen über Risse in der sorgfältig gepflegten Einigkeit der Parteispitze auslöste. Die Beschränkungen seien "selbst für chinesische Verhältnisse harsch", schrieb die Hongkonger Zeitung South China Morning Post. Auch wurden 16 Webseiten gesperrt und sechs Menschen wegen der Verbreitung von Gerüchten festgenommen.
Da Twitter und Facebook in China gesperrt sind, haben sich Kurznachrichtendienste boomartig entwickelt. Sie werden zwar routinemäßig zensiert, doch hatte sich in den vergangenen Wochen trotzdem eine umfangreiche Diskussion über den Politthriller um den abgesetzten Parteichef von Chongqing, Bo Xilai, und mutmaßliche Uneinigkeit im Politbüro entwickeln können.
Da die staatlichen Medien in China nur wenig Glaubwürdigkeit genießen, haben sich die "Weibo" zur wichtigsten Plattform zum Austausch von Informationen und Meinungen entwickelt. Rund 200 Millionen der 500 Millionen Internetnutzer in China sind nach Schätzungen auf den "Weibo" unterwegs. (anw)