Die Auswirkungen des Patentsystems: Die Pharmafirmen und die "Patentklippe"
Das Patentsystem spielt nicht nur in der IT-Branche eine zunehmend unrühmliche Rolle; die Pharmabranche wird immer wieder kritisiert, den Patentschutz zur Abschöpfung exorbitanter Gewinne zu missbrauchen. Die "Patentklippe" schränkt dies gerade ein.
- Elke Pfeifer
- JĂĽrgen Kuri
- dpa
Das Patentsystem spielt nicht nur in der IT-Branche eine zunehmend unrühmliche Rolle – Patenttrolle allenthalben, die ohne eigenes Produktionsinteresse Patente als Goldesel einsetzen. Die Pharmabranche wiederum wird immer wieder dafür kritisiert, dass die großen Konzerne den Patentschutz zur Abschöpfung exorbitanter Gewinne auf Kosten der Patienten und des Gesundheitswesens missbrauchen, während sie teilweise nur leicht veränderte Rezepturen für neue Patente einsetzen.
Derzeit nun stehen die großen Pharmafirmen wie Pfizer, Novartis oder Sanofi an der "Klippe" – an der "Patentklippe". So nennen Experten das, was sich derzeit in der Pharmabranche abspielt und an den aktuellen Halbjahreszahlen zu sehen ist: Bei vielen umsatzstarken und hochpreisigen Medikamenten sind die exklusiven Verkaufsrechte ausgelaufen – wie zum Beispiel bei der Potenzpille Viagra oder dem Blutfettsenker Lipitor. Die Auswirkungen: Die Gewinne der Unternehmen fallen in die Tiefe, da billigere Nachahmerpillen auf die Märkte kommen. Was den Herstellern Kopfschmerzen bereitet, freut Patienten und Krankenkassen.
Wie massiv die Einbußen sind, zeigt die US-Firma Pfizer: Lipitor war mit jährlich 13 Milliarden Dollar in Spitzenzeiten das umsatzstärkste Medikament weltweit. Im November 2011 endete der Patentschutz und 2012 stand noch ein Lipitor-Umsatz von vier Milliarden Dollar in den Büchern. In Europa sind Konzerne wie die französische Sanofi, Novartis aus der Schweiz oder die Briten GlaxoSmithKline und AstraZeneca von Patentabläufen betroffen. In Deutschland der Bayer-Konzern mit einigen seiner Anti-Babypillen.
Die Strategien der Firmenchefs: Einige specken ab. Pfizer hat durch Großakquisitionen von US-Firmen wie Warner-Lambert, Pharmacia und Wyeath Fett angesetzt. Pfizer baut jetzt um – das Geschäft mit Babynahrung wurde an Nestle verkauft, die Tiermedizin an die Börse gebracht. Nun soll das Geschäft mit patentfreien Medikamenten abgespalten oder verkauft werden. Ob die Strategie aufgeht, ist für Fondsmanager Markus Manns von Union Investment fraglich: "Es gehen Synergien verloren."
Andere, wie Sanofi, Bayer oder Novartis, sehen nicht im Abspecken, sondern in einer breiteren Aufstellung Vorteile: Denn Randgeschäfte wie Generika oder frei verkäufliche Arzneiprodukte sollen Rückschläge bei der Erforschung und Zulassung neuer Wirkstoffe ausgleichen. Das Problem ist nur, dass diese Geschäfte deutlich weniger Erträge liefern als das mit patentgeschützten Wirkstoffen.
Auch mit der Übernahme von Biotech-Firmen wollen die Pharmagrößen ihre Gewinne sichern: In kaum einer Branche dreht sich das Übernahmekarussell so schnell. Besonders begehrt sind Biotech-Firmen mit vielversprechenden biologischen Wirkstoffen. Denn die sind schwieriger zu kopieren als die klassischen chemischen. Sanofi will jährlich bis zwei Milliarden Euro in Zukäufe stecken. 2011 haben die Franzosen den Biotech-Konzern Genzyme für umgerechnet rund 15 Milliarden Euro geschluckt.
Besonders teuer ist die Krebsforschung – aber auch besonders lukrativ. Der Schweizer Pharmakonzern Roche kann als weltweit größter Hersteller von Krebsmedikamenten punkten – im zweiten Quartal legte der Gewinn kräftig zu. Roche hat den Wert von Biotech-Unternehmen früh erkannt. Bereits 1976 sind die Baseler bei Genentech eingestiegen. 2009 hat Roche die US-Tochter dann für stolze 47 Milliarden Dollar komplett geschluckt.
Die Pharmabranche verdankt nach wie vor die hohen Vorsteuerrenditen von um die 30 Prozent dem zeitlich begrenzten Patentschutz. Und in der Branche finanzieren die Umsatzbringer von heute die Forschung fĂĽr Medikamente von morgen. "Von 100 Entwicklungsprojekten schafft es nur eins als fertiges Medikament in die Apotheke", sagt Andrea BrĂĽckner, Pharmaexpertin bei der Unternehmensberatung Accenture. Die Entwicklung eines Medikaments koste teilweise mehr als eine Milliarde Dollar.
Kritik an der Preispolitik der Unternehmen gibt es dennoch reichlich – vor allem mit Blick auf Patienten in armen Ländern. Indien hat wiederholt den Patentschutz einfach aufgehoben. Bei allen Problemen steht die Branche immer noch gut da. Zudem steigen die Hoffnungen, dass der Höhepunkt der Patentabläufe im zweiten Halbjahr weitgehend vorbei sein wird. Und Unternehmen wie Bayer oder auch Roche haben neue Medikamente, sogenannte "Blockbuster", am Start, denen Milliardenumsätze zugetraut werden. (jk)