EU will Boden für ein europäisches Netflix ebnen
EU-Kommissarin Neelie Kroes forderte, die Fragmentierung des europäischen Online-Markts zu überwinden. Sie kündigte einen Rechtsrahmen an, der Dienste wie die Online-Streaming-Videothek Netflix europaweit möglich machen soll.
EU-Kommissarin Neelie Kroes hat sich auf dem World Copyright Summit in Brüssel für ein reformiertes paneuropäisches Urheberrecht ausgesprochen, von dem Urheber und Nutzer gleichermaßen profitieren. "Wir brauchen ein Urheberrecht, das unsere Kreativindustrien fördert, anstatt sie zu bremsen", sagte die für die Digitale Agenda der EU zuständige Kommissarin auf der vom internationalen Dachverband der Verwertungsgesellschaften (CISAC) veranstalteten Konferenz. "Wir brauche ein Urheberrecht für das digitale Zeitalter."
Der Rechtsrahmen müsse Unternehmen den Spielraum lassen, über Plattformen und Ländergrenzen hinweg attraktive neue Geschäftsmodelle aufzusetzen, erklärte Kroes. Die Kommission arbeite daran, einen vereinten europäischen Markt für digitale Güter zu schaffen. Um neue Wege für Künstler zu schaffen, ihr Publikum zu erreichen und für ihre Arbeit entlohnt zu werden, müssten sich aber auch einige Glieder der Verwertungskette anpassen. Die saßen auf dem Kongress im Publikum und durften sich angesprochen fühlen.
Kroes verwies in diesem Zusammenhang auch auf die im vergangenen Monat vorgestellte Strategie für einen "Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums", der mit der Novelle der EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (IPRED) im kommenden Jahr etabliert werden soll. Dabei geht es auch um die Frage, wie Nutzer urheberrechtlich geschützte Inhalte für eigene, nicht-kommerzielle Seiten leichter nutzen können. Die Fragmentierung behindere den europäischen Online-Markt für digitale audiovisuelle Güter, betonte Kroes. Das sei nicht nur schlecht für den Verbraucher, sonder auch die Industrie selbst. "Und im Kampf gegen Piraterie hilft es auch nicht."
Die Kommissarin richtet den Blick in die USA: Die US-Musikindustrie habe 2010 die Hälfte ihres Umsatzes im digitalen Vertrieb erzielt, in Europa seien es gerade einmal 20 Prozent. Spotify sei immer noch nicht in ganz Europa erhältlich. Dass es kein europäisches Netflix gebe, liege nicht an den Sprachbarrieren. "Während US-Unternehmen mit attraktiven Online-Inhalten um die Gunst von Millionen Verbrauchern buhlen, kann Europa höchstens ein paar regionale Anbieter vorweisen", bilanzierte Kroes. "Das muss sich ändern."
Das ging auch an die Adresse der Verwertungsgesellschaften, deren Dachorganisation zum Urheberrechtskongress geladen hatte. Die Verwertungsgesellschaften stehen mit der Öffnung des europäischen Marktes einerseits im Wettbewerb miteinander, wollen darüber hinaus ihre Exklusivrechte auf den nationalen Märkten aber ungern teilen. Die Verwerter pochen darauf, Internetprovider stärker in die Pflicht und die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen ernster zu nehmen.
Eine Reform der Rechteverwertung im Rahmen der IPRED-Novelle dürfte die Verwerter allerdings direkt betreffen – was ihnen kaum schmecken wird. Von "Anpassung eher als Revolution des Systems" sprach auf dem Kongress daher auch Maria Martin-Prat, die federführend an der Überarbeitung beteiligt ist. Die Berufung Prats als Referatsleiterin der Urheberrechtsabteilung in der Generaldirektion Binnenmarkt war wegen ihrer beruflichen Vergangenheit in der Musikindustrie umstritten. (vbr)