Ein Achtel Leben: Ray Kurzweil zum 60. Geburtstag

Der Computerspezialist, Synthesizerpionier und Transhumanist Raymond Kurzweil wird 60 Jahre alt und hat damit gerade ein Achtel seines Lebens hinter sich. Er hat also noch Zeit, sich auf eine elektronische Plattform zu übertragen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 100 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Heute vor 60 Jahren erblickte Raymond Kurzweil, Sohn jüdischer Emigranten aus Österreich, in New York das Licht der Welt. In den siebziger Jahren gelangen Kurzweil wichtige Erfindungen auf dem Gebiet der Zeichen- und Spracherkennung. Heute gilt er als führender Vertreter des Transhumanismus, der den Menschen als informationsverarbeitende Intelligenz definiert, die noch an eine biologische Plattform gebunden ist, bald aber als elektronische Plattform potenziell unsterblich wird. Weil dieser Umbruch, technologische Singularität genannt, laut Kurzweil unmittelbar im Jahre 2019 bevorsteht, glaubt er bisher höchstens ein Achtel seines Lebens hinter sich gebracht zu haben. Darum schluckt er täglich 250 Aufbaumittel, um seinen Körper bis zur Singularität fit zu halten.

Ray Kurzweil gehört ähnlich wie der sieben Jahre jüngere Bill Gates zu den Menschen, die in der Jugendzeit frühzeitig mit Computern spielen konnten. Im Alter von 15 Jahren schrieb er ein Statistik-Programm, das IBM seinen Technikern empfahl. Nach dem Willen seiner Eltern – der Vater Musikprofessor, die Mutter Klavierlehrerin – sollte Kurzweil eine Karriere als Pianist machen, schrieb dagegen aber lieber Computerprogramme, die Klavierstücke analysieren und synthetisieren sollten. Mit einem solchen automatischen Piano trat er als Kinderstar im Fernsehen auf. Noch während des Studiums am MIT hatte Kurzweil Erfolg mit einem weiteren Muster-Erkennungsprogramm namens "Select College Consulting Program", das Studienwünsche mit einer Datenbank von 3000 Colleges abglich.

Nach seinem Studium spezialisierte sich Kurzweil auf Zeichenerkennung und entwickelte einen der ersten OCR-Scanner. Zusammen mit einem von ihm entworfenen Sprach-Synthesizer entstand ein Lesegerät für Blinde. Kurzweil verkaufte die aufstrebende Firma an Xerox, um sich in den 80ern – inspiriert von seinem blinden Kunden Stevie Wonder – den Musiksynthesizern zu widmen. Die Kurzweil-Synthesizer waren sehr erfolgreich, bis das gesamte Geschäft nach Korea verkauft wurde. Danach entwickelte Kurzweil mit einer neuen Firma erfolgreich Spracherkennungssoftware, die später an Scansoft (heute Nuance) verkauft wurde.

Mit den Büchern "The Age of Intelligent Machines" sowie "The Age of Spiritual Machines" (der verunfallte deutsche Titel ist Homo S@piens) legte Kurzweil die Grundlagen für seine Theorie der Künstlichen Intelligenz, die sich ausgehend von der menschlichen Intelligenz entwickelt. Sein letztes Werk, "The Singularity Is Near" (deutsch: Der Urknall ist nah), das derzeit verfilmt und rezensiert wird, predigt den Beginn einer neuen Epoche.

Als echter Futurist hat sich Kurzweil niemals vor Vorhersagen gescheut. Recht behielt er beispielsweise mit den 1990 veröffentlichten Aussagen, dass Schachcomputer Schachweltmeister schlagen werden, unrecht mit der Annahmen, dass sich Autos ab 2000 automatisch steuern. Recht behielt er mit der Annahme von 1998, dass ab 2005 die drahtlose Computerkommunikation drahtgebundene Netze ablöst, doch zweifelhaft erscheint die Aussage, dass Kriege ab 2009 nur noch von Maschinen geführt werden. Über den von Kurzweil prognostizierten Download des menschlichen Gehirn auf Festplatten ab 2019 werden spätere Ausgaben des Newstickers berichten müssen. Obwohl Ray Kurzweil sich auf das lange Leben freut, dass ihm nach seiner Ansicht von der Technologie geschenkt wird, glaubt er dennoch an Grenzen. So hat er mehrfach betont, dass Menschen intellektuell nicht älter als 500 Jahre werden können, ohne des Lebens überdrüssig zu werden. In diesem Sinne hat er ein knappes Achtel hinter sich gebracht und sich dabei immer mit aufregenden Sachen beschäftigen können. (Detlef Borchers) / (vbr)