Experte sieht zunehmenden Machtkampf um Netzverwaltung
Unter dem Eindruck der Ereignisse in Ägypten, aber auch als Konsequenz aus Wikileaks werden nach Einschätzung des Wissenschaftlers Viktor Mayer-Schönberger Regierungen immer lauter nach der Macht über das Internet schreien.
Der Internetrechtsexperte Viktor Mayer-Schönberger von der Universität Oxford hat auf dem Treffen Domainpulse der drei deutsch-sprachigen Registries Nic.at, Switch und Denic in Wien vor einem Griff einiger Regierungen nach mehr Macht im Netz gewarnt. Unter dem Eindruck der Ereignisse in Ägypten, aber auch als Konsequenz aus Wikileaks werden nach seiner Einschätzung Regierungen immer lauter nach der Macht über das Internet schreien. Erst gehe es um Inhalteregulierung, dann um die Informationsflüsse. Und wenn sie begriffen, dass TLDs und Domains eine Rolle spielten, würden sie auch in deren Vergabe stärker eingreifen. Mayer-Schönberger meint mit Blick auf die britische Debatte um die Schließung von uk-Domains allein auf eine Aufforderung der Polizei und ohne Richterbeschluss, der Machtkampf sei schon im Gange.
Regierungsvertreter aus Österreich, der Schweiz und Deutschland rückten zwar vorsichtig von dem von den USA geforderten Vetorecht ab. "Wir sollten Inhaltepolitik nicht auf der Ebene der TLDs machen", sagte etwa Christian Singer, Österreichs Regierungsvertreter im ICANN-Regierungsbeirat (GAC). Allerdings könne er sich durchaus auch TLDs vorstellen, die Österreich nicht haben wolle. Hubert Schöttner vom Bundeswirtschaftsministerium vermutet hinter dem US-Vorschlag, dass der GAC zwar eine TLD ablehnen könne, der Vorstand der ICANN aber doch die letzte Entscheidung treffe.
Ob sich die Europäer mit der bislang nicht in der EU abgestimmten Position durchsetzen, ist noch offen. Nic.at-Geschäftsführer Richard Wein wagte keine Prognose dazu, ob die ICANN mit der Einführung neuer TLDs noch in der zweiten Jahreshälfte starten werde. Es sei möglich, dass das US-Handelsministerium noch versucht, den ganzen Bewerbungsprozess zu kippen.
Um zu verhindern, dass einzelne Staaten – allen voran die USA und China – eine Übermacht bei der Gestaltung der Netzverwaltung bekämen, forderte Mayer-Schönberger dringend ein "konstitutionelles Moment". Bislang habe sich das Netz mit seiner Selbstverwaltung immer "durchgewurstelt". Weil eine Idee dazu fehle, wo es langfristig hin gehen soll, sei das Netz anfällig für die "Machtübernahme" durch einzelne, starke Player. Bestes Gegenmittel dagegen sei es, die globale Selbstverwaltung für das Netz an einen Grundwertekatalog zu binden, meint Mayer-Schönberger.
Doch auch das Forum, auf dem solche Ideen schon mal ausgetauscht wurden, das Internet Governance Forum (IGF) erlebt gerade eine Zerreißprobe. "Man fragt sich, wieso streiten sich Regierungen so erbittert über ein Forum, auf dem bislang nichts entschieden wurde?", sagte der Schweizer GAC-Vertreter Thomas Schneider. Möglicherweise werde befürchtet, dass sich das Mitbestimmungsrecht aller Interessensgruppen darüber heimlich in die UN einschleiche. Das Subversive liege aber vielleicht auch gerade darin, dass man "die Leute frei mit einander sprechen lässt". Daraus könnten manchmal Dinge entstehen, die den Regierenden nicht recht seien. (anw)