Forum Medienrecht: Google und die Neutralität
Pünktlich zum Verfahren der EU-Kommission gegen Google haben Medienrechtler in Köln Googles Vormachtstellung beraten. Eine Streitfrage: Welchen Markt beherrscht Google eigentlich?
"Wir haben die EU-Kommission gedrängt, dass das Verfahren gegen Google nicht mit einem eiligen Kompromiss abgeschlossen werden sollte", erklärte Ulrich Kelber, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium auf dem Kölner Forum Medienrecht am Donnerstag. Die EU-Kommission habe vorher eine zu unkritische Haltung gegen Google gezeigt.
Kelber begrüßte, dass die EU-Kommission nun verschärft gegen Google vorgehe. Dass der Fall gegen Google aber kein leichter sein wird, zeigte die Diskussion unter den Juristen im Kölner Rathaussaal. So lehnten sie einhellig die Idee ab, dass es eine immer wieder in der Diskussion eingebrachte "Suchmaschinenneutralität" geben könne, die niemanden bevorzuge.
"Eine Reihung ohne jede Filterung kann es nicht geben", erklärte der Medienrechtler Professor Boris Paal von der Universität Freiburg. Der Nutzer erwarte, dass die Ergebnisse gefiltert werden. Hier könne allenfalls die Frage sein, welche Praktiken erwünscht oder nicht erwünscht seien. Paal sprach sich aber gegen populäre Forderungen aus wie Google zu zerschlagen oder dass das Unternehmen den Ranking-Algorithmus der Suchmaschine offenlegen müsse. Auch die Idee, dass eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine Google Paroli bieten könnte, wurde von Teilnehmern als realitätsfern bezeichnet.
Problem Preisvergleich
In dem Verfahren der EU-Kommission gegen Google geht es im Bereich Suchmaschinen insbesondere darum, dass Produktergebnisse von Google Shopping in die allgemeine Websuche eingebunden werden. Hier warf Christoph Keese vom Konzern Axel Springer Google mehrfach Missbrauch vor. "Sie haben fest einprogrammiert, dass ihre Produkte in den Suchergebnislisten oben stehen." Hier vermischte Keese aber die Liste organische Suchergebnisse und den davon getrennten Werbeblock, in dem die Google-Shopping-Ergebnisse tatsächlich stehen.
Keese meinte, Google habe sich in seiner Verteidigung gegen die EU-VorwĂĽrfe kĂĽnstlich kleingerechnet. Dass Google sich dabei unter anderem mit Handelskonzernen wie Amazon oder Ebay vergleiche, ist fĂĽr Keese eine grobe IrrefĂĽhrung, weil Google selbst keinen Handel betreibe, sondern lediglich einen Preisvergleich anbiete.
Arnd Haller, Leiter der deutschen Rechtsabteilung von Google, hielt dagegen, dass Google Shopping auch bei Preisvergleichsdiensten keineswegs Marktführer sei. Zudem sei es durchaus legitim, dass ein Konzern die eigenen Angebote bevorzuge. Dies habe auch das Bundeskartellamt bestätigt. Keese konterte, das die zuständige EU-Kommission dies offensichtlich anders sehe.
Welchen Markt beherrscht Google?
Schützenhilfe erhielt Google von Professor Justus Haucap, Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics und ehemaliger Chef der deutschen Monopolkommission. So sei es fraglich, ob Googles Suchmaschinenanteil bei der allgemeinen Suche auch auf die Shopping-Ergebnisse anwenden könne: "Mein Verdacht ist, dass Google keinen Marktanteil von 95 Prozent hat, wenn die Nutzer Turnschuhe online kaufen wollen", erklärte der Wettbewerbsrechtler. Stattdessen begäben sich viele Konsumenten auf der Suche nach Kleidung direkt auf spezialisiertere Plattformen wie Amazon.
Eine weitere umstrittene Frage ist, ob es sich bei Google um eine so genannte Essential Facility handele, die als unumgehbarer Marktzugang erhöhte Anforderung zu erfüllen habe und der gegebenenfalls auferlegt werden kann, interne Dienstleistungen allen Mitbewerbern verfügbar zu machen. Haller betonte, dass sein Konzern zwar wichtig sei, aber keineswegs unumgehbar. So führte er an, dass allenfalls zehn Prozent der Besucher von bild.de ihren Weg dorthin über Suchmaschinen fänden.
Hier erntete er aber Widerspruch vom Medienrechtler Paal: Im Fall Google sei nicht entscheidend, dass es alle Besucher einer Webseite vermittle, sondern die Fähigkeit, die Besucherströme von einem Angebot zu einem anderen umzuleiten. Allerdings sei es darlegungspflichtig, dass sich Google tatsächlich missbräuchlich verhalte.
Pluralismus durch Regulierung?
Jenseits der wettbewerbsrechtlichen Aspekte ging es in Köln auch um die Frage, inwieweit Google und andere Netzplattformen eine Rolle für die Meinungsvielfalt spiele und ob Google selbst den Schutz der Pressefreiheit beanspruchen könne. Hier räumte Hubertus Gersdorf von der Universität Rostock mit einigen populären Missverständnissen auf. So seien Medien keineswegs zu vollständiger Ausgewogenheit verpflichtet. Vielmehr sollten die Medien mit unterschiedlicher Tendenz im gemeinsamen Diskurs den Meinungspluralismus aufrecht erhalten.
Eine proaktive Vielfaltskontrolle sei hingegen in der deutschen Rundfunkregulierung verankert. Die Idee, die Regeln der deutschen Medienstaatsverträge auch auf Suchmaschinen und andere Internet-Plattformen zu übertragen sei jedoch aberwitzig. So sei die Meinungsmacht von Bewegtbildern viel größer als das einer Suchmaschinenabfrage. Zudem sei es in Googles eigenem Interesse, sich weltanschaulich möglichst neutral zu verhalten. "Bevor man neue Regeln sucht, muss man sich fragen ob es einen entsprechenden Schutzbedarf gibt", sagte Gersdorf.
Dass Internetplattformen und Filteralgorithmen durchaus bedeutende Meinungsmacht haben, legte hingegen Staatssekretär Kelber dar. So habe ihm ein Bonner Pegida-Anhänger ermöglicht, dessen Facebook-Timeline zuzugreifen. Das soziale Netzwerk habe dem Nutzer immer mehr Nachrichten vorgesetzt, die exakt seiner Meinung entsprachen, bis schließlich entgegenstehende Stimmen ganz verschwunden seien. Der Pegida-Anhänger habe sich folglich als Vertreter einer breiten Mehrheit gesehen. "Vermutlich wäre er erstaunt gewesen, wenn er mit nur 100 Leuten auf dem Bonner Marktplatz gestanden hätte", erklärte Kelbert. (anw)