Gegen die Verdreckung der Privatsphäre: zum Tode von Klaus Brunnstein
Der Informatiker Klaus Brunnstein kämpfte gegen die Volkszählung, warnte vor Biometrie in Ausweisen und ärgerte sich über unsichere Betriebssysteme und ihre Verschmutzung durch Schadsoftware. Zuletzt warnte er vor elektronischen Wahlen.
Am 19. Mai ist der Informatiker Klaus Brunnstein im Alter von 77 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Das teilte nun die Universität Hamburg mit. Der Physiker hatte maßgeblich den Studiengang Informatik mit aufgebaut, in dem er als Professor für "Anwendungen der Informatik" Technikfolgenabschätzung betrieb. Brunnstein betonte die gesellschaftlichen Auswirkungen der Informatik und versuchte sich zeitweise als Politiker. Als prononcierter Kritiker war Brunnstein der Öffentlichkeit zugetan, die ihn gerne als "Viren-Papst" titulierte.
Klaus Brunnstein wurde am 25. Mai 1937 in Köln geboren und studierte nach seinem Abitur 1957 Physik. Nach dem Diplom und der Promotion arbeitete Brunnstein am Hamburger Rechenzentrum des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY). Dort beschäftigte er sich mit Betriebssystemen und der Rechnervernetzung und arbeitete an einem Bibliothekssystem für Hochenergie-Physik.
Kritiker der Volkszählung
1969 war Klaus Brunnstein Mitglied der Kommission, die an der Universität Hamburg den Studiengang Informatik aufbaute und wurde dort selbst 1973 als Professor für angewandte Informatik berufen. Als Arbeitsschwerpunkt nannte er die "Anwendungen von Informations- und Experten-Systemen in Wirtschaft, Staat, Wissenschaft und Medizin. Der Öffentlichkeit wurde Brunnstein als Kritiker der Volkzählung von 1983 bekannt, die er als Landesvorsitzender der FDP in Hamburg auch politisch bekämpfte.
1983 rückte er kurzzeitig in den Bundestag ein. Als mit den Stimmen der FDP die Volkszählung 1987 beschlossen wurde, trat Brunnstein aus der Partei aus und begründete dies mit Zweifeln am gemeinsamen Verständnis von Liberalität und Rechtsstaatlichkeit. Zu diesem Zeitpunkt drohte ihm ein Parteiausschlussverfahren, weil er während einer Veranstaltung in Fallingbostel gemeinsam mit dem Grünen-Politiker Jürgen Trittin aufgetreten war.
Kritiker von Betriebssystemen
In der Informatik-Forschung konzentrierte sich Brunnstein ab 1985 verstärkt auf Fragen des Datenschutzes und der Risikoanalyse. 1988 baute er in Hamburg das Virus-Test-Center (VTC) auf, dass systematisch Malware untersuchte. Seine Forschungen zur Computersicherheit führten ihn dazu, sowohl Unix wie DOS und Windows als unsichere Systeme abzulehnen.
Legendär wurde Brunnstein mit einem Vortrag auf dem Chaos Communication Congress 1995 (12C3), als er die gesamte Fehlentwicklung in der IT auf Bill Gates zurückführte. Mit den Hackern vom Chaos Computer Club verband ihn seit dem berühmten BTX-Hack "ambivalentes Verhältnis", wie es der CCC in seinem Nachruf nennt. Brunnstein war der Auffassung, dass der CCC das BTX-System nicht gehackt hatte, sondern Passwörter klaute und es ihm ums liebe Geld ging.
Kritiker elektronischer Wahlen
Als engagierter Wissenschaftler war Klaus Brunnstein Gründungsvorsitzender der Fachgruppe Informatik und Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft für Informatik, die um ihren umtriebigen Fellow trauert. Selbst nach seiner Emeritierung blieb Klaus Brunnstein aktiv und kritisierte unter anderem elektronische Wahlen und vor allem die Taktik, Neuerungen scheibchenweise einzuführen, bis eine übermächtige Technik entsteht.
Big Data, die Vorratsdatenhaltung in allen Lebensbereichen und das vom Militär entwickelte Data Mining wurden von ihm heftig kritisiert, weil sie zu einer Verdreckung der Privatsphäre führten. Seinen nächsten Vortrag hätte Klaus Brunnstein am kommenden Dienstag auf dem dritten Gedächtnissymposion für Wilhelm Steinmüller halten sollen, einem anderen großen deutschen Informatiker. Brunnstein wollte über Big Data Analytics sprechen. Der Rest ist Schweigen. (anw)