Interne Papiere ĂĽber Rasterfahndung in Brandenburg geleakt

Ein auf der US-Enthüllungsplattform Public Intelligence veröffentlichter Bericht gibt Einblicke in die Praxis der Rasterfahndung in Brandenburg. Trotz zunehmender Überwachung bleiben die Erfolge zufällig.

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Interne Untersuchungsergebnisse über Kfz-Massenabgleiche und Eingriffe in die Telekommunikation in Brandenburg sind auf der US-Enthüllungsplattform Public Intelligence aufgetaucht. [Update: Die Dokumente waren schon im Oktober 2011 als Anhang zu einem Protokoll des brandenburgischen Innenausschusses veröffentlicht worden.] Zu finden sind dort ein Forschungsbericht vom April 2011 nebst Präsentation des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht über "Recht und Praxis der anlassbezogenen automatischen Kennzeichenfahndung, Verkehrsdatenabfrage und Mobilfunkortung zur Gefahrenabwehr in Brandenburg". Ihm angehängt ist ein Brief des brandenburgischen Innenministeriums an die untergeordneten Polizeibehörden, wie die Paragraphen zur "Datenerhebung durch Eingriffe in die Telekommunikation" (§ 33b Abs. 3, Abs. 6 Satz 2 BbgPolG) und zur "anlassbezogenen automatischen Kennzeichenfahndung" (§ 36a BbgPolG) auszulegen seien.

Dem über 180 Seiten starken Bericht zufolge fanden sämtliche 341 Verkehrsdatenabfragen und Ortungen von Mobiltelefonen zur Standortbestimmung von verdächtigen oder gefährdeten Personen statt, in fast allen Fällen durch Abfrage der entsprechenden Geodaten bei den Telekommunikationsanbietern. Veränderungen haben sich vor allem durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2.3.2010 zur Vorratsdatenspeicherung ergeben. Beispielsweise habe sich die Relation von präventiven Verkehrsdatenabfragen nach § 33b BbgPolG und repressiven Abfragen nach § 100g StPO von 2009 (1:5) bis 2010 (1:1) deutlich verschoben. Als Ursache nennen die Forscher einen deutlichen Rückgang der repressiven Verkehrsdatenabfragen von 555 richterlichen Anordnungen nach § 100g StPO in 2009 auf weniger als die Hälfte im Jahr 2010, während die Zahl der Abfragen nach § 33b BbgPolG gleichgeblieben sei.

Zudem habe sich in Reaktion auf das Urteil sowohl das Auskunftsverhalten als auch die Speicherpraxis der Provider verändert. Weiter heißt es: "Die inzwischen deutlich verkürzten Speicherfristen dürften sich auf die Fälle der unmittelbaren Gefahrenabwehr freilich nicht in nennenswertem Umfang auswirken. Denn für eine kurze Zeitspanne von etwa sieben Tagen sind die Daten bei den allermeisten Anbietern auch heute noch verfügbar, sodass die Standortdatenabfrage, die im Gefahrenfall ja in aller Regel auf Echtzeitdaten bezogen ist, als Maßnahme der Gefahrenabwehr jedenfalls grundsätzlich auch weiterhin verfügbar sein dürfte. Allerdings ist auch das Auskunftsverhalten der Anbieter restriktiver geworden."

Deutlich verändert habe sich dagegen die Situation bei der Kennzeichenfahndung. Das Kraftfahrzeug-Kennzeichen-Erkennungssystem (KESY) speichert von jedem vorbeifahrenden Fahrzeug unter anderem ein Foto von hinten, das eingelesene Kfz-Kennzeichen, das Ausstellungsland des Kennzeichens sowie den Zeitpunkt und den Standort der Aufzeichnung. Der Bericht zeichnet ein Bild, das den offiziellen Aussagen etwa von Politikern widerspricht, die Polizei mache von der Befugnis "zurückhaltend" oder "maßvoll" Gebrauch: Von Januar 2009 bis Dezember 2010 hat sich demnach die Zahl der Einsätze mehr als verzehnfacht. Insgesamt rasterte die Brandenburger Polizei im Jahr 2010 2479 mal den Fahrzeugverkehr. Inzwischen gebe es "praktisch keine völlig überwachungsfreien Tage mehr".

Statt zur "Verfolgung schwerer Straftaten" nutzt die Polizei die Rasterfahndung fast durchweg zur Suche nach gestohlenen Fahrzeugen. Nur 5% der Abgleiche dienen der Abwehr von Gefahren, 2% der Verfolgung anderen Straftaten. Unter diesen 7% finden sich vor allem Einsätze an Orten und bei Veranstaltungen, die als "gefährdet" oder "gefährlich" gelten, etwa Fußballspiele oder "Rockertreffen". Überwacht wurden unter anderem die Anreise zu einer Geburtstagsfeier und zu einer "Rockerhochzeit".

[Update 2: Zudem arbeiten solche Kennzeichenerkennungssysteme nicht fehlerfrei. Allerdings macht der Bericht des Max-Planck-Instituts (MPI) keine Angaben zu Fehl-Erkennungen und Fehltreffern. Anders dagegen der Bericht, den das bayerische Staatsministerium des Innern über die automatisierte Kennzeichenerfassung nach Art. 33 Abs. 2 des Polizeiaufgabengesetzes im Februar 2010 vor dem Bayerischen Landtag abgab. Er nennt eine technische Fehlerquote von knapp 5 Prozent. Das meint vor allem Erkennungsfehler durch die OCR-Software. Angaben über Fehltreffer solcher Systeme findet sich darüber hinaus im Verhandlungsprotokoll einer Berufungsverhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 17.10.2011 (AZ 10 BV 09.2641). Bereits 2009 hatte ein Autofahrer gegen den Freistaat Bayern wegen der automatisierten Kennzeichenerfassung geklagt (AZ M 7 K 08.3052). Auf die Frage nach der Zahl der Kennzeichenerfassungen erklärten die Beklagtenvertreter: "Im Zeitraum Juni bis einschließlich September 2011 konnten erstmals detaillierte Zahlen ermittelt werden. Dabei kam es pro Monat durchschnittlich zu 8 Mio. Kennzeichenerfassungen, 40 000 bis 50 000 Treffermeldungen und 500 bis 600 echten Treffern pro Monat." Auf Nachfrage gaben die Vertreter Bayerns zu Protokoll: "Die große Diskrepanz zwischen Treffermeldungen und echten sogenannten Treffern lässt sich im Wesentlichen mit Syntaxfehlern des Systems erklären."

In einer Pressemitteilung hat das MPI inzwischen zu dieser Meldung Stellung genommen. Es habe nicht Maßnahmen der Rasterfahndung evaluiert, sondern lediglich die anlassbezogene automatische Kennzeichenfahndung, Verkehrsdatenabfrage und Mobilfunkortung zu Zwecken der Gefahrenabwehr sowie die polizeiliche Praxis dieser Maßnahmen. Tatsächlich grenzen die Autoren im Bericht selbst beide Verfahren vor allem hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen voneinander ab: "Rasterfahndung und automatische Kennzeichenfahndung verfolgen also – obwohl sie gleichermaßen eine Vielzahl von Personen erfassen und deren Daten mit einem Datenbestand abgleichen – unterschiedliche Zwecke.]

Insgesamt ist die Erfolgsbilanz aller Rasterfahndungsmaßnahmen in Brandenburg ziemlich mäßig und wirkt eher wie die Auflistung von Zufallstreffern: Eine "suizidgefährdete Person", eine Person, die "im Verdacht einer Tötung" stand sowie ein mutmaßlicher Bandendieb wurden aufgegriffen und ein Waffendiebstahl sei verhindert worden. (sun)