Kommentar: Das deutsche Fernsehen hat nichts gelernt
Gute Serien wie "The Wire", "House of Cards" oder "Borgen" sucht man im deutschen Fernsehen vergebens. Weil das Ă–ffentlich-Rechtliche nichts daraus gelernt hat, was andere schon vor dreiĂźig Jahren erkannt haben. Nun machen Amazon und Netflix das Rennen.
- Jens Lubbadeh
Schauen Sie eigentlich noch Fernsehen? Ich schon längst nicht mehr. Ich zahle meine GEZ-Gebühr, pardon meinen Rundfunkbeitrag und ärgere mich einfach nicht mehr über all die unnötigen und hohlen Talk- und Kochshows, die langweiligen ewiggleichen Tatorte und den ganzen anderen Krimischeiß, die nicht mehr existenten großen Familien-Shows und nicht vorhandene großartige Serien vom Format wie The Wire, True Detective, Borgen...
Einen Fernseher besitze ich noch, aber eigentlich könnte ich den auch verkaufen. Wenn ich noch mal fern schaue, dann mache ich den Beamer an. Und dann schaue ich die Filme und die Serien, die ich gut finde und die es im deutschen Fernsehen nicht gibt.
Weil es sie nicht produziert.
Der US-Kabelsender HBO hat schon in den 80ern mit der Einführung der Videorekorder erkannt: Olle Kinofilme zu zeigen reicht nicht mehr – wir müssen den Zuschauern etwas eigenes bieten. Und begann, Serien zu produzieren. Das zahlt sich jetzt aus: Serien wie Game of Thrones, True Detective, Silicon Valley und Boardwalk Empire begeistern weltweit und lassen sogar Hollywood alt aussehen. Jetzt ist das Streaming da - Amazon und Netflix. Und wieder hat HBO gelernt und geht in Partnerschaft mit Amazon.
Und in Deutschland? Keine Lerneffekte, nirgends. Die Öffentlich-Rechtlichen haben zugesehen, wie erst die Videorekorder kamen, dann das Privatfernsehen, dann die DVD. Und jetzt sind Watchever, Amazon, Maxdome und in wenigen Tagen auch Netflix da. Schon bei Einführung der DVD hätte eigentlich klar sein müssen: Olle Kinofilme zu zeigen bringt's nicht mehr. Allerspätestens mit dem Streaming auch: Olle Serien aus dem Ausland zu zeigen ebensowenig.
Die Reaktion? Ist bislang jedenfalls nicht die wie bei HBO – Konzentration auf Qualität und die Entwicklung originärer Inhalte. Das hätte nicht nur das Publikum bei der Stange gehalten, man hätte auch mal den Spieß umdrehen und selbst was ins Ausland verkaufen können. Stattdessen ließ man sich auf einen bis heute andauernden Wettkampf mit den Privaten um Einschaltquoten ein, den man sich eigentlich als gebührenfinanziertes Medium hätte sparen können. Man badet gerne lau, setzt auf seichte Unterhaltungskost, die allenfalls die Generation 60+ anspricht. Und Qualität, ja die es gibt im Öffentlich-Rechtlichen natürlich, wird auf unattraktive Sendeplätze oder in Spartenkanäle verbannt.
Schade, Öffentlich-Rechtliches, Chance verpasst. Und das, obwohl du – anders als HBO – in der luxuriösen Position warst, faktisch alle Bundesbürger mit einem Fernseher zu deinen zahlenden Abonnenten zählen zu können.
Vergessen Sie Sky oder das Privatfernsehen. Die einzige Großmacht in der deutschen Fernsehlandschaft, die die Mittel, die Erfahrung und das Können hätte, um solche Qualitätsserien zu produzieren wie HBO, ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Dessen Strukturen sind zu verkrustet, sagen Sie? Zu bürokratisch, um die notwendige Kreativität freizusetzen? Glaube ich nicht. Dass öffentlich-rechtliches Fernsehen hervorragende Serien machen kann, zeigt Dänemark. Schauen Sie mal „Borgen“. Das ist noch besser als „House of Cards“. Viel besser.
Aber ich fürchte, das Rennen ist gelaufen. Die Konkurrenz steht in den Online-Startlöchern. Das Fernsehen der Zukunft findet bei Amazon, Netflix, Watchever statt - auch in Deutschland. Genau wie HBO haben diese Angebote mal mit einfachem Streaming von Fremdinhalten angefangen. Aber da gab es eine Lernkurve und man hat schnell erkannt, dass das nicht reicht. Jetzt produzieren sie ihre eigenen Serien. Und sie begeistern: "Die Amazon Originals-Serien Betas und Alpha House gehörten beide nach ihren jeweiligen Starts sechs Wochen in Folge zu den 'Top 5 der meist gestreamten Serien'", heißt es stolz in einer Amazon-Presseerklärung. (jlu)