Kommentar: GTA V ist nur ein Gewaltporno unter vielen

Die Aufregung um GTA V zeigt, dass Spiele immer noch nicht wie Filme und BĂĽcher diskutiert werden. Lieber wird das Killerspiel-Fass aufgemacht. Es wird Zeit, dass Spiele ernst genommen werden, meint Jan-Keno Janssen.

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Kommentar: GTA V ist nur ein Gewaltporno unter vielen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jan-Keno Janssen

Gleich zwei große australische Handelsketten wollen das Actionspiel Grand Theft Auto V aus den Regalen nehmen – weil es laut einer Petition "zu sexueller Gewalt und Mord an Frauen ermuntert". Was stimmt: Das Spiel ist ein waschechter Gewaltporno; an vielen Stellen ekelig, manchmal menschenverachtend.

Ein Kommentar von Jan-Keno Janssen

Jan-Keno Janssen schreibt seit 2007 über Technik bei c't und heise online, seit 2016 als leitender Redakteur im Ressort Internet & Mobiles. Zuvor arbeitete er nach einem Studium der Medienwissenschaften und der Amerikanistik bei Tageszeitungen. Er schraubt schon seit frühester Kindheit an Computern herum. Bei heise online und c't beschäftigt er sich vor allem mit Virtual Reality, Datenbrillen und Gadgets.

Allerdings gilt das genauso für Kino-Franchises wie Saw oder die von vielen Kritikern hochgelobte TV-Serie Game of Thrones: Auch hier wird munter gemordet, vergewaltigt und gefoltert. Die Kamera hält gnadenlos drauf, das Blut spritzt in Full HD. Nur käme hier niemand auf die Idee, die Bluray-Boxen aus dem Handel zu nehmen: Zu groß wäre der Zensur-Aufschrei. Schließlich gelten die neuen Fernsehserien als ganz große Kunst; zumindest seitdem das Feuilleton seine Liebe für The Sopranos, The Wire, Breaking Bad und eben Games of Thrones entdeckt hat.

Kunst bricht seit jeher Tabus, Kunst beschreibt seit Jahrtausenden das Schlechte im Menschen. In der aufgeklärten Welt darf Kunst fast alles und deshalb läuft im staatlich geförderten Programmkunstkino Pasolinis 120 Tage von Sodom, im Multiplex Saw und im Fernsehen Game of Thrones.

Computerspiele dürfen dagegen nicht alles, denn sie gelten in der öffentlichen Wahrnehmung nicht als Kunst – trotz Minecraft, Portal oder Bioshock. Was vermutlich daran liegt, dass die Debatte vor allem von Menschen geführt wird, die selbst noch nie ein Computerspiel gespielt haben. Anlass für all die Aufregung ist deshalb auch nicht das Spiel selbst. Sondern vor allem eine geschmacklose Spielszene auf Youtube, in der ein offenbar intellektuell Minderbegabter eine Prostituierte nach vollendeter Dienstleistung durch mehrfaches Überfahren hinrichtet und das ziemlich lustig findet.

Alleine darauf lässt sich das Spiel aber nicht reduzieren. Denn der Minderbegabte hätte genauso gut Zeppelin fahren, Aktien kaufen, Tennisspielen, Tiefseetauchen oder Gleitschirmfliegen können. GTA ist ein Open-World-Spiel, es geht also darum, die echte Welt möglichst realitätsgetreu nachzubilden. Deshalb kommt eine virtuelle Figur ums virtuelle Leben, wenn man mit dem virtuellen Auto drüberfährt.

Ich will damit nicht sagen, dass die GTA-V-Macher Unschuldslämmer sind – natürlich ist Ihnen klar, dass es Männer gibt, denen im Spiel vor allem das Frauenmorden Spaß macht. Natürlich befriedigt GTA Macht- und Gewaltfantasien. Aber das ist bei Game of Thrones und Tarantinos Blutfontänen-Orgien auch nicht anders.

Nur: Während über Filme und Serien auf inhaltlicher Ebene debattiert wird, springt bei GTA und Co sofort der Killerspiel-Reflex an. Anstatt zu diskutieren, ob die Gewaltdarstellung der Geschichte zuträglich ist oder nicht, wird immer gleich das ganz große Fass aufgemacht – in Deutschland gibt es immer noch genug Leute, die Shooter am liebsten komplett verbieten würden. Bis wir Spiele selbstverständlich genauso differenziert kritisieren wie andere Kulturerzeugnisse, dauert es vermutlich noch Jahrzehnte. Was wirklich schade ist – denn erst dann werden die Verweigerer merken, wie viel Kunst in Spielen stecken kann.

Anmerkung: Dieser Kommentar lief am Samstag ab 9:30 auf heise online, wurde dann jedoch kurzzeitig wegen eines technischen Problems unbeabsichtigt entfernt. Wir bitten um Entschuldigung fĂĽr diesen Fehler, insbesondere bei den Lesern, die bereits die Forumsdebatte angestoĂźen hatten. (jkj)