Kommentar zum EuGH-Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung: Kein Etappensieg für Bürgerrechtler

Der EU-Generalanwalt hat die Vorratsdatenspeicherung nicht rundweg verworfen. Seine Stellungnahme ist aber über dieses Thema hinaus besonders bedeutsam.

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Der Antrag des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof in Sachen Vorratsdatenspeicherung ist kein Etappensieg für die Bürgerrechtler. Weite Teile der Kommunikation der Bürger der 28 EU-Mitgliedstaaten zu speichern ist von dem mit seiner Meinung für das Urteil meist maßgeblichen Rechtsgutachter nicht generell verworfen worden. Er stört sich daran, dass zu viel, zu wenig begrenzt und zu ungenau Daten gesammelt werden sollen.

Kurzfristig taktisch gedacht ist die Stellungnahme des Generalanwalts ein Erfolg für die Bürgerrechtler, denn gerade für die entstehende Bundesregierung wird es nun schwer werden, seriös zu argumentieren, dass sie verpflichtet sei, die in dieser Form für nicht europagrundrechtskonform erklärte Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. Dass eine Verpflichtungsklage auf Wiedereinführung durch die EU-Kommission Erfolg verspräche, darf bezweifelt werden.

Und hier kommen gleich zwei Dinge ins Spiel: zum einen, dass der Generalanwalt eine Neuregelung innerhalb einer "angemessenen Frist" fordert. Das dürfte vor allem bedeuten, das nach der Europawahl im Mai 2014 klar wird, wie eine Neuauflage aussehen könnte – wenn sie überhaupt kommt. Die Bürger Europas, von denen viele mit weniger intellektuellen Problemen kämpfen, können bei der Europawahl für oder wider Vorratsdatenspeicherung abstimmen. Eine Mehrheit für ihre Gegner würde eine Neueinführung auf europäischer – nicht aber auf nationaler – Ebene verhindern.

Über die Vorratsdatenspeicherung hinaus ist das Urteil jedoch besonders bedeutsam. Nicht zu vergessen: Die Grundrechtecharta ist die europäische Entsprechung der Grundrechte in der deutschen Verfassung. Sie ist der Maßstab, dessen Geltung selbst die Karlsruher Richter nur noch im absoluten Ausnahmefall der Verfehlung – wenn überhaupt – einmal in Frage stellen würden. Der Generalanwalt prüft in seinem Schlussantrag die datenschutzrelevanten Teile der Grundrechtecharte der Europäischen Union und verfasst dabei einige bemerkenswerte Sätze. Er misst die Vorratsdatenspeicherung nicht nur am Artikel 8 der Charta, dem Schutz personenbezogener Daten, sondern auch am Artikel 7, dem Recht auf Privatleben. Damit wird rechtlich der Umstand gewürdigt, dass auch intimste Details unseres Lebens von der Vorratsdatenspeicherung miterfasst sind. Dies ist eine Realitätsbeschreibung, die noch heute längst nicht von jedem, der sich für diese Form der Speicherung ausspricht, begriffen wurde.

Auch die Speicherfristen moniert der Generalanwalt in ungewöhnlich scharfer Form. Sie müssen europagrundrechtskonform geschehen und gegebenenfalls nachjustiert werden. Nicht nur das ist eine schallende Ohrfeige für diejenigen, die die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie damals auf den Weg brachten: Der Generalanwalt spricht von "mangelnder Gesetzesqualität". Und er schreibt den Gesetzesschaffenden in Kommission, Rat und Parlament zudem gleich mit ins Stammbuch, dass sie künftig einen adäquaten Grundrechtsschutz bei Gesetzesvorhaben gewährleisten müssen und den Grundrechtsschutz nicht auf die nationale Ebene abzuwälzen können. Das ist überaus begrüßenswert: Der Umweg, die Grundrechte über einen europäischen Gesetzgebungsprozess auszuhebeln, wird damit verstellt.

Das noch junge Pflänzchen der EU-Grundrechte, es ist heute um einige Blätter reicher geworden. Doch ein Sieg für jene, die die Vorratsdatenspeicherung lieber heute als morgen verschwinden sehen würden, ist dieses Schlussplädoyer nicht: Am Ende werden die Wähler entscheiden müssen, was sie politisch für sinnvoll befinden und ob sie diejenigen stützen, die – wenn auch nun weniger – das digitale Abbild ihrer Leben horten möchten, ob nur für drei, sechs oder zwölf Monate. (anw)