Kontrollierte Kernfusion: Sonnenfeuer-Experimente liefern erstmals ein Energie-Plus
US-Forscher haben einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur kontrollierten Kernfusion erreicht: Unter Laserbeschuss verschmolzen Wasserstoffkerne in Sekundenbruchteilen und setzten mehr Energie frei als hineingepumpt wurde.
Die Sonne macht es vor: In ihrem heißen, dichten Zentrum verschmilzt unablässig Wasserstoff zu Helium. Dabei wird Energie frei, am Himmel als feurige Sonnenglut zu erkennen. Es ist ein lang gehegter Wissenschaftler-Traum, diese Kernfusion auf der Erde nachzuahmen: Die überschüssige Energie könnte billig, klimaschonend und ungefährlich den Bedarf der Menschheit decken. Jetzt vermelden US-Forscher im Fachblatt Nature einen wichtigen Schritt auf diesem Weg: Unter Laserbeschuss verschmolzen Wasserstoffkerne in Sekundenbruchteilen und setzten dann erstmals mehr Energie frei als die Laser hineingepumpt hatten.
Energieplus in Kernfusionsexperiment (4 Bilder)
Die gekühlte Haltevorrichtung für den Reaktionszylinder – die Fusionskammer. (Bild: LLNL)
Energieplus in Kernfusionsexperiment (4 Bilder)
Enormer Gerätepark
"Es ist uns gelungen, aus der Kernfusion mehr Energie herauszubekommen, als das Brennstoffkügelchen vorher aufgenommen hatte", erklärt Omar A. Hurricane, Physiker an der National Ignition Facility (NIF) des Lawrence Livermore National Laboratory. Die Experimente hätten das Zehnfache früherer Versuche geliefert und damit endlich den – wenn auch winzigen – Überschuss erreicht. Dafür hatte Hurricanes Team einen enormen Gerätepark aufgebaut: Insgesamt 192 Hochenergie-Laser füllten eine ganze Halle und zielten mit ihrer Gesamtleistung von tausend Milliarden Watt auf die Mitte eines nur bohnengroßen Metallzylinders. Innen mit Gold beschichtet, saß im zentralen Hohlraum des Zylinders eine tiefgekühlte Brennstoffkapsel mit Deuterium- und Tritium-Atomen. Diese beiden Varianten schweren Wasserstoffs verschmelzen besonders gut.
Der Erfolg der Forscher zeigte sich dann in der ausgeklügelten Abfolge der Laserpulse: Binnen weniger millionstel Sekunden pumpten die Geräte ihre gesamte Energie in den Hohlraum und erzeugten eine Schockwelle aus Röntgenstrahlung, die die Wasserstoffprobe auf knapp ein Drittel ihrer Größe zusammenpresste. Dabei erhitzte sie auf mindestens 100.000.000 °C und bildete ein glühendes Plasma. In Dichte und Temperatur entspricht das dem Zentrum der Sonne und ist die Voraussetzung für die erhoffte Kernfusion.
17,3 Kilojoule
Damit das Plasma überhaupt entsteht und nicht sofort wieder zusammenbricht, müssen die Laserpulse optimal geformt und synchronisiert sein – das hatten Hurricane und Kollegen in den vergangenen Jahren immer weiter optimiert. Und tatsächlich fanden sich unter mehreren Dutzend Durchläufen insgesamt vier, bei denen die im Zylinder entstandene Fusionsenergie größer war als jene, die die Laser zuvor hineingepumpt hatten. Ein Meilenstein.
Zwar entsprach dieser Netto-Gewinn nur maximal 17,3 Kilojoule – etwa dem Energiegehalt von anderthalb Mignon-Batterien. Doch ist dies etwa zehnmal mehr als bisherige Deuterium-Tritium-Verschmelzungen geliefert hatten. Allerdings gilt der Energie-Überschuss nur für In- und Output des Brennstoffkügelchens. Würden die gesamten Energiekosten des Experimentes mit eingerechnet, rutscht die Bilanz wieder tief ins Minus. Denn schon von der Energie, welche die Laser in den Hohlraum feuerten – bis zu 1,9 Megajoule –, wurde nur ein Hundertstel auf den Brennstoff übertragen. Der Rest ging bei anderen Prozessen verloren, etwa beim Verdampfen des Zylinders.
Selbsterhitzende Alpha-Teilchen
Entsprechend arbeiten die Forscher weiterhin daran, den Fusionsprozess zum Selbstläufer zu machen. "Das wirklich Aufregende ist, dass wir einen stetig wachsenden Anteil an Energie von jenem selbstverstärkenden Prozess bekommen, den wir Selbsterhitzen der Alpha-Teilchen nennen", erklärt Hurricane. Damit benennt er das Hauptziel: Der Fusionsprozess wird erst dann als Energiequelle nutzbar sein, wenn Wasserstoffkerne nicht nur im Moment des Befeuerns verschmelzen, sondern in einer Kettenreaktion auch benachbarte Brennstoffkerne zum Verschmelzen bringen. Die Selbsterhitzung gilt als Schlüssel für die ersehnte Zündung der Kettenreaktion – im Versuch trugen die entstandenen Alphateilchen mit rund einem Drittel zur Energiebilanz bei.
Die Kernfusion gilt als Energiequelle der Zukunft, weil sie prinzipiell das Gegenteil der Kernspaltung ist, bei welcher große Atomkerne zu kleineren, radioaktiven Kernen zerfallen. Anders als in heutigen Atomkraftwerken entsteht vor allem ungefährliches Helium. Seinen großen Kern bilden mehrere Kerne des kleineren Wasserstoffatoms. Zum Zusammenhalt benötigen sie weniger Energie als zuvor, so dass Licht- und Wärmeenergie frei wird.
Zur Zündung der Fusions-Kettenreaktion müssen die Startatome soweit befeuert werden, dass sie implodieren und dabei die nötige Hitze und Druck erzeugen. Im Gegensatz zur Atomspaltung bricht die Kettenreaktion aber sofort zusammen, wenn die kontinuierliche Brennstoffzufuhr stoppt. Als künftige Energiequelle gilt die kontrollierte Kernfusion auch deshalb, weil Wasserstoff als Brennstoff quasi unbegrenzt vorhanden ist und keine Treibhausgase entstehen. Theoretisch könnte jedes Gramm Brennmaterial 80 bis 100 Kilowattstunden an Energie liefern – damit ließen sich rund 350 Haushalte einen Monat lang versorgen.
Zwei Wege zum Fusionsreaktor
Allerdings kämpfen Teams weltweit auf dem Weg zur technischen Umsetzung mit den Tücken der Praxis. "Wann uns die Zündung gelingt, ist zurzeit noch nicht absehbar", erklärt Hurricane – davon sei sein Experiment noch weit entfernt. Wissenschaftler wollen das Ziel Fusionsreaktor vor allem auf zwei Arten erreichen: Per blitzartiger Laserbefeuerung wie am kalifornischen NIF, der so genannten Trägheitsfusion, bei der allerdings weitaus öfter und kontinuierlicher gefeuert werden müsste als im aktuellen Experiment. Oder per "Magnetfusion", wobei Wasserstoffgas und später das heiße Fusionsplasma durch starke Magnetfelder eingeschlossen wird.
Europa setzt seine Hoffnungen eher auf den Forschungsreaktor ITER, der nach diesem Prinzip arbeiten soll und derzeit in Südfrankreich entsteht. Er soll beweisen, dass ein Fusionskraftwerk in rund 40 Jahren möglich sein wird. In Greifswald entsteht zurzeit ein kleineres Fusionsreaktor-Experiment, das Projekt Wendelstein 7-X des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP).
Die jüngsten Versuche am Lawrence Livermore National Laboratory, an dem auch Militärforschung betrieben wird, liefern nicht nur der Fusionsforschung wichtige Einsichten. Sie helfen auch dem Verständnis der Atomwaffenphysik, denn die Abläufe bei der Trägheitsfusion entsprechen grob jenen bei der Explosionszündung einer Wasserstoffbombe. Simulationen und Analysen in diesem Bereich helfen auch dabei, existierende Thermonuklearwaffen instandzuhalten. Denn aktuell ist das aktive Testen von Kernwaffen durch internationale Verträge verboten. (anw)