Künstliche Intelligenz: Forscher fordert "Innehalten und Überlegen"
Der KI-Forscher Raúl Rojas von der FU Berlin plädiert in einem Gastkommentar für Technology Review für ein Moratorium in Sachen Automatisierung.
"Ich habe mittlerweile ein schlechtes Gewissen – nicht aufgrund der Arbeit, die ich in den vergangenen Jahrzehnten gemacht habe", schreibt Raúl Rojas in der aktuellen Ausgabe von Technology Review (seit 28.8. am Kiosk und online zu bestellen). "Sondern aufgrund der Folgen, die sie nach sich zieht."
Rojas forscht seit mehr als 30 Jahren auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Er leitet an der Freien Universität Berlin den Bereich Intelligente Systeme und Robotik, an dem Deutschlands erstes autonom fahrendes Auto entwickelt wurde.
"Die positive Seite" dieser Forschung sei schon immer die "grenzenlose Zuversicht gewesen, mithilfe der Computer das jahrhundertealte Rätsel nach dem Wesen der Intelligenz zu beantworten", schreibt Rojas. "Doch es ist der Fluch der KI, dass bei jeder partiellen Lösung eines Problems jemand parallel überlegt, wie diese neue Computerfähigkeit zur sozialen Kontrolle verwendet werden kann. Wenn der Computer Texte übersetzen kann, ist es einfacher, E-Mails aus aller Welt zu lesen".
Doch das "schlechte Gewissen" speise sich noch aus einer zweiten Tendenz, schreibt der Forscher. "Viele KI-Forscher sind ab den achtziger Jahren in die Robotik eingestiegen, weil der Top-down-Ansatz an seine Grenzen kam." Angesichts des rasanten technischen Fortschritts in der Robotik stelle sich allerdings mittlerweile die Frage, "ob wir eine industrielle Revolution angestoßen haben, die anders ist als die vorherigen". Bei allen früheren industriellen Revolutionen hätten Arbeitsplätzen in neuen Branchen entstehen können, obwohl Maschinen Arbeiter ersetzt haben. "Wir haben aber heute ein Tempo der Automatisierung erreicht, das beispiellos in der Geschichte ist."
"Wir sollten innehalten und uns die Sache in Ruhe überlegen", folgert Rojas daraus. "Ein sozial-technisches Moratorium, wie die Gewerkschaften es manchmal verlangen", sei angesichts dieser Entwicklung "nicht nur unerwünschte Reibung im System – sondern eine Möglichkeit, in einer Welt der Hyperproduktivität die Zukunft der Arbeit, und zwar für alle, erneut zu thematisieren."
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(wst)