NSA-Überwachungsskandal: Lauschangriff auf Gerhard Schröder
Die Lauschangriffe des US-Geheimdienstes NSA auf deutsche Kanzler haben wohl Tradition - vor Merkel wurde schon Gerhard Schröder abgehört. Anlass sei der Konfrontiationskurs der damaligen Bundesregierung vor dem Irak-Krieg 2003 gewesen.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich, hat die USA wegen der Berichte über Abhörmaßnahmen gegen den damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) mit Nachdruck zur Klärung aufgerufen. "Angesichts immer neuer Enthüllungen über die systematische Ausspähung politischer Entscheidungsträger durch die NSA sollte die amerikanische Regierung endlich von sich aus zur umfassenden Aufklärung beitragen", sagte der Abgeordnete dem Kölner Stadt-Anzeiger. "Die transatlantischen Beziehungen dürfen nicht weiter durch wachsendes Misstrauen ausgehöhlt werden."
Der stellvertretende Bundestag-Fraktionschef der Grünen, Konstantin von Notz, geht davon aus, dass neben Schröder weitere hochrangige Politiker vom US-Geheimdienst NSA ausgespäht wurden. "Die jüngsten journalistischen Enthüllungen bestätigen die seit langem im Raum stehende Vermutungen. Offenbar wurde nicht nur das Telefon von Angela Merkel, sondern auch die Kommunikation anderer Spitzenpolitiker zuvor bereits intensiv abgehört", sagte er dem Handelsblatt.
Der Aufklärungsbedarf, sowohl hinsichtlich der Dauer als auch der Anzahl der von geheimdienstlicher Spionage tatsächlich Betroffenen, sei "nach wie vor erheblich". Allerdings seien eigene Aufklärungsbemühungen der Regierung bislang nicht erkennbar. "Auch deswegen brauchen wir eine umfassende Untersuchung im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses", meinte von Notz
Konfronationskurs
Der US-Geheimdienst NSA hat laut Medienberichten mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits vor gut zehn Jahren das Telefon des damaligen SPD-Bundeskanzlers Schröder abgehört. Anlass war nach Recherchen des NDR und der Süddeutschen Zeitung Schröders Konfrontationskurs vor dem Irak-Krieg 2003. In deutschen Regierungskreisen wird seit längerem vermutet, dass nicht erst die jetzige Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sondern schon die frühere rot-grüne Regierung Ziel von US-Ausspähungen war.
Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, der kürzlich den US-Geheimdienst-Enthüller Edward Snowden im Moskauer Asyl getroffen hatte, bestätigte gegenüber dpa die Rechercheergebnisse. Nach seinen Erkenntnissen war wohl auch der damalige grüne Außenminister Joschka Fischer wegen seiner Position zum Irak-Krieg vor dem UN-Sicherheitsrat Zielperson des US-Geheimdienstes.
Zielpersonen
Den Medienberichten zufolge nahm die National Security Agency (NSA) Schröder spätestens 2002 unter der Nummer 388 in eine Liste auf, in der überwachte Personen und Institutionen geführt wurden. Der Altkanzler erklärte dazu, er habe sich vor Bekanntwerden der NSA-Affäre das massenhafte Ausspähen nicht vorstellen können. "Damals wäre ich nicht auf die Idee gekommen, von amerikanischen Diensten abgehört zu werden; jetzt überrascht mich das nicht mehr." Eine Quelle mit direkter Kenntnis der Spionage-Aktion sagte der Süddeutschen Zeitung: "Wir hatten Grund zur Annahme, dass (Schröder) nicht zum Erfolg der Allianz beitrug."
Die Aussagen der amerikanischen und der deutschen Quellen werden nach den Medienberichten auch durch ein Dokument aus dem Bestand Snowdens gestützt. Das Papier, offenbar aus jüngerer Zeit, nenne das Jahr 2002 als Beginn der Lauschaktion – und den Namen von Kanzlerin Merkel. Bislang war dies so interpretiert worden, dass ein Handy der Kanzlerin vor zwölf Jahren erstmals ausgespäht wurde. Damals war Merkel noch CDU-Vorsitzende. NSA-Insider erklären das Papier nun neu: Der Auftrag des Abhörprogramms habe nicht der Person, sondern der Funktion gegolten. Das Dokument zeige nur, dass seit 2002 der jeweilige Kanzler abgehört worden sei. Auf der Liste sei jeweils der aktuelle Name des Kanzlers oder der Kanzlerin notiert worden. Demnach wurde Merkel vermutlich ab 2005 abgehört, als Nachfolgerin Schröders.
Inzwischen hat US-Präsident Barack Obama erklärt, dass Merkel während seiner Amtszeit nicht mehr abgehört werde. Ströbele bekräftigte im dpa-Interview, dass es für die deutsche Seite dringend der Informationen des Geheimdienst-Enthüllers bedürfe, denn die Details könnten nur noch Experten entschlüsseln: "Dafür brauchen wir Herrn Snowden." Der von den USA gesuchte "Whistleblower" versteckt sich seit Monaten im russischen Asyl.
Siehe dazu auch in Telepolis:
- Auch Ex-Bundeskanzler Schröder wurde abgehört - Die angeblichen Neuigkeiten vernebeln, dass schon lange bekannt ist, wie britische und amerikanische Geheimdienste befreundete Regierungen und internationale Organisationen belauschen
(jk)