Netzneutralität: Vorfahrt für Google-Dienste gegen Bezahlung? [Update]
Google und der US-Zugangsanbieter sollen vor dem Abschluss einer Vereinbarung stehen, wonach Verizon Inhalte Googles gegen Gebühr bevorzugt zu den Nutzern brächte. Bislang warf sich Google als Verteidiger der Netzneutralität in die Brust, Firmenchef Eric Schmidt erklärte nun aber, zwischen verschiedenen Datenkategorien müsse aber eine Differenzierung möglich sein.
Google und Verizon stehen laut einem Bericht der New York Times vor dem Abschluss einer Vereinbarung, wonach der US-Zugangsanbieter über seine Netzwerke Inhalte der YouTube-Mutterfirma gegen Zahlung einer Zusatzgebühr mit Priorität zu den Nutzern bringen könnte. Laut der Zeitung sprechen die beiden US-Konzerne bereits seit zehn Monaten über neue Regeln zur Breitbandnutzung. Dabei hätten sich beide Seiten mit einer Lösung angefreundet, bei der Inhalteanbieter eine spezielle Gebühr für eine Sonderbehandlung ihres Contents zahlen könnten. Ein solches Modell würde gegen die bisherigen Vorstellungen des offenen Internets und der Netzneutralität verstoßen, demzufolge Dienste, Applikationen und Inhalte ohne gezielte Unterschiede – also unabhängig von Protokoll, Dienst, Quelle und Ziel der Datenpakete – behandelt werden.
Großen US-Breitbandanbietern und einigen europäischen Carriern wie der Deutschen Telekom geht es seit Längerem darum, für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsnetze Inhalteanbieter für die zugesicherte oder besonders rasche Übertragung von Daten zur Kasse zu bitten. Sie wollen im Rahmen eines erweiterten "Netzwerkmanagements" Möglichkeiten zur unterschiedlichen Behandlung des Datenverkehrs in ihren Backbones erhalten, abhängig etwa von Quelle, Dienst und Bandbreitenverbrauch. So könnten sie den Datenverkehr von besser zahlenden Kunden bevorzugt behandeln. Google gehörte dagegen bislang zu einer Allianz von Firmen gemeinsam mit Amazon, eBay, Microsoft oder Yahoo, die für eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität plädierten und diese sogar notfalls einklagen wollten. Sie fürchten gemeinsam mit Verbraucherschützern, dass Telekommunikationskonzerne und TV-Kabelanbieter das Internet einerseits in teure, mit Mautstationen abgesperrte Luxusbahnen und holprige Feldwege andererseits aufteilen wollen.
Google-Chef Eric Schmidt meinte nun am Rand der Techonomy-Konferenz in Kalifornien, dass es viele Missverständnisse über das Konzept der Netzneutralität gebe. Der Suchmaschinenbetreiber verstehe darunter, dass gleiche Datentypen (etwa bei Videos) nicht unterschiedlich behandelt werden dürften. Es gehe also nicht an, dass ein Clip einer Person gezeigt werde und die Aufnahme einer anderen zurückgewiesen werde. Zwischen verschiedenen Datenkategorien müsse aber eine Differenzierung möglich sein. Darüber gebe es ein prinzipielles Einverständnis zwischen Google und Verizon, auch wenn es bislang kein darauf basierendes Abkommen zu verkünden gebe. Kompliziert werde die Angelegenheit vor allem, wenn man das Prinzip des offenen Internets auch auf Mobilfunkverbindungen beziehen wolle. Google kooperiert in diesem Bereich mit Verizon beim Vertrieb von Smartphones mit dem Android-Betriebssystem.
Die Verhandlungen zwischen den beiden Größen im Internet- und Mobilgeschäft könnten sich auch auf die Bemühungen des US-Regulierers auswirken, Netzneutralitätsprinzipien festzuschreiben. Der Chef der Federal Communications Commission (FCC), Julius Genachowski, sucht seit dem Frühjahr nach einem "dritten Weg" zur Sicherung des offenen Internets. Demnach sollen Internetprovider künftig als klassische Telekommunikationsanbieter und Carrier eingestuft werden. Das damit theoretisch verfügbare umfangreiche Arsenal an Regulierungsmitteln will die FCC aber nur zum Teil auf die Zugangsanbieter anwenden. Die Regulierungsbehörde diskutiert über den Vorstoß derzeit mit Vertretern von Netzbetreibern, um einen Kompromiss zu finden und die Schmerzgrenzen auf allen Seiten auszuloten. Vertreter von Bürgerrechts- und Verbraucherschutzorganisationen sitzen nicht am Tisch und lehnen die geheimen Unterredungen daher ab.
[Update]:
Zumindest eine Vereinbarung mit Verizon über eine Bevorzugung von Internet-Traffic hat Google allerdings mittlerweile dementiert:. "We have not had any conversations with Verizon about paying for carriage of Google traffic. We remain as committed as we always have been to an open Internet." Wenn Eric Schmidt allerdings davon spricht, dass zwischen verschiedenen Datenkategorien aber eine Differenzierung möglich sein müsse, lässt dies weitere Fragen offen, wie seiner Ansicht nach Datenverkehr im Internet, besonders über Mobilfunkverbindungen, künftig behandelt werden soll.
(jk)