Nokia unter Druck: Soll's ein neuer Chef richten?

Dem weltgrößten Handy-Hersteller macht der harte Wettbewerb insbesondere bei Smartphones zu schaffen – der könnte sich aber nicht nur in den Zahlen niederschlagen, sondern auch in der Besetzung der Führungsspitze des Konzerns.

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Von
  • Jürgen Kuri

Am 22. Juli blicken die Investoren wieder gespannt nach Finnland: Der weltgrößte Handy-Hersteller Nokia legt seine Quartalszahlen vor – Mitte Juni erst hatte Nokia die Erwartungen für das Mobilfunkgeschäft gesenkt. Den Finnen macht der harte Wettbewerb insbesondere bei Smartphones zu schaffen – der könnte sich aber nicht nur in den Zahlen niederschlagen, sondern auch in der Besetzung der Führungsspitze des Konzerns. Nokia suche einen neuen Chef, mindestens zwei Kandidaten aus den USA seien bereits angesprochen worden, der Nokia-Aufsichtsrat strebe eine Entscheidung bis Ende des Monats an, berichtet das Wall Street Journal unter Berufung auf informierte Personen. Auf der Hauptversammlung Anfang Mai hatte der aktuelle Nokia-Chef Olli-Pekka Kallasvuo allerdings trotz starker Kritik noch Unterstützung des Aufsichtsrats und der Aktionäre bekommen.

Nokia hat Probleme bei den boomenden und lukrativen Smartphones. Der finnische Konzern ist zwar immer noch größter Smartphone-Hersteller mit einem Marktanteil von zuletzt knapp 40 Prozent. Die Initiative in dem Bereich habe jedoch Apple mit seinem iPhone und Google mit dem Betriebssystem Android an sich gerissen, zudem behauptet RIM mit den Blackberrys eine starke Position im Smartphone-Markt. Nokias Versuche, das Steuer herumzureißen, blieben bisher wenig erfolgreich.

Kallasvuo steht seit 2006 an der Spitze des weltgrößten Handy-Herstellers. Der Zeitung zufolge hat ein Chef eines großen US-Technologiekonzerns Nokia abgesagt, weil er nicht nach Finnland ziehen wollte. Auch ein weiterer Manager aus den USA sei bereits für den Job interviewt worden, hieß es. Der Aufsichtsrat mache ernst mit einem Wechsel, heißt es in einem dpa-Bericht.

Die Smartphones sind ein schnell wachsender Markt. Wichtiger noch, es ist nach einhelliger Meinung von Experten der wichtigste Zukunftsbereich. Im Moment geht es um die Eroberung von Neuland. Bisher nutzen weitaus die meisten Menschen einfache Handys, bei denen Nokia sehr stark ist. Doch die Smartphones sind rapide auf dem Vormarsch. Zu Jahresbeginn war laut dpa etwa jedes sechste verkaufte Handy ein Smartphone, Branchenbeobachter rechnen jedoch damit, dass bereits in wenigen Jahren zumindest in der westlichen Welt mehr Smartphones als herkömmliche Telefone – und auch mehr als Computer – verkauft werden. Zu Nokias Problemen kommt hinzu, dass die Finnen im wichtigen US-Markt kaum vertreten sind.

Verliert Nokia den Anschluss, läuft die langjährige Nummer eins Gefahr, mit der Zeit vor allem auf die Märkte der Entwicklungsländer reduziert zu werden. Dort wächst die Zahl der Mobilfunknutzer zwar explosionsartig – man kann aber vor allem günstige Handys verkaufen, mit denen man weniger Gewinn macht. Hingegen sind Smartphones ein überaus profitables Geschäft. Schon heute macht Apple nach Berechnungen von Experten mit Mobiltelefonen mehr Gewinn als Nokia – muss dafür aber deutlich weniger Geräte verkaufen.

Noch vor wenigen Jahren hielt Nokia zwei Drittel des damals noch kleinen Smartphone-Marktes. Mit der wachsenden Popularität der Hightech-Handys schwand jedoch der Marktanteil der Finnen. Bei mobilen E-Mail-Diensten sind die BlackBerry-Handys von Research in Motion stark. Apple veränderte das Geschäft mit dem Start seines iPhone 2007 mit einem Fokus auf Software und eine einfache Bedienung. Die Stärke von Android ist die Vielzahl der Hersteller, die Telefone mit dem offenen Betriebssystem anbieten.

Nokia versuchte in den vergangenen Jahren immer wieder, bei Smartphones mit der Konkurrenz mitzuhalten. Ähnlich wie bei Apple gibt es zum Beispiel einen Musikdienst und eine Software-Plattform. Doch die Popularität der Dienste und Geräte von Nokia hielt sich in Grenzen. Eine neue Konzernstruktur – die einem neuen Konzernchef möglicherweise einen einfacheren Start ermöglichte – soll unter anderem bei der Beseitigung der Probleme helfen, Nokia hofft aber auch etwa auf das neue Smartphone N8, eine neue Version des Betriebssystems Symbian und eine Kooperation mit dem weltgrößten Chiphersteller Intel, mit dem zusammen das neue Betriebssystem MeeGo entwickelt wird. Mit MeeGo hoffen die Partner, eine Plattform für alle möglichen Arten mobiler Geräte etablieren zu können. (jk)