Polizeitage auf der Suche nach den Cybercops
Der Vorsprung der Cybergangster dürfe nicht mehr wachsen: Fahndung in sozialen Netzwerken, Cloud Computing, Vorratsdatenspeicherung und die Schwierigkeit, fähige Cybercops zu finden und zu halten, beschäftigten die Polizeitage 2011.
Die Veranstaltungsserie der deutschen Polizeitage 2011 startete in Deutschlands Norden mit der Frage nach der "Sicherheit in und mit Informations- und Kommunikationstechnologie". Die Fahndung in sozialen Netzwerken, das Cloud Computing und die Vorratsdatenspeicherung gehörten zu den Themen, die die versammelten Cybercops besonders beschäftigten. Bernhard Witthaut, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, nutzte als Mitveranstalter der Serie den Auftakt zur Kommentierung des aktuellen Cybercrime-Reports und forderte den Ausbau spezieller Service- und Schwerpunktdienststellen für Internetkriminalität. Der Vorsprung der Cyber-Gangster dürfe nicht mehr wachsen.
Zum Start der Polizeitage skizzierte der schleswig-holsteinsche Datenschützer Thilo Weichert seine Vorstellungen von einer Polizeiarbeit im Internet, die das vom Bundesverfassungsgericht definierte Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme der Bürger ernst nimmt. Weichert betonte, dass alle Bestimmungen zu IT-Systemen heutzutage in die Grundrechte hineinspielten und daher besondere Vorsicht geboten sei. Er bezeichnete den Gesetzentwurf des Justizministeriums zur Vorratsdatenspeicherung als vernünftigen Kompromiss und gab sich überrascht, wie sehr der Mix aus einem Quick Freeze-Verfahren und einer 7-tägigen Vorratsdatenspeicherung einem Vorschlagspapier ähnelte, das sein Datenschutzzentrum erarbeitet und an das Ministerium geschickt haben soll. Als größte Herausforderungen nannte Weichert den Persönlichkeitsschutz in sozialen Netzwerken wie Facebook und die zunehmende Abhängigkeit von Smartphones mit ihren Ortungsfunktionen. Er lobte IT-Initiativen der Bunderegierung wie den neuen Personalausweis und – mit Abstrichen – den demnächst startenden De-Mail-Dienst. Auch das neue nationale Cyber-Abwehrzentrum fand seine Zustimmung, wenngleich Weichert meinte, dass von dem dort versammelten Behördenmix die Beachtung des Persönlichkeitsschutzes angemahnt werden müsse. Im Anschluss an den Vortrag des Datenschützers entstand eine rege Diskussion um die Nutzung von Facebook durch die Polizeit, die Weichert vehement ablehnte, da Facebook-Daten in den USA gespeichert würden. Er empfahl den versammelten Polizei-Experten die Nutzung des datenschutzgeprüften StudiVZ, erntete damit aber Unverständnis bei seinen Zuhörern.
Unmittelbar nach seinem Vortrag verschwand der Datenschützer. Er hörte nicht, wie später Ralf Höhs, stellvertretender Direktor des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein, vehement die Vorratsdatenspeicherung mit der Minimalgrenze von 6 Monaten forderte, um danach auch seines Weges zu gehen. Die augenfällige Nicht-Kommunikation von Gegnern und Befürwortern des Entwurfes des Justizministeriums brachte Mitveranstalter Uwe Proll vom Behörden-Spiegel dazu, eine Art vorläufiges Fazit zu ziehen: In Anbetracht der höchstrichterlichen Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung durch EU-Staaten wie Rumänien und Tschechien müsse ohnehin die Evaluierung des Konzeptes abgewartet werden. Sie dürfte zu einem Kompromiss führen, der frühestens Ende 2011 vorgestellt werde. Die landläufigen in Europa verteilten blauen Briefe seien deshalb mehr Staffage als ernsthafte Sanktionen.
In einer Diskussionsrunde und mit insgesamt drei Referaten beschäftigten sich die Polizeitage mit den Cybercops, den Polizisten, die im Internet Streife gehen und Dienste wie Facebook wie ihre Westentasche kennen, weil sie mit ihnen aufgewachsen sind. Das Fazit ist ungefähr seit 10 Jahren bekannt und hat sich seitdem nicht wirklich geändert: Die fähigen Köpfe werden von der Industrie abgeworben und sind nicht für den besonderen Reiz des Beamtentums zugänglich. Gute Pen-Tester bei der Polizei (und dem im Fall von Wirtschaftsspionage zuständigen Verfassungsschutz) würden von Headhuntern umgarnt und von großen Unternehmen einfach besser bezahlt. Die bei der Polizei bleiben, leiden unter Arbeitsüberlastung. Michael Koettlitz von der Gewerkschaft der Polizei schilderte, wie allein in Schleswig-Holstein fünf Dienststellen Probleme haben, mit der Beweissicherung hinterherzukommen. Hoffnung setzen die "Analog Natives" (Koettlitz) auf junge Kräfte, die mit Facebook und Co. aufgewachsen sind.
Tobias Eggendorfer, Professor für Cybercrime an der Hochschule der Polizei in Hamburg, meinte deshalb in seinem Referat, dass die Fachkräftegewinnung der Cybercops direkt auf den höheren Dienst zielen müsse, um effektiv zu sein. Die echten, engagierten Cybercops könne man nach Eggendorfer zudem nur dann im Polizeidienst halten, wenn ein ordentliches Forschungs- und Weiterbildungsangebot für diese IT-Spezialisten existiere. In Hinblick auf die enorme Rechtsunsicherheit beim Cloud Computing müsse man Cloud-Forensik-Spezialisten forschen lassen, die jeweils Netzwerk, Datenspeicher und Arbeitsspeicher eines Systems untersuchen können.
Abseits der Frage nach den richtigen Cybercops wurde der Nutzen und die Grenzen der elektronischen Fußfessel diskutiert. Mittlerweile haben alle Bundesländer den Rahmenvertrag mit Hessen als technische Überwachungszentrale unterschrieben. Die nächsten Iterationen der Polizeitage 2011 thematisieren die Wirtschaftskriminalität, den Gesellschaftswandel und die Auslandseinsätze der deutschen Polizei. (jk)