Schutz kritischer Infrastrukturen auf dem PrĂĽfstand
Unter dem Stichwort "zivile Sicherheit in der Gesellschaft" beschäftigten sich Politiker und Experten mit dem Schutz kritischer Infrastrukturen, der urbanen Sicherheit und der Zukunft einer sicheren Gesellschaft.
Drei Tage lang beschäftigte sich das Innovationsforum des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Stichwort zivile Sicherheit in der Gesellschaft mit dem Schutz kritischer Infrastrukturen, der urbanen Sicherheit und der Zukunft einer sicheren Gesellschaft. Die Konferenz zur "Halbzeit" des deutsch-europäischen Sicherheitsforschungsprogrammes zeigte auch, welche Themen in Zukunft bearbeitet werden müssen. Vor allem muss noch erforscht werden, wie Social Media zur Katastrophenkommunikation wie zur Information und Lagebilderstellung genutzt werden kann.
Was ist, wenn Mitteleuropa ein winterliches Extremwetter bekommt, erst viel Schnee, dann einen präzendenzlosen Frost? Was ist, wenn alle Banken durch einen tief sitzenden Softwarefehler vier Tage offline sind? Was bedeutet es, wenn die Furcht vor Kriminalität zu einer allgegenwärtigen Kontrolle und Überwachung urbaner Räume führt? Mit diesen Themen beschäftigten sich die Experten unter dem Thema "Sicherheit 2025".
Nur ein andersläufiges Szenario war dabei und wurde prompt vehement debattiert und von einigen abgelehnt: "Wie kann ein Flughafen 2025 aussehen, wenn nicht der Schutz vor allen möglichen Bedrohungen, sondern Unsicherheit als Kernbestandteil des Lebens in der Bevölkerung akzeptiert ist?" Für Sicherheitsexperten ist undenkbar, wenn dank einer "Unsicherheitsakzeptanz" Körperscanner und das Sicherheitstheater beim Check-In abgeschafft würden. Das Flughafenszenario, das vom Zukunftsforscher und Kybernetiker Karlheinz Steinmüller vorgestellt wurde, zeigte die Grenzen der Innovationsforschung auf, verwies es doch auf ein Szenario, in dem die Sicherheitsforschung selbst zurückgebaut werden kann.
In zwei Abschlussrunden am letzten Tag wurde deshalb die Politik auf die Bühne gebeten, die in der Gesellschaft die Spielräume als Gesetzgeber definiert. Hans-Peter Uhl, sicherheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, verwies auf das Beispiel der Vielflieger, die sich durch zusätzliche Maßnahmen wie bei der deutschen automatisierten biometriegestützten Grenzkontrolle das Leben erleichtern könnten. Diese Form des Schnell-Check-Ins soll auf dem künftigen Willy-Brandt-Flughafen in Berlin eingesetzt werden.
Frank Tempel, drogenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, verwies auf die Bürgergesellschaft und das Ehrenamt, das kriminellen Schreckensszenarien entgegengesetzt werden müsse. Die viel belästerte Vereinsmeierei in Deutschland sei eben auch eine Möglichkeit, straffällig gewordene Jugendliche über Fußballverein und THW und Feuerwehr wieder zurückzuholen, wenn sie nicht durch staatliche Budgetkürzungen ausgetrocknet würde.
Zum Schulterschluss beider Politiker kam es, als ein Vertreter des Bundesinnenministeriums vorschlug, zwei Klassen der Flughafensicherheit einzufĂĽhren, eine fĂĽr Billigflieger ohne jegliche Sicherheit, eine fĂĽr Fluglinien mit einem guten Namen, denen der Schutz vor Terror wichtig sei. Uhl und Tempel lehnten beide ein solches Zweiklassensystem energisch ab.
In der zweiten Abschlussrunde entwickelte sich ein munteres Geplänkel zwischen Konstantin von Notz, dem netzpolitischen Sprecher der Grünen und Jürgen Stock, dem Vizepräsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), sowie Wolf-Dieter Lukas, im BMBF verantwortlich für das Sicherheitsforschungsprogramm. Notz kritisierte Entwicklungen wie die Einführung von Körperscannern an Flughäfen und das INDECT-Programm. Lukas konterte, indem er das BKA ausdrücklich dafür lobte, dass es sich bei INDECT (PDF-Datei) wegen der Datenschutzproblematik nicht beteiligt habe.
In puncto Körperscanner verwies Lukas auf die Testläufe, die Deutschland als einziges Land durchgeführt habe: "Wir richten uns nicht an der Sicherheit aus, sondern am Bürger. So schlecht waren wir da nicht." Von Notz kritisierte daraufhin die Vorratsdatenspeicherung als Technik, die nicht verfassungskonform umgesetzt werden könne, aber zu einer Debatte geführt habe, bei der ganz andere wichtige Dinge außer Sicht gerieten. Ihm entgegnete BKA-Vize Stock: "Wir haben hoch konspirative Tätergruppen, die mit moderner Verschlüsselung arbeiten, wo die Vorratsdatenspeicherung oftmals der einzige Ermittlungsansatz bleibt. Wir glauben, das Instrument zu brauchen, wir glauben, dass es effektiv ist." Tempel, vor seiner Arbeit für die Linksfraktion ein auf Vernehmungstechniken spezialisierter Kriminalkommissar, erklärte die Vorratsdatenspeicherung aus ermittlungstechnischer Sicht für vernünftig, doch sei sie absolut nicht verhältnismäßig und keineswegs grundrechtsschonend einsetzbar.
In einem Fazit des Innovationsforums, das im Mai 2014 wiederholt werden soll, verwies Lukas auf die Rolle der sozialen Medien. Die Frage, wie die dort auflaufenden Informationen genutzt werden können, seien im bisherigen Sicherheitsforschungsprogramm zu kurz gekommen. Diese Selbstkritik galt freilich nicht dem Kongress der Sicherheitsexperten, der mehrere Gesprächskreise zu diesem Thema auf der Agenda hatte.
Peer Rechenbach, oberster Katastrophenschützer Hamburgs, machte darauf aufmerksam, wie neue Technik alte Systeme ersetzen. So hätten Schneesturm-Meldungen via Twitter in Schottland längst den Wetterbericht abgelöst. "So viele Hubschrauber, wie Helmut Schmidt 1962 einsetzen konnte, haben wir in der ganzen Republik nicht mehr." Man müsse in solchen Mangelsituationen auf Twitter als Frühwarnsystem und Instrument für eine präzise Beurteilung der Lage setzen. Rechenbach trat dem Argument entgegen, dass dann bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen seien. "Die Oma hat ein Internet-Medium und das ist ihr Enkelkind." Am Ende durften sich die über 600 in Berlin versammelten Sicherheitsforscher über neue Forschungsfelder gefreut haben. (anw)