Staatsanwaltschaften verweigern Provider-Abfragen zu IP-Adressen
Mehrere Staatsanwaltschaften halten es für nicht gerechtfertigt, die Person hinter der IP-Adresse eines mutmaßlichen Tauschbörsennutzers beim Provider zu erfragen. Sie weigern sich mit rechtlichen Mitteln.
Ein Bericht von heise online über den Beschluss des Amtsgerichts Offenburg zur Ermittlung von Tauschbörsennutzern durch Strafverfolgungsbehörden hatte für einiges mediales Echo gesorgt. Mittlerweile liegen der Redaktion ältere Beschlüsse von Staatsanwaltschaften vor, die in eine ähnliche Richtung weisen. Von einer Einzelfallentscheidung kann demzufolge nicht mehr ausgegangen werden.
Das Amtsgericht (AG) Offenburg hatte der dort ansässigen Staatsanwaltschaft wegen "offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit" am 20. Juli untersagt, eine Provider-Anfrage zur Ermittlung der persönlichen Daten mittels der IP-Adresse eines mutmaßlichen Tauschbörsennutzers zu stellen. Das Anbieten von wenigen urheberrechtlich geschützten Musikstücken per Tauschbörsen-Client sei "der Bagatellkriminalität zuzuordnen".
Dass das badische Gericht mit seiner Ansicht keineswegs allein dasteht, belegt ein ausführliches Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Celle vom 20. Februar 2007, das heise online mittlerweile vorliegt. Mit dem Brief antwortete man auf eine Beschwerde der durch Massenstrafanzeigen bekannt gewordenen Rechtsanwaltskanzlei Schutt-Waetke. Diese hatte zuvor bei der Staatsanwaltschaft Hannover eine riesige Zahl von Strafanzeigen gegen mutmaßliche Tauschbörsennutzer gestellt, die urheberrechtlich geschützte Musik zum Download angeboten haben sollen. Weil sich die Staatanwaltschaft weigerte, bei Providern die Personen hinter den eingereichten IP-Adressen zu ermitteln, beschwerte sich die Kanzlei Schutt-Waetke bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle als zuständige Aufsichtsbehörde.
Diese wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Sie befand die Begründung der Hannoveraner Staatsanwaltschaft, nach der ein ernstliches Strafverfolgungsinteresse der Mandantin von Schutt-Waetke fraglich sei, als zutreffend. Es liege kein zur Aufnahme von Ermittlungen notwendiges öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vor, denn durch die Verfehlungen der mutmaßlichen Tauschbörsennutzer "ist der Rechtsfrieden über den Lebenskreis Ihrer Mandantin hinaus nicht gestört".
Überdies seien die Verfehlungen "unbedeutend". Ein beträchtlicher Schaden sei nicht konkret nachgewiesen worden. Die Generalstaatsanwaltschaft führt an, dass man "es bedauern mag", dass den Urheberrechtsinhabern von Gesetzes wegen kein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch gegenüber den Providern eingeräumt ist. Es könne deshalb aber "nicht erwartet werden, dass Versäumnisse des Gesetzgebers in anderen Bereichen in jedem Bagatellfall durch die Strafverfolgungsbehörden mit ihren knappen Ressourcen aufgefangen werden".
Deutlicher noch wurde in einem ähnlich gelagerten Fall die Berliner Staatsanwaltschaft. Sie verweigerte einer Rechtsanwaltskanzlei Provider-Anfragen, als diese 9186 IP-Adressen per Strafanzeige zur Ermittlung übergab. Die Kanzlei beschwerte sich daraufhin sowohl bei der Berliner Generalstaatsanwaltschaft als auch bei der Justizsenatorin des Landes.
Auch die ausführliche Begründung der Berliner Staatsanwaltschaft vom 18. Oktober 2006 liegt heise online anonymisiert vor. Die Staatsanwaltschaft warf den Rechteinhabern vor, "unter dem Deckmantel vorgeblicher Strafverfolgung die zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erforderlichen Personaldaten unentgeltlich unter Einsatz beschränkter Strafverfolgungsressourcen und finanziell zu Lasten des Berliner Landeshaushaltes beschaffen" zu wollen. Auch die Berliner Staatsanwaltschaft erkannte kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Es handle sich ausnahmslos um Bagatellstraftaten.
Ahnlich wie das AG Offenburg setzte sich auch die Berliner Staatsanwaltschaft mit dem angegebenen Schaden durch die Tauschbörsen-Uploads auseinander. Dieser sei entgegen den Aussagen in den Strafanzeigen als "unbedeutend" anzusehen. Deshalb müsse der Gesichtspunkt der "geringen Schuld" ohne Aufnahme von Ermittlungen zur Verfahrenseinstellung führen.
Außerdem handle es sich bei der "Entschlüsselung von IP-Adressen" oder bei Durchsuchungsbeschlüssen um Grundrechtseingriffe, die dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit unterliegen. Dieses gebiete, zu den vorgelegten Strafanzeigen keine derartigen Ermittlungen durchzuführen. Auch hier führt die Staatsanwaltschaft die Motivation der Rechteinhaber ins Feld: "Ermittlungen auf strafrechtlicher Grundlage, die Grundrechtseingriffe nach sich ziehen, dürfen nicht aus sachfremden Erwägungen – wie etwa allein zur Beschaffung von Beweismitteln für ein Zivilverfahren – geführt werden." (hob)