Terror-Anschlag in Paris: De Maizière für Löschung von Youtube-Videos
Der Anschlag in Paris auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo sorgt weltweit für Bestürzung. Der deutsche Innenminister will, dass Youtube Aufnahmen des Anschlags löscht. Mittlerweile gab es Verhaftungen - und viel Solidarität mit Charlie Hebdo.
Nach dem Terror-Anschlag auf die Redaktion des französischen Satire-Magazins Charlie Hebdo in Paris hat Innenminister Thomas de Maizière (CDU) an das Internet-Videoportal YouTube appelliert, besonders schlimme Aufnahmen der Tat wieder zu entfernen. "Vieles kann man bei YouTube sehen", sagte de Maizière am Mittwoch in Berlin. "Und nicht alles, was jetzt irgendwie dort bisher eingestellt ist, sollte vielleicht dort bleiben."
Bei dem Anschlag mutmaßlicher Islamisten auf die Redaktionsräume der Wochenzeitung "Charlie Hebdo" wurden am Vormittag mindestens zwölf Menschen getötet. Es gab mehrere Schwerverletzte, Staatspräsident François Hollande sprach von einem terroristischen Akt. Staatsanwalt Francois Molins sprach von "mindestens zwei" Tätern. Ein Augenzeuge habe drei Angreifer ausgemacht.
Zeugen zufolge drangen schwarz vermummte Männer mit Kalaschnikows in die Redaktionsräume ein und schossen kaltblütig um sich. Die Terroristen riefen "Allah ist groß" und "Wir haben den Propheten gerächt". "Sie sprachen perfekt Französisch", sagte die Zeichnerin Corinne Rey, die den Anschlag überlebte, der Zeitung l'Humanité. Dabei hätten sie behauptet, zur Terrororganisation Al-Kaida zu gehören. Der Überfall habe etwa fünf Minuten gedauert; sie habe unter einem Schreibtisch Deckung gesucht.
"Abstrakt hohe" Gefährdung
Im Internet kursieren von einem Dach aufgenommene Videos von der Straße vor dem Redaktionsgebäude im Pariser Osten. Darauf ist zu sehen, wie einer der vermummten Täter mit einem Schnellfeuergewehr auf einen bereits auf dem Bürgersteig liegenden Polizisten zugeht und ihn ermordet. Auf Fernsehbildern war ein Polizeiwagen mit Einschusslöchern zu sehen. Unter den Toten sind Redaktionsleiter Charb alias Stéphane Charbonnier sowie sein Leibwächter. Der Karikaturist Charbonnier stand auf einer "Fahndungsliste" der Al-Kaida.
Als Reaktion auf den Anschlag verschärften Länder wie Italien die Sicherheitsvorkehrungen für Medien. In Deutschland sehen Sicherheitskreise keine Anzeichen für erhöhte Terrorgefahr; es herrsche eine "abstrakt hohe" Gefährdung. Für die Deutsche Polizeigewerkschaft ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis es auch in Deutschland einen Anschlag gebe. Angriffe fanatischer Einzeltätern seien nicht zu verhindern, sagte ihr Vorsitzender Rainer Wendt.
"Je suis Charlie"
Im Netz haben hunderttausende Nutzer ihre Trauer und Bestürzung zum Ausdruck gebracht. Die offizielle Facebook-Seite des religionskritischen Satire-Magazins verzeichnete am Mittwoch einen sprunghaften Anstieg von "Gefällt mir"-Bekundungen. Zehntausende Twitterer bekundeten auf dem Kurznachrichtendienst ihre Solidarität mit den Opfern etwa unter dem Stichwort (Hashtag) #CharlieHebdo oder #Hebdo.
Manche teilten lediglich drei Worte in großen Lettern: "Je Suis Charlie" (Ich bin Charlie). Auch eine Karikatur des Cartoonisten Robert Mankoff vom amerikanischen Magazin The New Yorker wurde vielfach geteilt. Über einem komplett leeren Feld heißt es in zwei Zeilen übersetzt "Bitte genießen Sie diesen kulturell, ethisch, religiös und politisch korrekten Cartoon verantwortungsvoll".
Charlie Hebdo hatte wegen Mohammed-Karikaturen mehrfach den Zorn von gläubigen Muslimen erregt. Im November 2011 gab es nach der Veröffentlichung einer "Scharia"-Sonderausgabe mit einem "Chefredakteur Mohammed" einen Brandanschlag auf die Redaktionsräume. Die Internetseite war zudem mehrfach von Hackern angegriffen worden.
[Update 08.01.2015 08:36]:
Verhaftungen
Im Zusammenhang mit dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo hat die Polizei mehrere Verdächtige festgenommen. Das gab der französische Premierminister Manuel Valls am Donnerstag bekannt.
Französische Medien berichteten von sieben Festnahmen. Unklar blieb zunächst, wo die Männer und Frauen am späten Mittwochabend festgenommen wurden.
Die Polizei sucht als Hauptverdächtige die beiden Brüder Chérif (32) und Said K. (34). Der nach dem Anschlag ebenfalls gesuchte 18 Jahre alte Schwager der beiden Brüder hat sich am Mittwochabend der Polizei gestellt. Er soll seine Unschuld beteuern.
Die Ermittler veröffentlichten am Donnerstag auch Fahndungsinformationen. Die mutmaßlichen Täter sind polizeibekannt. Der jüngere der beiden Brüder, Chérif K. (32)m hat nach Berichten französischer Medien bereits ein Vorleben als Islamist. Er wurde 1982 in Paris geboren. Er soll Teil einer nach dem städtischen Park "Buttes-Chaumon" genannten Verbindung gewesen sein, die in Frankreich Dschihadisten für den Kampf im Irak angeheuert haben soll. Kurz bevor er sich absetzen konnte wurde er verhaftet und 2008 zu drei Jahren Haft verurteil, von denen 18 Monate zur Bewährung ausgesetzt wurden. Zwei Jahre später wurde sein Name im Zusammenhang mit einem Befreiungsversuch eines inhaftierten Mitglieds einer islamistischen Gruppe genannt.
Auch der ältere Bruder, Said K. (34), ist als französischer Staatsbürger im zehnten Arrondissement von Paris geboren. Im Zusammenhang mit den Aktivitäten seines jüngeren Bruders soll auch Said K. 2010 im Visier der Ermittler gewesen sein. Dabei sollen sich keine Erkenntnisse ergeben haben.
Tag der nationalen Trauer
Nach dem Mordanschlag von Paris mit zwölf Toten hat in Frankreich am heutigen Donnerstag ein Tag der nationalen Trauer begonnen. Präsident François Hollande forderte die Franzosen zu einer Gedenkminute am Donnerstagmittag auf. Sein Premier Manuel Valls bat Unternehmer, dies den Angestellten zu ermöglichen.
Zur gleichen Zeit will die Nationalversammlung an die Opfer des Anschlags auf Charlie Hebdo mit einer Zeremonie erinnern. An der berühmten Kathedrale Notre-Dame im Herzen von Paris sollen zum Gedenken die Glocken läuten.
Hollande berief für den Morgen eine weitere Sondersitzung des Kabinetts ein. Außerdem will er führende Oppositionspolitiker treffen, darunter den UMP-Chef und Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy.
Frankreich in der Krise
Die Horrortat stürzt das ohnehin angeschlagene Land in eine tiefe Krise. Viele Franzosen schauen sowieso alles andere als freudig ins neue Jahr. Die Wirtschaft steckt fest im Sumpf, Reformen sind umstritten und der sozialistische Präsident François Hollande ist so unpopulär wie kein Staatschef vor ihm.
Hinzu kommt: Die Integration von Ausländern ist ein heißes Eisen. Das Verhältnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen ist so angespannt wie lange nicht. In Frankreich leben fünf Millionen Muslime, viele von ihnen in den vernachlässigten Vorstädten. Dort sind fast die Hälfte der Menschen arbeitslos. Der Frust lässt junge Muslime nach Alternativen suchen. Angeblich haben sich etwa 1000 junge Franzosen der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen.
Politische Beobachter befürchten nun, dass das Attentat die Spaltung im Land vertieft und die Ressentiments gegenüber Muslimen stärker werden. Der Grüne Daniel Cohn-Bendit erklärt bereits: "Das hat mit dem Islam nichts zu tun." Er wertet es positiv, dass sich auch muslimische Verbände in Frankreich von der Tat distanziert hätten. Trotz allem könnte die Tat dem rechtsextremen Front National von Marine Le Pen weiter Auftrieb geben. Die Politikerin erklärt bereits am frühen Abend: Es sei klar, dass islamische Fundamentalisten den Anschlag verübt hätten.
Solidarität
Hollande will gegensteuern. Er fordert die Franzosen auf, angesichts des Terrors zusammenzustehen. Nicolas Sarkozy, Vorgänger Hollandes als französischer Präsident und mittlerweile wieder Parteichef der konservativen UMP, stößt ins selbe Horn wie Hollande und fordert die Franzosen auf, gegen diese "Barbarei" aufzustehen.
Auf der Place de la République mitten in Paris, unweit des Tatorts, kommen am späten Mittwochabend spontan tausende Menschen zusammen. Es sind viele Spruchbänder und Plakate mit der Aufschrift "Nous sommes Charlie" (Wir sind Charlie) zu sehen. Die großen Medienhäuser wollen alles tun, damit Charlie Hebdo weiterleben kann. Mehrere Zeitungen drucken am Donnerstag eine fast schwarze Seite Eins. Die eher linke "Libération" schreibt auf schwarzem Grund: "Nous sommes tous Charlie" (Wir sind alle Charlie). Die konservative Zeitung "Le Figaro" titelt: "La Liberté assassiné" (Die ermordete Freiheit).
Kritik
Aber es gibt trotz aller Empörung auch Kritik an Charlie Hebdo. In der britischen "Financial Times" schreibt Chefredakteur Tony Barber über die "Unverantwortlichkeit" des Satireblatts. Zwar sei Frankreich das Land von Voltaire, doch bei Charlie Hebdo seien zu häufig unverantwortliche redaktionelle Entscheidungen getroffen worden. Auch Cohn-Bendit spricht von einem "radikalen, antiklerikalen Blatt", das längst nicht nur Freunde hatte.
Das Magazin wollte sich nie den Mund verbieten lassen. Unzählige Prozesse hatte das Blatt etwa mit der katholischen Kirche ausgetragen. 2006 druckte Charlie Hebdo die hochumstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen und legte selbst nach. Bereits im November 2011 waren nach der Veröffentlichung einer "Scharia"-Sonderausgabe mit einem "Chefredakteur Mohammed" die Redaktionsräume in Flammen aufgegangen.
Redaktionsleiter Charb sagte einmal im Interview: "Ich ziehe es vor, mit erhobenem Haupt zu sterben, als auf den Knien zu leben." In der Ausgabe vom Dienstag ist ein Cartoon, auf dem ein islamistischer Terrorist mit einer umgehängten Kalaschnikow auf dem Rücken zu sehen ist, der sagt: "Noch immer kein Attentat in Frankreich, aber man darf sich ja bis Ende Januar was wünschen." (axk)