US-Softwarebranche distanziert sich von Zensurgesetz
Die Business Software Alliance sorgt sich, dass die geplanten weitreichenden Anti-Piraterie-Maßnahmen mehr schaden als nutzen könnten. Hinter der Kehrwende des Verbands soll Microsoft stecken.
In den USA wächst der Widerstand gegen ein geplantes neues Gesetz gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet. Ein großer Verband der US-Softwareindustrie, ursprünglich ein Befürworter des "Stop Online Piracy Act" (SOPA), ist vorsichtig auf Distanz gegangen. Die Business Software Alliance (BSA) macht sich Sorgen, dass die mit SOPA geplanten weitreichenden Anti-Piraterie-Maßnahmen wirtschaftlichen Schaden verursachen und Grundrechte verletzen könnten.
Nach der ersten Beratung der Gesetzesvorlage im Justizausschuss des Repräsentantenhauses sei klar, dass "der Ausschuss noch viel Arbeit hat", schrieb BSA-Chef Robert Holleyman in einem Blogbeitrag. In seiner derzeitigen Form erfasse das Gesetz mehr als die anvisierten schweren Verstöße, die Tatbestände müssten klarer definiert werden, auch um "unbeabsichtigte Auswirkungen" auf Grundrechte zu verhindern. "Die Grundrechte auf ein faires Verfahrens, auf Meinungsfreiheit und den Schutz der Privatsphäre dürfen nicht angetastet werden", betont Holleyman. "Die BSA steht seit Langem gegen die Filterung und Überwachung des Internets."
Das neue Gesetz soll effektiver gegen die oft nicht im Bereich der US-Jurisdiktion gehosteten Websites wirken, die sich der illegalen Verbreitung urheberrechtlich geschützten Materials widmen. Weil die Betreiber in der Regel nicht direkt zur Verantwortung gezogen werden können, setzt das Gesetz an anderer Stelle an: der Internetwirtschaft. Provider können laut dem Vorschlag gerichtlich gezwungen werden, den Zugang zu den fraglichen Websites zu sperren – auch auf DNS-Ebene. Suchmaschinen müssten Verweise auf solche Seiten aus ihren Indizes tilgen. Darüber hinaus erlaubt das Gesetz den Behörden, an die Geldquellen der Websites zu gehen und Auszahlungen durch Finanzdienstleister und Werbenetzwerke zu unterbinden.
Die betroffenen Branchen fürchten, dass mit diesem Gesetz das rechtliche Risiko vor allem für kleinere und junge Unternehmen unkalkulierbar wird – und damit Innovationen verhindert werden könnten. "All solche Bedenken müssen ernsthaft bedacht werden", mahnt der BSA-Chef in Richtung US-Kongress. Dass der Verband nun auf Distanz geht, ist allerdings etwas überraschend: Ende Oktober hatte die BSA den bei SOPA federführenden republikanischen Abgeordneten Lamar Smith anlässlich der Vorstellung des Vorhabens noch ausdrücklich beglückwünscht.
US-Medienberichten zufolge soll BSA-Mitglied Microsoft nach der Lektüre der Vorlage maßgeblich darauf hingewirkt haben, dass der Verband auf Distanz geht. Auch andere Unternehmen der IT-Branche sollen inzwischen ihre Unterstützung für SOPA zurückziehen und stattdessen den vergleichbaren Vorschlag für den "Protect IP Act" bevorzugen, der derzeit im US-Senat liegt. Dieser Vorschlag sieht zwar auch Zugangssperren gegen Webseiten bevor, geht dabei aber nicht ganz so weit wie SOPA und verzichtet auf einen Netzeingriff auf IP- oder DNS-Ebene.
Kritiker der geplanten Gesetze in den USA sehen sich unterdessen durch eine Resolution des Europäischen Parlaments und ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofes gestärkt. Der EuGH hatte am Donnerstag entschieden, dass eine präventive Überwachung des gesamten Netzverkehrs durch einen Internetprovider nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Zugangsanbieter dürften nicht gezwungen werden, den Datenverkehr in ihren Netzen auf rechtswidrige Inhalte zu kontrollieren und zu filtern. Damit kippte der EuGH die Entscheidung eines belgischen Gerichts, das einen Provider auf Klage der Verwertungsgesellschaft Sabam angewiesen hatte, Urheberrechtsverletzungen an Werken aus dem Sabam-Repertoire zu unterbinden. (vbr)