4W

Was war. Was wird.

Man möchte flüchten vor all den Borderline-Rassisten und ihren Stangenhaltern, grummelt Hal Faber. Beeilen wir uns also, uns selbst abzuschaffen. Dann soll die Obrigkeit mal sehen, was sie davon hat. In Schwaben oder sonstwo.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 74 Kommentare lesen
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Und wenn die Leute fragen,
lebt der Hecker noch?
Dann sollt ihr ihnen sagen,
ja, er lebet noch.

Er hängt an keinem Baume,
er hängt an keinem Strick,
sondern an dem Traume der freien Republik.

Man sagt ja, und das nicht erst seit 1848, den Badenern eher einen rebellischen Charakter nach als ihren schwäbischen Nachbarn, die sparsam und zufrieden als recht obrigkeitshörig gelten. Doch wenn es denn die Obrigkeit zu weit treibt, dann wird es auch den Schwaben zu bunt. Und dann guckt diese Obrigkeit recht dämlich aus der Wäsche und versteigt sich zu Unsinnigkeiten, die die Schwaben erst recht bis aufs Blut reizen. Wenn Kommunikationslücken von radikalisierten Mengen genutzt werden, dann mag mancher aus der Obrigkeit schon "die Grenzen des demokratischen Protests überschritten" sehen. Andere sehen dagegen gerade in solchen Sprüchen die Grenzen überschritten. Dabei geht es nur um etwas, was in einer Demokratie normal sein sollte: Dass die Bürger jederzeit ihre Unzufriedenheit mit der Obrigkeit artikulieren können – bis dahin, eben diese Obrigkeit zum Teufel zu jagen. Da sehe sich die Obrigkeit doch vor – und begreife, dass sie dem Bürger dient und nicht der Bürger der Obrigkeit. Sonst könnten sich die Schwaben an die zweite Strophe des Heckerlieds erinnern, was sich dann doch niemand wünscht, auch nicht die entschiedensten Gegner der gegenwärtigen Obrigkeit.

*** Abseits aller leicht historischen Exkurse zu aktuellen Aufregungen aber sollte eigentlich an dieser Stelle eine kleine Lästerei vom Rande der norddeutschen Tiefebene stehen, ein Gruß aus der Post-Oil-City Hannover, die Stadt der Roten Punkte, in der die Bürger im Farbrausch ihren Beton verzieren, bis das Ihme-Zentrum wie eine große Nana aussieht. Die Stadt, in der Druckertinte von Kennern geschlürft wird, der Nabel der IT, jedenfalls, was getwitterte Verlinkungen anbelangt. Doch aus besonderem Anlass muss Hannover heute Hamburg den Vortritt lassen, wenn auch nur für *einen* Satz aus einem Brandbrief kritischer Polizisten, zur geistigen Situation der Zeit:

Wenn es weder zu Nachdenklichkeit, zu Einsicht noch zu Selbstkritik – geschweige denn zu Änderungsbereitschaft – führt, wenn oberste Gerichte Entscheidungen und Handlungen der Behördenleitung und Polizeiführung mehrfach als verfassungswidrig bezeichnen (Videoüberwachung, Online-Durchsuchung, Kennzeichenlesegerät, Laufbahnverlaufsmodell) in Fortsetzung Schillscher Tradition mit einer Gewerkschaft und einem Berufsverband ein Kartell des Schweigens über Probleme der inneren Sicherheit und die Verfasstheit der Polizei besteht, in panischer Angst vor kritischer Berichterstattung der Medien kein Problem und kein Missstand intern mehr diskutiert wird und z.B. schwierige Großeinsätze aus dieser Angst heraus nicht mehr selbstkritisch nachbearbeitet werden, von Schill über Nagel bis Ahlhaus fragwürdige Machtkonzentration betrieben wird, die jede Form der kooperativen Führung zwar noch lehren lässt, sich aber nicht schämt, sie in der Polizei mit Füßen zu treten und Mitarbeiter und mittlere Vorgesetzte als widerspruchslose Befehlempfänger herabzuwürdigen, Amts- und Behördenleitung sich mehr Gedanken über die Beschaffung von Pferden, als über die Zukunftsfähigkeit der Polizei machen und nicht davor zurückschrecken, die Öffentlichkeit über die Kosten und die tatsächliche Nutzungsmöglichkeiten der Reiterstaffel zu täuschen, zu Zwecken der persönlichen Denkmalpflege ein Kriminalmuseum eingerichtet und ausgestattet werden soll, das haushaltsrechtlich fraglich ist und mit den Sparzwängen im Haushalt nicht vereinbar ist, die Koalition die im Koalitionsvertrag vorgesehene Überprüfung der Schillschen/Nagelschen Organisationstrukturen dem parteipolitischen Machtgeschacher opfert, eine Regierungspartei die Polizei als ihr Eigentum betrachtet und behandelt und die andere Partei zwar über aber nicht mit der Polizei redet und im Übrigen keinen Anspruch auf Mitgestaltung erhebt, dann besteht Anlass zur Sorge um die Zukunftsfähigkeit der Polizei Hamburg, die Qualität der polizeilichen Arbeit und vor allem um die demokratische Werthaltung der Polizisten.

Abgesehen von der Reiterstaffel, die man andernorts durch eine Suchhamstertruppe ersetzen kann, drückt der Brandbrief eine Situation aus, die nicht nur bei der Polizei anzutreffen ist. Landauf, landab wird Teamwork und vernetztes Denken gefordert, wird vom lebenslangen Lernen geschwärmt und der flexible Mensch gepredigt, doch wenn es ans Herrschen geht, dann wird Demokratie so klein geschrieben, dass sie in einer Hamsterbacke Platz hat. Stattdessen hagelt es technokratische Lösungen wie Videoüberwachungen und Online-Durchsuchungen oder wie den Bildungschip und die mit ihm kommende ungeheure Kommerzialisierung des Nachhilfemarktes und anderer Dinge, die mit ihm abgerechnet werden. Das ist dann Deutschland, in dem von den Armen jedes Detail bekannt ist und man über die Reichen nur Vermutungen anstellen kann: Ein Land guckt weg.

*** Deutschland, das Land der Dichter und Denker und der Bild-Zeitungsleser schafft sich selbst ab. Diese Behauptung stammt nicht von der Bertelsmann-Chefin Liz Mohn, sondern vom Borderline-Rassisten Thilo Sarrazin, der eine Kampfschrift im Bertelsmann-Imperium veröffentlicht hat. Sarrazin ist ein Bundesbank-Vorstand und ein SPD-Mitglied, gestützt wird seine Sülze jedoch von Bild-Zeitung und Roland Koch: Deutschland wird immer dümmer. Denn Deutschland merkt nicht, wie Sarrazin die Suppe von Hans Eysenck aufkocht und sein Traktakt mit dem Rassismus von William Shockley anreichert, dem die IT sonst viel verdankt. Man ersetze nur die Schwarzen durch die Türken, dann hat man den ganzen Sarrazin und die Fäulnis. Ein paar modische Verdrehungen und Fälschungen wie die von den kinderlosen Akademikerinnen und fertig ist der Westentaschen-Wilders. Bemerkenswert, dass neben Bild und Koch einzig der "Focus" dem Scharfmacher die Ehrenstange hält. Dann wäre da noch das "ehemalige Politikmagazin", der "Spiegel", der allen Ernstes von einem Meinungsbeitrag Sarrazins spricht. Hamburger Machtgeschacher, ganz ohne Polizei. Gegen das volksverhetzende nationalistische Machwerk eines Besessenen hilft die Losung Freiheit statt Angstmacherei in jenem Berlin, das Sarrazin finanzsanierte.

*** Auch das ist Deutschland, ein Land, in dem multiethnische Kinder abgestraft werden und die Botschaft von Gerichts wegen lautet, dass HIV-Positive Schuld sind, basta. Dass alle Sorge tragen müssen, wird verdrängt, die Kondomkampagne Machs mit wird verhöhnt, wenn nur den HIV-Positiven die Schuld aufgeladen wird. Vor diesem Hintergrund geht der Blick nach Schweden, wo seit einer Woche über einen promiskuitiven Prominenten diskutiert wird, der sich der Verantwortung entzogen hat. Im Geflecht der Mutmaßungen und Teilwahrheiten über den Wikileaks-Sprecher Julian Assange spielt die Frage nach einem HIV-Test Assanges bald eine wichtige Rolle. Es entbehrt nicht der Ironie, dass jemand, der für Wikileaks den Kopf hinhalten soll und auf Verhaftungen vorbereitet ist, mit dem Schwanz an seine Grenzen stieß. So trübt sich die heile Welt der Whistleblower-Bewunderer, die sich über Wikileaks Daily informieren. Derweil zeichnet sich ab, dass Wikileaks mit seinem zweiten Sprecher eine gemäßigte Variante der Öffentlichkeitsarbeit praktiziert, bei der die Kritiker nicht pauschal als Idioten verunglimpft werden. Denn zu den beängstigenden Vorstellungen von Wikileaks gehörte die Präsentation der Afghanistan-Dateien mit einem Assange, der wirkte, als sei er nicht mit den veröffentlichten Daten vertraut.

*** Huch, ausgerechnet Tobias Huch, ein deutscher Unternehmer für "instinktorientierte Internet-Angebote", hat eine Datenpanne bei der Drogeriekette Schlecker aufgedeckt. 150.000 Datensätze von Online-Kunden und 7,1 Millionen Mail-Adressen will Huch im Zugriff gehabt haben. Der Fall hat Aufsehen erregt, ohne dass die Öffentlichkeit groß darüber diskutiert, welche Daten da womöglich abgegriffen wurden: Zu Schlecker gehört die niederländische Versandapotheke Vitalsana, für die es in Schlecker-Läden ein Pick-Up-System gibt. Begleitet wird das Angebot von einem ominösen Massenmailer der "Stehkraft Hilfe", die Medikamente bewirbt, die unter dem Kondom für die richtige Härte sorgen. Wer immer neben Huch und seinen instinktorientierten Kunden Interesse an den Schlecker-Daten hatte, wird diese nutzen, um den ganzen Viagra- und Cialis-Spam auf neue Höhen zu schrauben. Wobei zum richtigen Mast eigentlich auch der Fahnenflaggen-Spam gehört – und so passt die Meldung aus Kanada in diese kleine Wochenschau, dass der höchste Mast in Nordamerika von Pfizer und Eli Lilly gesponsert werden soll. Tja, was sind dagegen schon die 8 Supermasten in unserer norddeutschen Tiefebene bei Saterland?

Was wird.

Instinktorientiert schweift der Blick in die Zukunft. Mehr Regen, mehr Reparaturen, so sieht es aus. "Repair – sind wir noch zu retten?" lautet das endlich zeitgemäße Motto der kommenden Ars Electronica, komplett mit Rettungsring. Die einfache Antwort lautet "Nein", denn auf lange Sicht stirbt der Mensch aus und zwar nicht nur der Deutsche, wie Sarrazin befürchtet. Auch die reparierenden Österreicher erwischt es. Auf den Almen wird nicht mehr gejodelt und in den sozialen Netzwerken ist es still. Der letzte fruchtbare Samen ergießt sich in eine Schaumschwester, einer Spezies, die sich seit der Alma-Puppe von Kokoschka fortentwickelt hat, genau wie die Computer. Das hatte schon Vorteile, wie die prä-feministische Hedy Lamarr erkannte, als sie ihrem Liebhaber einen Puppen-Nachbau ihrer selbst schenkte, der immer zu Diensten war: Während ihr Mike sich mit der Hedy-Puppe vergnügte, konnte sie sich in Ruhe der Technik der Funkfernsteuerung und des Frequenzwechsels widmen. In ihrer Autobiographie beschrieb sie nüchtern, wie entspannend es sein kann, dem Manne beim Sex mit dem eigenen Ebenbild zuzusehen. Das Make-Up wird nicht ramponiert, ein echter Fortschritt. Sind wir also zu retten? Die komplizierte Antwort lautet "Ja". Wir basteln weiter, debuggen und reparieren unentwegt, trotz alledem. Wie wäre es mit einer stehkräftigen Windenergieanlage aus Ockhams Rasiermessern? Aber nur entspannt bleiben, es könnte auch Dir passieren. (jk)