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Was war. Was wird.

Ach, Fähnchen. Manche schwenken sie, manche hängen sie in den Wind, bedauert Hal Faber. Und manch Überwachungsexeget oder auch Urheberrechtsdiskutant hat schon längst die Grenze zur Alters- oder auch Jugendnarrheit überschritten.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** April! April! April! Der mitfühlende Liberalismus feiert einsame Triumphe. Wenn am Montag die "Schlecker-Frauen" ihre Arbeitssuche im Tagespendelbereich beginnen, bekommen sie kleine gelbe Original-Fähnchen zur Anschlussverwendung. Derweil macht sich das Kampfblatt des neuen Liberlaberismus auf die mitfühlende Spurensuche beim politischen Gegner. Schlamm, geworfen, wird hart als Dreck und bleibt irgendo kleben. Doch Aprilscherz beiseite, was ist schon Schlecker gegen das Engagement für Spritschluckerabfüller, die mit Staatshilfe geschützt werden müssen?

*** Natürlich mag man sich fragen, ob die Bürgschaft für einen KfW-Kredit zum Aufbau einer Transfergesellschaft eine sinnvolle Sache ist oder nur Populismus. "Schlecker-Frauen" haben ihre besten Jahre hinter sich und bekommen keine Kinder mehr – das war ein Einstellungskritierium von Schlecker, keine Bösartigkeit. Das Transferkurzarbeitergeld plus Aufstockungszahlung der Transfergesellschaft liegt nun einmal über dem Arbeitslosengeld, zudem bleibt der Anspruch auf Arbeitslosengeld erhalten. Zudem könnten Schulungsmaßnahmen bei denen greifen, die noch nie eine Bewerbung geschrieben haben. Angeblich alles Ideen aus einer anderen beschaäftigungspolitischen Zeit, denn der Aufschwung ist da und Stellen gibt es reichlich im Tagespendelbereich. Ja, so wollen wir leben, so wollen wir arbeiten. Das Geld der KfW ist viel besser bei kleinen Internet-Firmen wie angelegt, wo der Erfolg die Erfinder benebelte. Darauf ein Lied.

*** Der April, der April, der macht, was er will. Aber was will er denn? In Österreich will er zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung. Es gibt Proteste und es gibt Anleitungen, die Spitzelei zu umgehen. Bei uns ist es kurioser, da niemand nichts Genaues wissen will. In der letzten Wochenschau stehen mehrere Links zum Attentäter von Toulouse, der mit herkömmlichen Ermittlungen eingekreist wurde. Das hindert die Zeitung für kluge Köpfe nicht an der Behauptung, dass der Terrorist nur durch alte Internetkontakte und Vorratsdaten gestellt werden konnte. In dem hinter der Paywall liegenden Artikel "Wieder einmal Schwarzer Peter?" wird die Spielkarte der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zugeschoben, einer erklärten Gegnerin von Scheinlösungen. Die Spannung steigt, wie ihr auf der Cybercrime-Konvention des Europarates beruhender Vorschlag Quick-Freeze nun in das Kabinett gebracht werden kann, ohne dass die Runde auseinanderfliegt wie eine Gas-Plattform. Achja, April, April: Zwei Mal soll bei uns die Operation Paperstorm zuschlagen, mit einem DDoP.

*** In dieser Woche hat Hans Magnus Enzensberger im Spiegel seine letzte Folge des Panoptikums abgeliefert, einer kleinen, ziemlich schlecht recherchierten Serie über den modernen Überwachungsstaat. Hinter der Paywall liegend muss für "Armer Orwell!" das Zitatrecht her, Enzensbergers Optimismus dokumentieren, warum alles nicht sooo schlimm ist. Denn: Nur 95 Prozent der Bevölkerung werden bei uns überwacht werden. Die Totalüberwachung ist schlicht zu teuer, und die Ökonomie hat schon immer gesiegt in letzter Instanz.

"Es wäre zu aufwendig, eine kleine, aber zähe Minderheit zu entfernen, die sich aus purem Eigensinn gegen die Verheißungen des digitalen Zeitalters sträubt. Fünf Prozent, das sind immerhin über vier Millionen Leute. Also: Nur keine Panik! Auch in Zukunft wird jeder, der es nicht lassen kann, relativ sorglos und analog essen und trinken, lieben und hassen, schlafen und lesen können."

Ist es Altersnarrheit, ist es schlichte Ignoranz, ist es die groteske Unkenntnis des Alltags, die zu solchen Sätzen führt? Allein die Stimmenzuwächse bei den Piraten zeigen, dass offenbar mehr als 5 Prozent der Gesamtbevölkerung, Nichtwähler inklusive, ein Interesse daran haben, ohne Überwachung lieben, lesen und labern zu können. Der weit verbreitete Irrtum, dass die Fraktion "ich hab nichts zu verbergen von den sieben Zwergen" damit jedweder Spitzelei zustimmt, tritt auch hier zum Vorschein. Außerdem gilt: Das kleine, zähe gallische Dorf ist überwacht, wenn 95 Prozent von Gallien überwacht sind.

*** Wer Stanislaw Lems Momentaufnahme "Eine Minute der Menschheit" gelesen hat, wird das Werk "One Human Minute" von J. und S. Johnson kennen, das in Mare Imbirum erschienen ist. Seit diesem epochalen Werk wissen wir, dass die Menge des Ejakulats, das in einer Minute von allen Männern der Erde ausgeschieden wird, auf 45.000 Liter geschätzt wird. In bester Tradition von Lem hat Intel, dessen 8008er-Chip heute vor 40 Jahren erschien, zum Geburtstag des x86-Urahns eine kleine Grafik veröffentlicht, die zeigt, was so in einer Internet-Minute alles passiert. Die 45.000 Liter Sperma verblassen schon deshalb, weil Intels Internet-Minute den üblichen Schweinskrams à la ***tube*** ausblendet, der Youtube locker in den Schatten stellt. Doch 1,3 Millionen Video-Betrachter und 61.141 Musikstücke zeigen deutlich, warum technophobe Urheber meinen, ihnen werde Knete vorenthalten, weil überall Lauerstationen ihr geistiges Eigentum saugen. Man nehme nur den reportierten Fall der Tatort-Autoren, denen immer wieder originelle Einfälle für die schnarchigste Fernsehserie abhanden kommen. Geklaut von CCClern, die einen auf Einheitsfront machen und dabei völlig verpeilt sind. Das Urheberrecht abschaffen, die deutscheste aller deutschen Reaktionen, hat da gerade noch gefehlt. Wo ich bei dieser Downloadklauallekulturistimarsch-Debatte bin: In dieser Woche ist Majos Favorit Over the Rainbow überholt worden, sagt Media Control. Wie war das noch? Nichts ist wichtig, dazu ist die Welt zu groß.

*** Ceterum Censeo: Ich bleibe dabei, dass das Prinzip der Urheberrechtspauschale in all diesen Debatten auf den richtigen Weg weist. Man muss nicht jeden Rant, der den Weg in eine Tageszeitung nimmt, gleich mit einer Gegenprovokation beantworten – auch wenn unter den Rantern Leute wie Friedrich Ani sind, dessen Krimis ich mit Genuss (wenn dieses Wort bei den hintergründigen, machmal düsteren, melancholischen Texten Anis gestattet ist) lese. Und dessen Bücher ich mir daher auch kaufe. Aber die Debatte ergibt sowieso nur Sinn, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, dass die Urheber solcher Bücher oder anderer Werke auch zu bezahlen sind. Manch einem, den man schon gar nicht mehr als Mitdiskutant bezeichnen, sondern dem man als Troll seinen Feed wegnehmen möchte, schimpft aber schlicht auf alles, was seiner Saugermentalität zuwiderläuft. DRM? Böse (okay, geschenkt). Urheberrechtspauschale? Ebenfalls böse. Und dann? Bleibt nur, alle, die es sich nicht so einfach machen wollen, als Internetausdrucker zu bezeichnen und ihnen jede Berechtigung zur Diskussionsteilnahme abzusprechen. Ja, die Weisheit der Massen hat manchmal eben auch den Charakter von Mobaufläufen.

Was wird.

Knallhart wird Assads Regime in Syrien unter dem Embargo der Europäischen Gemeinschaft in die Mangel genommen. Auch das war schon Thema in der letzten Wochenschau, doch fehlte dabei ein Bescheid der Bundesregierung, die öffentlich keine Namen nennen will, wie dies verwerflicherweise in der Wochenschau geschah. Wer gesperrt wird, welchen Exporteuren nun Sanktionen drohen, das alles ist streng geheim, denn, hahaha, "Sanktionen verlieren einen Teil ihrer Wirkung, wenn über sie öffentlich diskutiert wird." In vertraulich tagenden Gremien wird man Auskunft geben. Die Konsequenz dieser ganz speziellen Geheimhaltung kennen wir seit den Maut-Verträgen: Die in Syrien-Deals verwickelten Firmen brauchen keine Auskunft zu geben. Als Urheberrechtsabhängiger bin ich wahrlich kein Freund der Piratenpartei, doch das muss man auch nicht sein, um zu verstehen, welch großartige Sache diese Transparenz ist, die sie im Politischen etablieren wollen. Da hilft alles Gebrabbel über Reife und Hörner ihrer Politiker nichts, im Großen wie im Kleinen gibt es genug zu tun.

Ganz klein hat es angefangen, das Vintage Computer Festival Europe, das im April auf dem Kalenderblatt steht. In diesem Sinne ist zu wünschen, dass die einzigartige Veranstaltung weitergehen kann. Darum schließt sich diese Wochenschau an den dringenden Aufruf bei der Suche nach Lagerraum im Münchener Raum an, der schonvon O'Reilly veröffentlicht wurde. Wer weiß, wo dort ungefähr 80 Paletten und noch einmal so viele Gitterboxen sicher unterkommen können, möge sich an hal@heise.de wenden und helfen, die Schätze vor der weiteren Zersplitterung zu retten. Man stelle sich bloß vor, die Schätzchen würden im Sperrmüll landen müssen, wie Patientenakten. (jk)